Olaf Scholz

Warmlaufen für die Weltbühne

Für einen Kurztrip nach Washington zum Finanzministertreffen hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Sondierungen zur Regierungsbildung in Berlin verlassen. Für den wahrscheinlich künftigen Kanzler läuft alles nach Wunsch.

Warmlaufen für die Weltbühne

Von Angela Wefers, zzt. Washington

Für Olaf Scholz ist es in Washington schon ein kleiner Aufritt auf der Weltbühne, noch bevor in Berlin am Freitag die Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP zum Auftakt zu echten Koalitionsverhandlungen führen sollen. Unter freiem Himmel auf dem Lafayette Square mit telegenem Weißen Haus im Hintergrund verkündete der Mann, der die besten Chancen hat, bald Bundeskanzler zu werden, die gute Nachricht: Die Finanzminister der G20, der führenden Industrie- und Schwellenländer, stellten sich bei ihrem Treffen in Washington hinter den Beschluss von 136 Staaten, eine globale Mindeststeuer für große Unternehmen von effektiv 15% einzuführen und einen Teil der Gewinnsteuern multinationaler Konzerne zwischen Heimatstaaten und Absatzländern umzuverteilen. „Mit der internationalen Mindestbesteuerung großer Unternehmen wird es dazu kommen, dass wir weltweit erhebliche Mehreinnahmen haben und auch ganz konkret in Deutschland“, sagte der Bundesfinanzminister vor der Presse in Washington. Zugleich sei es gelungen, die Besteuerung weltweit operierender Gesellschaften zustande zu bringen, insbesondere digitaler Plattformunternehmen. „Das ist ein großer Fortschritt in der internationalen Besteuerung, eine revolutionäre Reform, die ein System, das 100 Jahre existiert hat, modernisiert.“

Alles nach Wunsch

Die globale Neuverteilung von Steueraufkommen ist ein großer Schritt. Die internationale Unternehmensbesteuerung wird damit völlig neu geordnet. Scholz hatte dafür die Sondierungsgespräche in Berlin unterbrochen, um in der US-Kapitale im Indian Summer seine G20-Amtskollegen zu treffen. Der sonst so gemäßigt auftretende SPD-Kanzlerkandidat zeigte sich geradezu gelöst, läuft doch nicht nur zu Hause derzeit alles nach Wunsch. Auch in Washington präsentierte er mit der internationalen Steuervereinbarung eine Erfolgsgeschichte, die er selbst maßgeblich vorangetrieben hatte. Die Geschichte ist nicht nur deshalb ein Erfolg, weil in einer Art neuen globalen Finanzausgleich nach Angaben der OECD 125 Mrd. Dollar an Steueraufkommen neu verteilt werden und die Mindestbesteuerung weltweit rund 150 Mrd. Dollar mehr in die öffentlichen Kassen spülen soll. Teil der internationalen Neuerung ist auch, dass damit der Wildwuchs nationaler Digitalsteuern enden wird. Die OECD in Paris hatte die Arbeit koordiniert.

Mehr vom Steuerkuchen

Für multinational operierende Unternehmen ist die Neuerung komplex, bringt aber auch Vorteile. Sie vereinheitlicht bei grenzüberschreitenden Geschäften die Besteuerung und schafft Rechtssicherheit. Das Bestreben, Anbieter von digitalen Leistungen stärker in den Absatzländern zu besteuern, hatte in vielen Ländern zur Einführung von digitalen Steuern geführt. Länder, in denen Tech-Giganten wie Amazon, Google, Facebook oder Apple Dienstleistungen verkaufen, ohne vor Ort zur produzieren, wollten vom Steuerkuchen etwas ab haben. Frankreich hatte als Digitalsteuer eine Umsatzsteuer auf digitale Werbeerlöse eingeführt, aber auf amerikanischen Druck hin nie erhoben, nachdem die USA noch unter der Trump-Präsidentschaft mit Zöllen drohten. Kanada ist mitten im Prozess der Gesetzgebung für eine Digitalsteuer, der nun gestoppt werden soll. Scholz trat zusammen mit seiner kanadischen Amtskollegin, Chrystia Freeland, vor die Presse. Kanada gehört nicht nur zur G20, sondern auch zum einflussreichen Kreis der G7. Freeland sagt, die nun gefundene internationale Vereinbarung sei gut für die kanadische Mittelklasse und gut für die Familien ihres Landes. Sie muss die Regelung zu Hause noch politisch verkaufen.

Scholz hatte von Anfang an auf ein globale Lösung gesetzt und Bestrebungen, auch in Deutschland eine Digitalsteuer einzuführen, bewusst gebremst. Diese sollte den globalen Konsens nicht gefährden. Nur im Fall eines Scheiterns hätte er nationale Schritten angestrebt. Dieses Kalkül ist voll aufgegangen. Geholfen hat dabei der Regierungswechsel in den USA. Die Trump-Administration hatte sich im Sommer vor der Präsidentschaftswahl aus den Verhandlungen zurückgezogen. Die neue Regierung unter dem demokratischen Präsidenten Joe Biden ist an den Verhandlungstisch zurückgekehrt. Finanzministerin Janet Yellen gab Rückendeckung. Ohne die USA, dem Land aus dem die Tech-Giganten kommen, hätte eine Vereinbarung wenig Durchschlagskraft gehabt. Auch die Mindestbesteuerung von 15% ist ein Werk von Scholz, das er in die internationalen Verhandlungen unter dem Dach der OECD eingebracht und energisch verfolgt hat.

Eigentlich war es das Ziel, damit dem Steuerwettbewerb der immer niedrigeren Sätze einen Boden zu verpassen. Die Mindeststeuer dürfte aber auch in den Sondierungsgesprächen und vermutlich baldigen Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen. Die FDP hatte im Wahlkampf im Gegensatz zu SPD und Grünen mit Steuersenkung und einer Belastung für Unternehmen von maximal 25% geworben. Dort ist ein Konfliktpunkt für das Dreierbündnis programmiert. Mit Blick auf die nun gefundene Vereinbarung zur Mindeststeuer sagte Scholz: „Das bedeutet ja, dass wir Mehreinnahmen haben ohne Steuererhöhungen.“ Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf eine unveröffentlichte Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes Ifo von 5 bis 6 Mrd. Euro im Jahr.

Schwerer Brocken für die FDP

Ein weiterer Punkt kommt hinzu, der die FDP-Forderungen nach einer Unternehmenssteuersenkung zu­mindest bei den Sätzen ausbremsen dürfte. Der Körperschaftsteuersatz liegt hierzulande mit 15% exakt auf dem Niveau der Mindestbesteuerung. Die von der Wirtschaft geforderte Senkung auf 10% wird damit unwahrscheinlich. Dass die Belastung in Deutschland mit knapp 30% deutlich über den OECD-Durchschnitt von 22% hinausgeht, liegt vor allem an der Gewerbesteuer. Sie ist eine der Haupteinnahmequellen der Kommunen und gilt als politisch kaum reformierbar. Dies wäre immerhin eine große Aufgabe für eine Dreierkoalition, die auch im Bundesrat auf Unterstützung bauen könnte.

In Washington vermittelte Scholz den Eindruck, auch aus der Ferne zu Hause alles unter Kontrolle zu haben. Der Besuch war so kurz gehalten, dass Scholz nach zweitägiger Pause in Berlin in die Sondierungsgespräche zurückkehrt. US-Präsident Biden hat er diesmal in der US-Hauptstadt noch nicht getroffen. Scholz zeigte sich in Washington zuversichtlich, bis Weihnachten eine Regierung bilden zu können. „Es sieht sehr gut aus”, sagte er sichtlich erfreut mit Blick auf die Sondierungsgespräche. Wenn das gelingt, wird er als neuer deutscher Regierungschef beim Antrittsbesuch bald auch hinein dürfen ins Weiße Haus – und nicht nur davorstehen.

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