Nordirland

Sinn Féin arbeitet auf den Anschluss an Irland hin

Während Sinn Féin auf die Vereinigung Nordirlands mit der Republik im Süden hinarbeitet, hat die britische Regierung offenbar ein Gesetz auf Eis gelegt, das für eine weitere Eskalation gesorgt hätte.

Sinn Féin arbeitet auf den Anschluss an Irland hin

hip London

Im nordirischen Wahlkampf hat das Thema keine große Rolle gespielt. Doch schon am Tag nach der Bekanntgabe des historischen Siegs der nationalistischen Sinn Féin, die mit 29 % der Erststimmen erstmals stärkste Partei in Ulster wurde, sprach ihre Führerin Mary Lou McDonald davon, binnen fünf Jahren ein Referendum über den Anschluss an die Republik im Süden abzuhalten. Jeffrey Donaldson, der Chef der Democratic Unionist Party (DUP), weigerte sich unterdessen, Minister für die auf Teilung der Macht zwischen Nationalisten und Unionisten basierende Exekutive zu entsenden, solange das Nordirland-Protokoll nicht radikal verändert oder abgeschafft worden ist. Das Zusatzprotokoll zum EU-Austrittsvertrag, das Schlagbäume auf der Grünen Insel vermeiden sollte, hat eine Zollgrenze zwischen Ulster und dem Rest Großbritanniens hervorgebracht.

McDonald forderte den irischen Ministerpräsidenten Michéal Martin auf, eine Bürgerversammlung einzuberufen, um mit Blick auf das nordirische Wahlergebnis eine Volksabstimmung zu prüfen. Dieser Prozess müsse von Dublin angeführt werden. Das Wichtigste sei jetzt, dass Politiker auf beiden Seiten der Grenze akzeptierten, „dass wir uns in Zeiten tiefgreifender Veränderungen befinden“. Diese Veränderungen müssten ge­managt werden. „Wir haben beim Brexit gesehen, wie chaotisch es werden kann, wenn es dieses Niveau der Planung und des Engagements nicht gibt“, sagte McDonald. Die DUP-Anhänger sind aus ihrer Sicht Außen­seiter: „Ein Teil des politischen Unionismus ist am demokratischen Prozess nur interessiert, wenn sie dabei vorne liegen, oder sie sind nur an einer Zusammenarbeit interessiert, wenn sie zu ihren Bedingungen erfolgt.“ Nun sollte man das Wahlergebnis vom Wochenende nicht gleich mit einem Votum für die „Wiedervereinigung“ von Irland verwechseln. Tatsächlich gibt es große Unterstützung für die Teilung der Macht. Die DUP wurde Wahlanalysen zufolge vor allem deshalb nicht erneut stärkste Partei, weil sie bereits angedeutet hatte, dass sie sich nicht mit einem First Minister von Sinn Féin an einen Tisch setzen würde. Das empfanden viele Wähler aus dem unionistischen Lager als Sektierertum und wählten lieber Alliance, die zur drittstärksten Kraft aufstieg und in den ausgefeilten Plänen zur Teilung der Macht nach dem nordirischen Bürgerkrieg noch gar nicht vorkam. Zugleich verlor die DUP auch Stimmen von Hardlinern, die zur radikalen Splittergruppe Traditional Unionist Voice abwanderten, die das Karfreitagsabkommen ab­lehnt.

In der Downing Street hat man die DUP offenbar satt. Wenn die Queen am Dienstag die Regierungserklärung von Premierminister Boris Johnson verliest, wird sich darin Medienberichten zufolge kein Gesetz zum Schutz des Karfreitagsabkommens in seiner Gänze finden. Zuvor hatte es geheißen, mit Hilfe eines solchen Gesetzes könnte sich die Regierung die rechtliche Grundlage dafür schaffen, das Nordirland-Protokoll auszuhebeln. „Unser Fokus liegt darauf, die Probleme mit dem Protokoll zu lösen“, sagte der britische­ Nordirland-Staatssekretär Bran­don Lewis. „Idealerweise wollen wir das durch eine Einigung mit der Europäischen Union erreichen.“ Wie die „Times“ berichtete, will Johnson den Verhandlungen mit Brüssel noch „eine letzte Chance“ geben, bevor ein entsprechendes Gesetz dem Parlament vorgelegt wird. Donaldson sagte in Belfast, er werde nicht untätig zusehen, wenn das Thema erneut auf die lange Bank geschoben werde. Das sei inakzeptabel. London und Brüssel hätten Monate Zeit für eine Lösung gehabt.