Aus der KapitalmarktforschungVermögensungleichheit

Wohnungspolitik würde der „Mitte“ helfen

Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland so hoch wie in keinem anderen europäischen Land – und zugleich ist die Wohneigentumsquote am niedrigsten. Mieter können aber fehlende Immobilienvermögen nicht annähernd durch andere Vermögenstitel ausgleichen. Mit politischen Maßnahmen würde sich der Abstand zu anderen Nationen spürbar verkleinern lassen.

Wohnungspolitik würde der „Mitte“ helfen

Wohnungspolitik würde der „Mitte“ helfen

Deutschland ist bei Vermögensverteilung und Wohneigentum ein Sonderfall in Europa – Höhere Eigentumsquote wäre möglich

Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland so hoch ist wie in keinem anderen europäischen Land – und zugleich ist die Wohneigentumsquote am niedrigsten. Mieter können aber fehlende Immobilienvermögen nicht annähernd durch andere Vermögenstitel ausgleichen. Mit politischen Maßnahmen würde sich der Abstand zu anderen Nationen spürbar verkleinern lassen.

Von Leo Kaas, Frankfurt

Immer wieder wird die ungleiche Verteilung der Vermögen in politischen Debatten als gesellschaftliches Problem ausgemacht, das den sozialen Frieden gefährde und dem letztlich nur durch Vermögensteuern oder höhere Erbschaftsteuern beizukommen sei. Tatsächlich sind die Haushaltsvermögen in vielen Ländern sehr ungleich verteilt: In Deutschland etwa halten die reichsten 10% der Haushalte über 50% des Gesamtvermögens, während die ärmste Hälfte gerade einmal etwas mehr als 1% besitzt. Dies entspricht, so wurde jüngst berichtet, in etwa dem Vermögen, das allein von den fünf reichsten Familien in Deutschland gehalten wird.

Nettovermögen im Fokus

Während die extreme Konzentration der Spitzenvermögen ein gesondertes Phänomen darstellt, lohnt für ein umfassendes Verständnis der Vermögensverteilung ein Blick über die Landesgrenzen hinaus. Daten der Europäischen Zentralbank (EZB), die auf repräsentativen Haushaltsbefragungen beruhen, erlauben einen Vergleich der Vermögensverteilung in der Eurozone sowie einigen weiteren Ländern. Dabei sind die Nettovermögen der Haushalte von besonderem Interesse. Diese sind die Summe aus Finanzvermögen, also Wertpapiere und Spareinlagen, und Realvermögen, wie etwa Immobilien und Betriebsvermögen, abzüglich aller Schulden. Wenngleich die Daten auf Befragungen von über 80.000 Haushalten beruhen, erlauben sie keine validen Aussagen zu hochvermögenden Haushalten, was zu einer Unterschätzung der Vermögenskonzentration in der Spitze sowie des Gesamtvolumens der Finanz- und Betriebsvermögen führt, da diese in großen Teilen von den reichsten Haushalten gehalten werden. Andererseits bilden die Daten die Vermögensverteilung der unteren Perzentile sehr gut ab und erlauben für diese detaillierte Einblicke und Vergleiche.

Geringste Eigentumsquote

Tatsächlich zeigt sich, dass die Vermögensungleichheit, gemessen am Gini-Koeffizienten der Nettovermögen, in Deutschland so hoch ist wie in keinem anderen der in diesen Daten erfassten Länder (siehe Grafik). Zudem hat Deutschland die geringste Wohneigentumsquote. Nur knapp 45% aller deutschen Haushalte sind Eigentümer ihres Wohnsitzes. In allen anderen Ländern mit Ausnahme Österreichs hält die Mehrheit der Haushalte selbst genutztes Wohneigentum, in 17 der betrachteten 22 Länder sind dies sogar mehr als zwei Drittel aller Haushalte. Außerdem gehen höhere Wohneigentumsquoten im Ländervergleich mit geringerer Vermögensungleichheit einher: In denjenigen Ländern, in denen mehr als zwei Drittel der Haushalte Wohneigentümer sind, ist der Gini-Koeffizient der Nettovermögen im Durchschnitt um mehr als 10 Prozentpunkte geringer als in Deutschland.

Zusammenhang leicht erklärbar

Der Zusammenhang zwischen Wohneigentum und Vermögensungleichheit ist leicht zu erklären: Sieht man von der Spitze der Vermögensverteilung ab, stellen Immobilien die weitaus größte Komponente der Haushaltsvermögen dar. In Ländern mit vielen Wohneigentümern werden die Immobilienvermögen zu einem Gutteil von Haushalten in den unteren und mittleren Perzentilen der Vermögensverteilung gehalten, was mit einer insgesamt gleicheren Verteilung der Vermögen einhergeht. Besonders anschaulich wird diese Überlegung, wenn man Haushalte in der Mitte der Nettovermögensverteilung betrachtet, also die Perzentile 40 bis 60. In der gesamten Eurozone befinden sich in dieser Gruppe über 80% Wohneigentümer, in Deutschland sind dies jedoch nur weniger als 40%. Selbst unter relativ vermögensarmen Haushalten in den Perzentilen 20 bis 40 findet sich immerhin ein Drittel Wohneigentümer in der Eurozone, in Deutschland hingegen nur weniger als 5%.

Schwache Vermögensbildung

Mit anderen Worten: Geringes Wohneigentum geht einher mit größerer Ungleichheit in der Verteilung der Immobilienvermögen und damit auch der gesamten Nettovermögen. Mieter gleichen das fehlende Immobilienvermögen nicht annähernd durch andere Vermögenstitel aus. So sind die Nettovermögen der Eigentümer mit durchschnittlich über 600.000 Euro etwa achtmal so groß wie die Nettovermögen der Mieter, die in Deutschland im Durchschnitt bei 77.000 Euro liegen.

Eine weitere Konsequenz geringen Wohneigentums ist die schwache Vermögensbildung der meisten deutschen Haushalte im europäischen Vergleich. Setzt man die Nettovermögen ins Verhältnis zu den Jahreseinkommen, jeweils getrennt nach Quintilen der Nettovermögensverteilung, so liegen die deutschen Haushalte in allen Gruppen unterhalb des europäischen Durchschnitts (siehe Grafik). In den Quintilen 20 bis 40 und 40 bis 60 ist die Vermögensbildung sogar nur etwa halb so groß. Lediglich im obersten Quintil erreichen die Vermögens-Einkommensverhältnisse etwa den europäischen Durchschnitt, da hier zum einen fast alle Haushalte in Deutschland Wohneigentümer sind und zum anderen das Immobilienvermögen im gesamten Vermögensportfolio eine relativ geringere Rolle spielt. Übrigens haben die vermögensärmsten 20% sowohl in Deutschland als auch in der Eurozone leicht negative Nettovermögen.

Auch im OECD-Vergleich hinten

Das geringe Wohneigentum in Deutschland ist somit eng verbunden mit der im europäischen Vergleich schwachen Vermögensbildung und einer hohen Vermögensungleichheit. Aber nicht nur in der Eurozone kommt Deutschland eine Sonderrolle zu. Auch innerhalb der OECD liegt Deutschland beim Wohneigentum am unteren Ende und wird nur noch von der Schweiz unterboten, die im Übrigen ebenfalls eine hohe Vermögensungleichheit aufweist.

Drei Politiken, die Mieter begünstigen

Doch warum ist die Wohneigentumsquote in Deutschland so gering? Dieser Frage gehe ich gemeinsam mit Koautoren in einer jüngeren Publikation nach, in der wir die Rolle einiger wohnungspolitischer Instrumente untersuchen. Wir betrachten drei Politiken, die Mieter im Vergleich zu Wohneigentümern in Deutschland begünstigen: Erstens macht eine recht hohe Grunderwerbsteuer den Erwerb sowie den Weiterverkauf eines Eigenheims unattraktiv. Zweitens lassen sich die Kosten von Immobiliendarlehen für selbstgenutztes Wohneigentum nicht von der Steuer absetzen. Drittens ist der soziale Wohnungsbau so gestaltet, dass der Zugang zwar rationiert wird, doch bei weitem nicht auf die einkommensschwächsten Gruppen beschränkt bleibt. So lässt sich ebenfalls aus Befragungsdaten zeigen, dass immerhin knapp ein Viertel aller staatlich geförderten Wohnungen von Haushalten bewohnt wird, deren Einkommen oberhalb des Medians liegen.

Gleichgewichtsmodell entwickelt

Zur Beurteilung der quantitativen Politikwirkungen entwickeln wir ein Gleichgewichtsmodell des Wohnungsmarktes in Deutschland, das neben den genannten Wohnungspolitiken weitere wichtige Faktoren für Wohneigentumsentscheidungen berücksichtigt: Unsicherheit der Arbeitseinkommen über den Lebenszyklus, Miet- und Preisrisiken sowie Kreditbeschränkungen. Wir berücksichtigen zudem, dass sich Immobilienpreise und Mieten an Nachfrageänderungen anpassen können. Sämtliche Modellparameter schätzen wir aus Daten für Deutschland oder übernehmen sie aus anderen empirischen Studien.

Höhere Quote wäre möglich

Auf Basis des geschätzten Modells untersuchen wir, welche Wirkungen die drei Politiken auf das Wohneigentum haben. Dazu setzen wir jede Politik auf vergleichbare Werte für die USA, ein Land mit einer deutlich höheren Wohneigentumsquote, sehr geringen Transaktionssteuern, steuerlicher Abzugsfähigkeit von Hypothekenzinsen und ohne nennenswerten sozialen Wohnungsbau. Unsere Ergebnisse zeigen, dass jede der drei Politikänderungen eine deutliche positive Wirkung auf die Wohneigentumsquote mit sich bringt. In Kombination würden alle drei Anpassungen die Wohneigentumsquote von derzeit 45% auf 58% erhöhen und damit die Lücke zu den USA um etwa zwei Drittel schließen.

Während aktuell die vermögensreichsten 30% der Haushalte zum Großteil Eigentümer und die untersten 50% fast alle Mieter sind, würde die Änderung der Wohnungspolitik vor allem Haushalte in der Mitte der Vermögensverteilung zu Eigentümern machen. Zwar reduzieren Haushalte ihre Finanzvermögen zugunsten von Immobilienbesitz und sie verschulden sich stärker, insgesamt steigt jedoch das Nettovermögen der Haushalte um mehr als 11% an.

Wohnungspolitik hat somit eine beachtliche Wirkung auf Wohneigentum und Vermögensbildung. Allerdings ist es nicht offensichtlich, ob derartige Politikmaßnahmen tatsächlich die Wohlfahrt der Haushalte befördern. Zur Beantwortung dieser Frage untersuchen wir, ob die geänderten Politiken Haushalte in unterschiedlichen Segmenten der Einkommensverteilung besser oder schlechter stellen. Wir berücksichtigen dabei, dass der Staat sein Budget durch Steueranpassung ausgleichen muss und dass sich Hauspreise und Mieten an Nachfrageänderungen anpassen.

Änderungen spielen beachtliche Rolle

Preisänderungen und Steueranpassungen spielen durchaus eine beachtliche Rolle. Sie führen etwa dazu, dass eine Senkung der Grunderwerbsteuer mit langfristigen Wohlfahrtsverlusten verbunden ist, die sich durch Umverteilungswirkungen erklären lassen: Höhere Mieten ebenso wie höhere Einkommensteuern schaden ärmeren Haushalten, die auch nach der Reform nicht zu Eigentümern werden und somit nicht von der Senkung der Grunderwerbsteuer profitieren.

Besser direkt fördern

Hingegen erhöht sowohl die Abzugsfähigkeit der Hypothekenzinsen als auch die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus langfristig die Wohlfahrt sämtlicher Haushalte, selbst derjenigen mit niedrigen Einkommen. Noch größere Wohlfahrtsgewinne lassen sich erzielen, wenn der soziale Wohnungsbau als rationierte Objektförderung durch eine Subjektförderung, also direkte wohnkostenabhängige Transfers an einkommensschwache Haushalte, ersetzt wird.

Einige weitere Einflussfaktoren haben wir in unserer Studie unberücksichtigt gelassen. So könnten Unterschiede im Mietrecht hinsichtlich Kündigungsschutz und Begrenzung der Mietanpassungen eine Rolle für die relative Attraktivität des Mietens spielen und damit internationale Unterschiede im Wohnbesitz erklären. Allerdings bewirkt ein stärkerer Mieterschutz höhere Risiken und Kosten für die Vermieter, was wiederum zu einer
Verknappung des Mietangebots an günstigem Wohnraum führen kann. Somit sind die Wirkungen des Mieterschutzes auf Wohneigentum und Wohlfahrt keineswegs offensichtlich.

„Hotel Mama“ verzerrt das Bild

Eine weitere Rolle bei der Entscheidung für oder gegen Wohneigentum spielen die Haushaltszusammensetzung sowie die Arbeitsmarktbedingungen. In Italien etwa leben mehr als 60% der jungen Erwachsenen unter 40 Jahren gemeinsam mit ihren Eltern, mehr als doppelt so viele wie in Deutschland. Dies erhöht bereits automatisch die Wohneigentumsquote, da diese jungen Erwachsenen keinen eigenen Haushalt konstituieren, während die Eltern oftmals Wohneigentümer sind. Aufbauend auf unserer Publikation haben meine Kollegen kürzlich eine weitere Arbeit publiziert, in der sie den Einfluss unterschiedlicher Faktoren für die Entscheidungen zum Verbleib im Elternhaushalt und zum Erwerb von Wohneigentum untersuchen. Darin zeigen sie, dass niedrigere Einstiegsgehälter in Italien im Vergleich zu Deutschland sowie ein höheres relatives Mietniveau beide Entscheidungen begünstigen und einen Teil der Unterschiede zwischen Italien und Deutschland erklären können.

Forschung geht weiter

In einem laufenden, durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt untersuchen wir die Rolle weiterer familienspezifischer Faktoren sowie von Wohnungspolitiken, die eine starke familienbezogene Komponente haben. Die Eigenheimzulage, die im Jahr 2005 abgeschafft wurde, hatte den Aufbau selbst genutzten Wohneigentums durch recht großzügige Einkommensgrenzen insbesondere für verheiratete Paare mit Kindern sowie kinderbezogene Zulagen stark gefördert. Mit dem Baukindergeld wurde ein kleineres Programm, das zudem nur auf die Jahre 2018 bis 2021 begrenzt war, deutschlandweit eingeführt und in Bayern durch weitere Zulagen ergänzt. Unser aktuelles Projekt untersucht unter anderem die Wirkung dieser Programme auf Angebot und Nachfrage nach selbst genutztem Wohneigentum. Die Forschung zum Zusammenspiel zwischen Wohnungspolitik, Wohnentscheidungen und Vermögensbildung dürfte somit auch in den kommenden Jahren weitere gesellschaftlich und politisch hoch relevante Erkenntnisse beisteuern.

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