Berlin

Berlin wird zum Testfall

Gerade hatten die Berliner Gesundheitsämter noch alle Hände voll zu tun, um während der dritten Corona-Welle die Infektionsketten im Blick zu behalten. Jetzt sinkt die Infektionsdynamik, dafür sprießen die Schnelltest-Stationen immer schneller aus dem Boden.

Berlin wird zum Testfall

Gerade hatten die Berliner Gesundheitsämter noch alle Hände voll zu tun, um während der dritten Corona-Welle die Infektionsketten im Blick zu behalten. Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 scheint diese Aufgabe für die Behörden in der Hauptstadt mittlerweile wieder beherrschbar zu sein. Dafür wird es an anderer Stelle zunehmend unübersichtlich. Denn wie überall im Land sprießen auch in Berlin die Corona-Schnelltest-Stationen aus dem Boden, unter anderem in Bäckereien, in Spielhallen und bei Dachdecker-Betrieben, neben Einkaufszentren, auf Parkplätzen, bei Friseuren und in Shisha-Bars. Und die Gesundheitsämter sind für die Kontrollen der hygienischen Umstände und der medizinischen Abläufe zuständig. Der Berliner Amtsarzt Patrick Larscheid beziffert die Zahl der Teststellen in Berlin mittlerweile auf rund 1400. „Sie wachsen schneller aus dem Boden, als wir informiert werden, wo überhaupt eine ist“, sagte der Mediziner der Nachrichtenagentur dpa.

*

Immer mehr Bürger beschwerten sich über zweifelhafte Tests und Ergebnisse. Das wundert den Amtsarzt allerdings nicht. Denn die einzige Kompetenz, die für die Eröffnung einer Teststelle erforderlich sei, „ist draußen ein Schild aufhängen zu können“. Das Gesundheitsamt in Reinickendorf, in dem auch Larscheid arbeitet, gehe Beschwerden nach und prüfe derzeit 10 bis 15 Schnelltest-Stellen pro Tag. Dabei gehe es nicht allein um fachgerechte Abstriche in Nase oder Rachen. „Unsere Befürchtung ist eher, dass es eine ideale Möglichkeit ist, ohne jeden Nachweis vom Staat Geld in relevanten Größenordnungen abzukassieren“, sagt Larscheid. Denn die Beauftragung neuer Teststellen läuft auf Antrag über den Berliner Senat. Die Kosten vergütet der Bund pro gemeldeten Test. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin nimmt die monatlichen Meldungen der entstandenen Kosten der registrierten Testanbieter entgegen, kann sie nach eigenen Angaben aber ausschließlich auf formale Aspekte prüfen.

*

„Dass dieses System zum Betrug einlädt, ist sicher nicht zu viel gesagt“, erklärt Larscheid. Dass so mancher Betreiber mit krimineller Energie unterwegs ist, legen auch Recherchen von „Süddeutscher Zeitung“, WDR und NDR nahe, die zeigen, dass vielerorts deutlich mehr Tests bei den Kassenärztlichen Vereinigungen abgerechnet werden, als durchgeführt wurden. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin hat für den Monat März rund 1,3 Mill. Euro und für den Monat April rund 16,7 Mill. Euro an Teststellen-Betreiber ausgezahlt. Darüber hinaus wurden für selbst beschaffte Tests rund 8 Mill. Euro erstattet. Deutschlandweit steuert der Schnelltest-Markt bereits auf die Milliardenschwelle zu. Das Bundesamt für soziale Sicherung, über das die Schnelltests abgerechnet werden, teilte am Freitag mit, dass im ersten Halbjahr fast 733 Mill. Euro vom Bund für das Bereitstellen und Durchführen von Schnelltests in Deutschland ausgezahlt wurden.