Vor der Bundestagswahl

„Wir sind startklar“

Drei Kanzlerkandidaten liefern sich kurz vor der Wahl in einer Sondersitzung des Bundestags einen Schlagabtausch. Die Linke wirft sich der SPD an die Brust, die FDP signalisiert einen hohen Preis.

„Wir sind startklar“

Von Angela Wefers, Berlin

Wer wird mit wem regieren? Die Karten sind neu gemischt, seit Umfragen einen Erdrutsch bei der CDU/CSU vorhersagen und ein Bündnis aus SPD und Grünen mit einem dritten Koalitionspartner in greifbare Nähe rückt. „Wir sind startklar“, rief unverblümt Linkenpolitiker Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion, in Richtung Regierungsbank. Dort saß SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Wie wolle Scholz sein Programm mit der FDP oder der CDU/CSU umsetzen, fragte Korte rhetorisch. Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch war schon zuvor in der Debatte deutlich geworden. „Es ist besser, gut mit der Linken zu regieren, als schlecht mit Christian Lindner!“, rief er aus und erntete dafür auch Applaus des sichtlich erheiterten FDP-Chefs. Drei Stunden debattierte das Parlament, wohl das letzte Mal vor der Bundestagswahl zur „Situation in Deutschland“. Die Sondersitzung war anberaumt worden, um den Fluthilfefonds über 30 Mrd. Euro freizugeben.

Lindner, möglicher Partner für ein rot-grün-gelbes Ampelbündnis, sparte nicht mit verbalen Hieben nach beiden Seiten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warf er vor, das Land in einer unzulänglichen Verfassung zu hinterlassen. Drei Krisen – Corona, die Flutkatastrophe und der chaotische Abzug aus Afghanistan – hätten in diesem Sommer noch einmal die Defizite vor Augen geführt. Die FDP setzt in ihrem Programm auf Stabilisierung der Staatsfinanzen und unter anderem Steuersenkungen, um das Wirtschaftswachstum zu beleben. Der Staat müsse wieder „funktionieren“. Lindner meinte, eine „gewisse Siegesgewissheit“ bei Scholz dämpfen zu müssen. Er erinnerte den SPD-Politiker an die Erfahrung von Helmut Kohl (CDU) 1976, „dass man Wahlen gewinnen kann und danach trotzdem keine Koalition hat“.

Zu Beginn der Debatte war Merkel aus der Rolle der Kanzlerin in die der Parteipolitikerin gefallen. Es gehe um einer Richtungsentscheidung: zwischen einer Regierung, die mit SPD und Grünen die Unterstützung der Linkspartei in Kauf nehme, und einer von CDU/CSU mit Armin Laschet als Kanzler geführten Bundesregierung, die „mit Maß und Mitte unser Land in die Zukunft“ bringe. „Der beste Weg für unser Land ist eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung mit Armin Laschet als Bundeskanzler“, warb Merkel angesichts miserabler Umfragen für die Union. Dabei wollte sie nicht in den Wahlkampf um ihre Nachfolge eingreifen.

Der so aufs Schild gehobene Laschet griff sowohl Scholz als auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock an. „Man kann nicht mit der Raute durch die Gegend laufen und reden wie Saskia Esken“, warf er Scholz vor. Die im linken Parteiflügel verortete SPD-Vorsitzende zeigte sich amüsiert. Laschet hob die Wirtschaftskompetenz der Union für den Strukturwandel hin zu einem klimafreundlichen Industrieland hervor. Rot und Grün warf er vor, der Wirtschaft Geld wegnehmen zu wollen, anstatt sie zu entfesseln.

Scholz setzt auf Wachstum, mit dem die Folgen der Coronakrise bewältigt werden können. „Wir wachsen aus der Krise heraus“, versprach er. Zwei große Herausforderungen nannte er für die „entscheidenden nächsten zehn Jahre“: Mehr Respekt in der Gesellschaft, manifestiert etwa in einem höheren Mindestlohn, und die Sorge für „gute Arbeitsplätze“ in den nächsten 10, 20, 30 Jahren. „Wir brauchen technologischen Fortschritt für Deutschland und eine leistungsfähige Industrie auch in der Zukunft“, betonte er.

Auch für Baerbock geht es um eine Richtungswahl: Sie entscheide darüber, ob die nächste Bundesregierung „noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise“ nehmen könne. Der Klimaschutz müsse im Mittelpunkt der nächsten Bundesregierung stehen, betonte die Grünen-Politikerin. Eine Bepreisung des CO2-Ausstoßes in der notwendigen Höhe für Klimaneutralität hält sie für „zutiefst sozial ungerecht“. Marktmechanismen sind ihr nicht geheuer: „Die Klimakrise wird durch keinen Markt geregelt, weil dem Markt Menschen herzlich egal sind“, stellte Baerbock fest.

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