IM GESPRÄCH: MARC BUNGENBERG, UNIVERSITÄT DES SAARLANDES

Schutzzölle könnten sinken

Kritik an den neuen Anti-Dumping-Regeln der EU im Importstreit mit China

Schutzzölle könnten sinken

Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen neuen Anti-Dumping-Regeln werden nach Einschätzung des Europarechtlers Marc Bungenberg Verschlechterungen für die Industrie mit sich bringen. Vor allem die europäische Stahlbranche dürfte im Importstreit mit China damit kaum von der Reform profitieren.Von Andreas Heitker, BrüsselDie geplante Neugestaltung der Anti-Dumping-Untersuchungen in der EU wird für Unternehmen schwieriger und aufwendiger zu handhaben sein als die bisherigen Regeln. Zu diesem Schluss kommt Marc Bungenberg, der Direktor des Europa-Instituts an der Universität des Saarlandes. “Die EU-Kommission möchte die europäische Industrie zwar unterstützen. Das ist das erklärte Ziel. Aber die Effektivität der neuen Regeln ist noch nicht vergleichbar mit dem heutigen Modell”, betonte der Europarechtler, Experte im Außenwirtschafts- und Investitionsrecht, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. “Und nach verbreiteter Ansicht werden die Vorschläge auch zu niedrigeren Anti-Dumping-Zöllen gegenüber chinesischen Produkten führen.”Die EU-Kommission hatte die neue Methode zur Bewertung von Marktverzerrungen im November veröffentlicht. Sie hatte dabei prognostiziert, dass die Reform am heutigen Niveau der Schutzzölle nichts wesentlich ändern wird. Die Vorschläge waren eine Reaktion auf die Diskussion um den von China geforderten Marktwirtschaftsstatus gewesen sowie auf den Importdruck aus China, unter dem vor allem Europas Stahlindustrie leidet. In der EU sind aktuell mehr als 50 Anti-Dumping-Maßnahmen im Stahlbereich in Kraft oder in der Prüfung.Das neue System ist länderneutral ausgerichtet. Der Marktwirtschaftsstatus spielt bei der Marktverzerrung keine Rolle mehr. Dennoch bedeuten die Vorschläge der EU-Kommission für die europäische Industrie gleich in mehrfacher Hinsicht eine Verschlechterung gegenüber der derzeitigen Rechtslage, wie Bungenberg betont: “Die Beweislast, dass Marktverzerrungen durch staatliche Eingriffe vorliegen, wird den europäischen Antragstellern von Anti-Dumping-Maßnahmen auferlegt. Die bisherige Anwendung der allgemeinen Vergleichslandmethode gegenüber China entfällt, und selbst der Rückgriff auf einzelne Preisfaktoren aus Drittstaaten wird künftig möglicherweise nur noch im Ausnahmefall möglich sein.” EU könnte sich Zeit lassenBungenberg, der kürzlich als einziger unabhängiger Experte bei einer Anhörung des EU-Parlaments zur Reform der Handelsschutzinstrumente geladen war, fordert Nachbesserungen an verschiedenen Punkten. Dies betrifft vor allem die Pflicht der EU-Kommission, Berichte zu Marktverzerrungen in einzelnen Ländern vorzulegen. Auch sollte es Leitlinien geben, welche Nachweise überhaupt für eine staatliche Marktverzerrung zu erbringen sind und unter welchen Voraussetzungen Drittlandspreisfaktoren in die Berechnungen einbezogen werden könnten.”Vielleicht wäre es eine gute Alternative gewesen, China doch den Marktwirtschaftsstatus zu geben und damit die politische Forderung Pekings zu erfüllen und gleichzeitig ein noch schärferes Anti-Dumping-Regelwerk in der EU einzuführen”, regt der 48-Jährige an. “Damit wäre der Industrie eventuell noch mehr geholfen gewesen als mit den jetzt vorliegenden Vorschlägen.”Bungenberg verweist zugleich allerdings darauf, dass sich nirgendwo in den Papieren der Welthandelsorganisation WTO die Verpflichtung findet, dass China offiziell oder inoffiziell ein Marktwirtschaftsstatus verliehen werden müsse. Es gebe hierzu keine explizite Verpflichtung. “Es ist eine politische Forderung aus Peking, bei der die Interpretation eines bestimmten Artikels des chinesischen Beitrittsprotokolls zur WTO mit dieser Frage vermischt wurde”, erläutert der Professor.Die EU-Kommission will mit ihrer Reform der Schutzinstrumente nach eigenen Angaben auch ihren Verpflichtungen im Rahmen der WTO nachkommen. Die EU wird – ebenso wie die USA – seit Dezember von China wegen ihrer Anti-Dumping-Politik vor der Welthandelsorganisation verklagt. Nach Einschätzung von Bungenberg ist dies aber kein Grund, vorschnell zu reagieren: “Eigentlich kann sich die EU mit der Reform noch Zeit lassen und erst einmal die Entscheidung in diesem Klageverfahren abwarten”, sagt er. Möglicherweise sei die derzeit von der EU angewandte Methode ja auch weiterhin WTO-konform. Dann könne auch in Zukunft die Vergleichslandmethode genutzt werden.