LEITARTIKEL

Seid sozial, Partner!

Die Magie der Nacht: So bezeichnet ein erfahrener Gewerkschaftsfunktionär, der als Verhandlungsführer schon einige Tarifrunden für die IG Metall ausgefochten hat, diese letzte Nacht, in der Gewerkschaften und Arbeitgebern bei Tarifverhandlungen der...

Seid sozial, Partner!

Die Magie der Nacht: So bezeichnet ein erfahrener Gewerkschaftsfunktionär, der als Verhandlungsführer schon einige Tarifrunden für die IG Metall ausgefochten hat, diese letzte Nacht, in der Gewerkschaften und Arbeitgebern bei Tarifverhandlungen der Durchbruch gelingt. Das Problem ist nur: Diese Nacht ist meistens nur für einen der beteiligten Sozialpartner “magisch”. Vielleicht lässt sich diese entscheidende Sitzung in Tarifverhandlungen besser mit einem nächtlichen Boxkampf beschreiben. Am darauffolgenden Morgen treten die Kontrahenten vor die Öffentlichkeit: der eine übernächtigt, aber glücklich; der andere nicht minder übernächtigt, aber zerbeult, weil er sich regelrecht über den Verhandlungstisch gezogen fühlt. So etwas wirkt nach, die unterlegene Partei schmollt bis zur nächsten Verhandlungsrunde so laut, wie die andere jubelt.Zwar heißt es Sozialpartner, aber von Partnerschaft sind sowohl die Gewerkschaften wie auch die Arbeitgeberverbände weit entfernt. Das war schon immer so und wird womöglich auch immer so bleiben. Dabei wäre es gerade jetzt an der Zeit, die nächtlichen Fights zu vergessen und gemeinsam zu kämpfen. Die Herausforderungen, vor denen gerade die deutsche Industrie in Zeiten des Abschwungs steht, gebieten es.Sicherlich haben die Lohnabschlüsse 2019 nicht gerade geholfen, die Rivalität zu mindern. Denn die Tarifrunden in diesem Jahr gingen nach Punkten klar an die Gewerkschaften. Die Abschlüsse lagen zumeist über 3 % und überstiegen damit die Teuerung – das war nicht immer so. Was Arbeitgeber schmerzen wird, war volkswirtschaftlich aber richtig. Bereits im zweiten Quartal hat sich der private Konsum als einer der wenigen Bereiche erwiesen, der einen positiven Wachstumsbeitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) geleistet hat. Während die Gesamtwirtschaft im zweiten Quartal geschrumpft ist, legte der private Konsum zu. Ausschlaggebend waren zwei Faktoren: die nach wie vor robuste Verfassung des Arbeitsmarktes und die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, bei der es sich nicht lohnt, das Geld auf die hohe Kante zu legen.Mit Blick auf die anstehenden Lohnrunden sollten die Gewerkschaften die Karte “privater Konsum” aber auch nicht überreizen, indem sie hohe Forderungen mit der Stützung der Binnenkonjunktur begründen. Die Wettbewerbsfähigkeit des verarbeitenden Gewerbes darf nicht gefährdet werden. Es geht letztlich auch um Arbeitsplätze. Denn eines ist völlig klar: Im August kamen 6,7 % weniger Aufträge in die Bücher des verarbeitenden Gewerbes als noch ein Jahr zuvor. Der Negativtrend verfestigt sich. Und das wird mit einigem zeitlichen Nachlauf auch deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Auch hier sind die Sozialpartner gefordert, gemeinsam das Schlimmste abzufedern.Die Arbeitgeber wiederum sollten zwei Fehler unterlassen. Zum einen zu versuchen, in den kommenden Lohnrunden Rache für die in ihren Augen zu hohen Lohnabschlüsse in der jüngsten Vergangenheit zu üben. Es liegt auch in ihrer Verantwortung, die Binnenkonjunktur nicht abzuwürgen. Zum anderen sollten die Arbeitgeber auch nicht reflexartig mit Entlassungen oder Standortverlagerungen auf den Abschwung reagieren. Der Fachkräftemangel wird auch durch den Abschwung nicht beseitigt, und groß angelegte Entlassungswellen könnten sich schon nach kurzer Zeit bei einem Aufschwung bitter rächen. Schließlich sind es insbesondere externe Effekte, wie die globalen Handelsstreitigkeiten und die negativen Auswirkungen eines Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union, die besonders der exportabhängigen deutschen Industrie zusetzen. Diese Effekte können sich auch auflösen.Die Politik sollte sich nicht als Kampfrichter aufspielen, wohl aber versuchen, beiden Kontrahenten Luft zu verschaffen. Anstatt über die Grundrente zu diskutieren, die wahrscheinlich nicht mehr finanzierbar ist, wenn die Generation der Baby-Boomer aus dem Arbeitsleben ausscheidet, sollten bei der Senkung der Unternehmenssteuer endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Deutschland ist nämlich bei den Lohnstückkosten durchaus noch konkurrenzfähig, bei den Unternehmenssteuern ist es Deutschland nicht. Eine Senkung könnte die Verteilungsspielräume erhöhen.2020 stehen 13 Lohnrunden für rund zehn Millionen Beschäftigte an. So richtig magisch werden die anstehenden 13 Nächte des Durchbruchs aber nur, wenn die deutsche Konjunktur in ihnen nicht auf die Bretter geschickt wird.——Von Archibald PreuschatAngesichts des Abschwungs sollten Arbeitgeber und Gewerkschaften ihre Rivalität hintanstellen. Es braucht Lohnpolitik mit Augenmaß.——