Berlin

Auch Abgeordnete brauchen Schutzräume

Ob auch Parlamentsausschüsse öffentlich tagen sollten, wird schon lang diskutiert. Es gibt viele Gründe dagegen.

Auch Abgeordnete brauchen Schutzräume

Wer wollte nicht gern Mäuschen sein, wenn im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags die Abgeordneten um die Verteilung von Steuergeld ringen. Die Ampel-Koalition hatte sich vorgenommen, dass für bestimmte Ausschüsse öffentliche Sitzungen zur Regel werden. Sie sollen auch in Echtzeit im Internet übertragen werden. So ist es im Koalitionsvertrag vereinbart. Bislang bedurfte es für eine öffentliche Sitzung, etwa die Anhörung von Sachverständigen zu einem Gesetzentwurf, eines gesonderten Beschlusses des Ausschusses. Grundsätzlich tagten die Bundestagsausschüsse ohne Zuschauer und Presse.

Öffentliche Ausschusssitzungen sind schon lang Gegenstand von Diskussionen. In zehn Bundesländern und im Europaparlament sind sie gängige Praxis, im Bundestag die Ausnahme. Die Befürworter versprechen sich mehr Transparenz, einen Einblick in den Maschinenraum politischer Willensbildung. Der finanzpolitische Sprecher der Linken, Christian Görke, hält es für ein „Selbstverständnis für jeden Demokraten“.

Im Dezember – ein Jahr nach Amtsantritt der Ampel – hatte der Bundestag nun eine novellierte Geschäftsordnung mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP beschlossen. Es ist die erste Generalrevision der Geschäftsordnung seit 1980. Union und AfD stimmten dagegen, die Linke enthielt sich. Eine der wesentlichen Neuregelungen ist, dass die Ausschüsse selbst darüber entscheiden dürfen, ob sie öffentlich tagen. Der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner ging davon aus, dass sechs Ausschüsse im Januar festlegen werden, regelmäßig mit Publikum zu tagen. Bislang ist vom Kultur- und Medienausschuss bekannt, dass das Gremium prinzipiell öffentlich tagen will. Bei Bedarf an Geheimhaltung oder schutzwürdigen Interessen Dritter will der Kulturausschuss auch wieder geheim debattieren. Der Ausschuss für Bildung und Forschung hat seit Jahresbeginn vor allem öffentliche Sitzungen abgehalten. So ist es auch beim Petitionsausschuss, allerdings traditionell. Dies liegt in der Natur der Aufgabe.

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Unter Experten sind die Meinungen geteilt, ob eine öffentliche Ausschusssitzung zu mehr Einblick ins Parlament und einer besseren Akzeptanz der Demokratie führt. Der frühere Direktor beim Deutschen Bundestag, Horst Risse, bezweifelte in der Anhörung zur Änderung der Geschäftsordnung, dass eine regelmäßige Änderung sinnvoll sei. „Man sollte nicht annehmen, dass dort, wo Ausschüsse öffentlich sind, auch Transparenz herrscht“, sagte Risse den Abgeordneten.

In der Tat führt die Präsenz von Publikum und Presse eher dazu, dass der Austausch auf öffentliche Wirkung angelegt ist als auf inhaltliche Aspekte. Im Plenum ist dies so. Der Ausschuss, der ein Arbeitsgremium des Bundestags sein soll, würde zum Mini-Plenum. Der geschützte Raum erlaubt einen Austausch unter Abgeordneten verschiedener Couleur, der nicht immer streng der Parteilinie folgen muss. Dies weitet den Kopf. Solch vertrauliche Runden würden voraussichtlich außerhalb des Parlaments zusammenfinden. Auch Abgeordnete brauchen Schutzräume.

Transparenz kann sogar schaden: Kaum vorstellbar, dass die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss öffentlich über Waffenlieferungen in die Ukraine beraten oder im Auswärtigen Ausschuss über den Umgang mit China. Ihrer Tagesordnung zufolge werden diese Ausschüsse ebenso wenig regelmäßig öffentlich tagen wie die Ausschüsse für Wirtschaft oder Entwicklungshilfe, für Landwirtschaft oder Umwelt. Der Haushaltsausschuss hat nicht einmal seine Tagesordnung öffentlich gemacht.

Der Finanzausschuss des Bundestags hat sich nun grundsätzlich gegen öffentliche Sitzungen entschieden und dies sogar mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen. Görke mahnt, dass der Einfluss dort auf die Mandatsträger besonders hoch sei. Es gehe immerhin auch um die Steuerlast „von Superreichen und Großkonzernen“. Beschlüsse der Ausschüsse werden jedoch veröffentlicht und auch, welche Fraktion wie votiert hat. Dies wird auch so bleiben. Politisch Interessierte gewinnen inhaltliche Transparenz über das Kleingedruckte, nicht über die große Geste.

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