Kanzlerwahl

„So viel wird sich da nicht ändern“

Der Bundestag wählt Olaf Scholz zum neuen Bundeskanzler und liefert ein Zeugnis guter Demokratie.

„So viel wird sich da nicht ändern“

Von Angela Wefers, Berlin

Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt bei der Übernahme der Amtsgeschäfte seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) auf etwas Wichtiges für viele Deutsche – auf Kontinuität. „So viel wird sich da nicht ändern“, versicherte Scholz bei der Übergabe des Bundeskanzleramtes in Berlin mit Blick auf die unprätentiöse und prägende „nord-ostdeutsche Mentalität“ seiner Amtsvorgängerin, die er fortsetzen will. Nach 16 Jahren Amtszeit hat Merkel am Mittwoch die Geschäfte in neue Hände gelegt. Ihr Abschied ist freiwillig. Dass nun ein Sozialdemokrat das Haus führt, ist eine Zäsur. Der bislang letzte Genosse an der Spitze war Gerhard Schröder bis 2005.

Verschiedene Krisen hat Scholz mit Merkel politisch durchlebt. Die Finanzkrise 2008/09 als Bundesarbeitsminister im selben Kabinett, die Flüchtlingskrise 2015 als Erster Bürgermeister des Stadtstaates Hamburg und die anhaltende Coronapandemie als Bundesfinanzminister und Vizekanzler. „Das hat zusammengeschweißt“, konstatierte Scholz. Die „immer sehr vertrauensvolle Art der Zusammenarbeit“ in den vielen Jahren wertete er als Zeichen für eine „starke, leistungsfähige Demokratie“ mit „großem Konsens“ zwischen den verantwortlichen Demokraten.

Die Stärke der Demokratie hierzulande war auch am Tag der Kanzlerwahl im Bundestag deutlich zu spüren. Die Zeremonie ist formal und lässt kaum Spielraum für politische Duftmarken. Nach der Wahl im Bundestag beginnt der Pendelverkehr der Staatskarossen auf der kurzen Strecke zwischen Reichstagsgebäude und Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten – aktuell Frank-Walter Steinmeier. Nach der wortkargen Ernennung zum Bundeskanzler durch den Bundespräsidenten geht es zurück in den Bundestag zur Vereidigung, dann mit der neuen Ministerriege wieder ins Bellevue und mit den Ernennungsurkunden erneut ins Parlament zur Vereidigung der Ressortchefs. Nur der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nahm den Weg zum Präsidenten durch Berlins grüne Lunge, den Tiergarten, nicht in der Staatskarosse, sondern klimagerecht mit dem Fahrrad trotz eisiger Temperatur.

Applaus aus dem Plenum

Im Parlament aber zeigte sich ein Bild der Wärme. Standig Ovations gab es nicht nur am Anfang der Sitzung von (fast) allen Fraktionen für die scheidende Angela Merkel, die als Nicht-mehr-Mitglied des Bundestags auf der Besuchertribüne Platz genommen hatte. Das gesamte Haus applaudierte in großer Geschlossenheit auch Scholz nach der Wahl und jedem neuen Minister und jeder Ministerin nach der Eidesleistung. Blumensträuße, Gratulationen und einen ersten Austausch zwischen frisch ernannter Regierung und künftiger Opposition im quirligen Plenum fingen die Kameras ein.

Demokratie als Stärke

So selbstverständlich dies für eine Demokratie erscheint, die den Wählerwillen akzeptiert und lebt, ist es das aber nicht mehr. In den USA, einem Land mit einer viel älteren Demokratie als der deutschen, ist diese Normalität offenkundig verloren gegangen. Der Verlierer Donald Trump hatte nach der US-Präsidentschaftswahl 2020 versucht, mit Medienkampagnen Stimmung gegen den Demokraten Joe Biden als Gewinner zu machen und mit juristisch absurden Kniffen das ihm nicht genehme Resultat abzuwenden. In dem politisch gespaltenen Land hat nun Biden als US-Präsident eigens einen „Summit for Democracy“ aufgesetzt, zu dessen Teilnahme weitere Staaten, auch in Europa, aufgerufen sind.

Hierzulande ist es die AfD, die sich am Wahltag des Bundeskanzlers erneut demonstrativ ins Abseits gestellt hat. Einen Blumenstrauß für den neuen Kanzler fand sie überflüssig; die Gratulation der Fraktionsspitze fiel knapp aus. Ins Abseits haben sich auch die Ungeimpften unter diesen Abgeordneten geschossen. Sie dürfen den Plenarsaal nicht mehr betreten und sind auf die Tribüne verbannt.

Arbeitsfähig wird die neue Regierung umgehend sein. In den Ministerien, in denen die Übergabe an die neue Leitung noch nicht am Mittwoch vollzogen wurde, steht dies für den heutigen Donnerstag an. Dazu gehört das Bundesfinanzministerium, das FDP-Parteichef Christian Lindner von Scholz übernimmt. Für den Abend war bereits die konstituierende Kabinettssitzung anberaumt. Die neue Regierung hat keine Zeit zu verlieren. Die wieder boomende Pandemie lässt sie ihr nicht.

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