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"Wir müssen uns dieser Auseinandersetzung stellen"

Börsen-Zeitung, 20.3.2015 Die herkömmliche Sicht der britischen Konservativen Partei ist, dass die meisten ihrer Mitglieder sehr daran interessiert sind, sich von der Europäischen Union loszulösen und einen eigenen Weg einzuschlagen. Diese Sicht...

"Wir müssen uns dieser Auseinandersetzung stellen"

Die herkömmliche Sicht der britischen Konservativen Partei ist, dass die meisten ihrer Mitglieder sehr daran interessiert sind, sich von der Europäischen Union loszulösen und einen eigenen Weg einzuschlagen. Diese Sicht wird von vielen Zeitungen befördert, die normalerweise die Konservative Partei unterstützen.Als Vorsitzender von European Mainstream, einer mehr als 60 Mitglieder starken Gruppe innerhalb der Parlamentsfraktion der Konservativen Partei, die 303 Abgeordnete umfasst, möchte ich diese Sichtweise stark in Frage stellen. Wenn die Konservativen die kommenden landesweiten Wahlen gewinnen, wird es ein Referendum über die Mitgliedschaft in der EU geben. Es ist Aufgabe der proeuropäischen Konservativen, eigene konservative Argumente für unsere Mitgliedschaft zu liefern.Wir dürfen die verzerrte Sichtweise, dass es sich bei den Proeuropäern unter den Konservativen um eine kleine Minderheit handelt, nicht so stehen lassen. Sie ist falsch, schadet der Partei, und wird von denjenigen, die wissen, dass sie falsch ist, in der Hoffnung wiederholt, dass sie wahr wird, wenn man sie nur so oft wie möglich wiederholt. Die große Mehrheit der Partei, innerhalb und außerhalb des Parlaments, ist sich einig, dass Europa Reformen braucht. Wir wollen, dass David Cameron bei den Verhandlungen nach den Wahlen erfolgreich ist und die Kampagne für den Fortbestand der EU-Mitgliedschaft anführt, damit sich dieses Thema zumindest für die Dauer einer weiteren Generation erledigt hat.Warum ich glaube, dass der antieuropäische Ruf der Partei schadet? Weil ein Interesse, das die Konservativen stets ernst nehmen sollten, das Interesse der Wirtschaft ist – der Leute, die Stellen und Wohlstand für alle schaffen. Die ernstzunehmenden Vertreter der britischen Wirtschaft haben sich in überwältigender Mehrheit für den Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen. Der Unternehmensverband CBI, das Institute of Directors und die Arbeitgeber im Maschinenbau wollen, dass wir dabei bleiben. Ford, BAE Systems, Unilever, Citigroup, Siemens – sie alle haben vor dem Schaden gewarnt, der ihnen und Zehntausenden ihrer Beschäftigten entstehen würde, wenn wir uns aus Europa zurückzögen. Länder in anderen Weltregionen wie Indien und China sind die am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften, das ist richtig. Aber ich habe nie verstanden, warum Ausfuhren nach China dadurch einfacher werden sollen, dass man Exporte nach Deutschland erschwert.Aber lassen wir die wirtschaftlichen Argumente für einen Moment außen vor. Die Mitgliedschaft in der EU kommt dem Vereinigten Königreich auch in anderen Bereichen zugute. Zuerst, wenn es um die Sicherheit geht. Die Mitgliedschaft in der EU spielt eine wesentliche Rolle bei der Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen. Der europäische Haftbefehl stellt durch die Koordination der Polizeibehörden sicher, dass sich Kriminelle in Europa nicht verstecken können. Zudem wird dadurch dafür gesorgt, dass Großbritannien Kriminelle, die in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gesucht werden, ausliefern kann.Etwas allgemeiner betrachtet frage ich mich, was man sich angesichts des derzeitigen Zustands der Welt dabei denkt, wenn man sich von den engsten Nachbarn abwendet. Sind wir so zuversichtlich, in anderen Teilen der Welt freundlich aufgenommen zu werden, dass wir 27 anderen, uns freundlich gesonnenen Demokratien sagen können: Wir wollen in eurem Club nicht mehr dabei sein? Wird das unseren Einfluss in der Welt stärken, oder wird es ihn beschädigen? Würde es dadurch wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher, dass der amerikanische Präsident während einer Krise in der Downing Street anruft? Würden uns die Inder und Chinesen deshalb als Handelspartner ernster nehmen, oder würden sie uns als einen Haufen nostalgischer Exzentriker abweisen?Wir müssen stattdessen eine führende Rolle dabei spielen, Europa zu reformieren, nicht lediglich zu unserem eigenen Nutzen, sondern zum Nutzen aller europäischen Bürger. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Europa auf seine wichtigsten Aufgaben konzentriert, und die Institutionen demokratischer machen. Das liegt im grundlegenden nationalen Interesse Großbritanniens. Emotionale DebatteEine Lektion, die wir aus der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands lernen müssen, ist, dass es zwar von entscheidender Bedeutung ist, die wirtschaftliche Diskussion für sich zu entscheiden, aber auch wichtig ist, die emotionale Debatte zu gewinnen. Wir müssen die Köpfe und die Herzen erreichen. Da ist die idealistische Vision eines Kontinents, der sich jahrhundertelang durch Kriege zerrissen hat, die Gemeinden und ganze Länder zerstörten, der in den vergangenen 70 Jahren zu einem Ort des Friedens und des Wohlstands geworden ist, der Frieden und Wohlstand in Ländern aufgebaut hat, die zuvor nichts als Besatzung und Unterdrückung kannten. Gehen Sie nach Krakau, nach Bukarest und nach Wilna und hören Sie sich an, was die Menschen dort denken. Großbritannien kann auf seinen Anteil am Aufbau dieses friedlichen und prosperierenden Kontinents stolz sein.Beim vorangegangenen Referendum über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union 1975 wurden weise Worte gesprochen: “Die Wahl ist klar. Wir können bei der Entwicklung Europas eine Rolle spielen, oder wir können der Gemeinschaft den Rücken kehren. Indem wir ihr der Rücken kehren, geben wir unser Recht auf, das, was in der Gemeinschaft geschieht, zu beeinflussen. Aber was in der Gemeinschaft geschieht, wird sich unvermeidlich auf uns auswirken.” Das war richtig, als es das erste Mal von Margaret Thatcher gesagt wurde, und es stimmt immer noch. Wir müssen uns dieser Auseinandersetzung ab jetzt bis 2017 stellen – nicht nur um der Konservativen Partei willen, sondern Großbritannien zuliebe.—-Damian Howard Green ist Chairman von European Mainstream, einer Vereinigung konservativer britischer Abgeordneter.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Damian GreenDie Proeuropäer unter den britischen Konservativen sind keine kleine Minderheit.——-