Chinas Regulierungswut wird zum Anleger-Alptraum

Seit November hat die chinesische Regierung die Regulierungsschrauben für heimische Techunternehmen angezogen und mit überfallartigen Angriffen auf einzelne Adressen oder Dienstleistungssegmente gepaart.

Chinas Regulierungswut wird zum Anleger-Alptraum

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Anleger bei chinesischen Technologieunternehmen graut es in diesen Zeiten regelrecht vor dem Wochenende und einem bösen Markterwachen am Montag. Seit November hat die chinesische Regierung die Regulierungsschrauben für heimische Techunternehmen immer weiter angezogen und dies mit überfallartigen Angriffen auf einzelne Adressen oder Dienstleistungssegmente gepaart. Im Juli ist die Kadenz der regulatorischen Offensive schlagartig erhöht worden.

Wenige Tage nach dem Börsengang von Didi Global an der New York Stock Exchange (Nyse) wurde der chinesische Fahrtdienstriese mit einer weitreichenden Untersuchung wegen Datensicherheitsproblemen konfrontiert und noch am selben Wochenende mit einer Neukundensperre belegt. Eine Woche später mündete dies in neuen Regeln, die künftige US-Börsengänge von chinesischen Techfirmen einem neuen Genehmigungsverfahren in Sachen Datenschutz unterziehen. Dies gibt Peking nun alle Freiheiten, den Drang der Internetunternehmen an die Wall Street als attraktivstem Kapitalbecken zu unterbinden und sie stattdessen auf die Finanzplätze in Hongkong, Schanghai und Shenzhen zu verweisen.

Es folgten weitere Scharmützel mit der Untersagung einer Fusion von Livestreaming-Plattformen, neuen Wettbewerbsregeln für Onlinemusikdienste und einer Strafliste von über 140 Apps mit Datenschutzproblemen. Am Wochenende hat es nun die bislang boomende chinesische Onlineschulungsbranche erwischt, die man unter dem Stichwort Education Technology (Edutech) kennt. Einer neuen Verordnung zufolge sollen alle Lehr-und Nachhilfeangebote mit Schulfächerbezug künftig als gemeinnützige Veranstaltung aufgezogen werden, was die Geschäftsmodelle hoffnungslos torpediert.

Das Fass läuft über

Man könnte meinen, dass der Frontalangriff auf die chinesische Edutech-Gemeinde sich auf ein Blutbad bei den entsprechenden, vornehmlich in New York und Hongkong gelisteten Aktien beschränkt. Tatsächlich aber scheint nun ein Fass übergelaufen zu sein. Den Anlegern wird schmerzhaft vor Augen geführt, dass die Aktion gegen Didi als vermeintlicher Kulminationspunkt der Pekinger Offensive tatsächlich nur eine Zwischenstation war.

Am Montag hat das chinesische Industrie- und Technologieministerium noch einmal ordentlich nachgetreten. So wurde offiziell eine „spezielle Rektifikationskampagne“ für die chinesische Internetindustrie ausgerufen, mit der in einem sechsmonatigen Zeitraum auf acht Eingriffsfeldern, darunter insbesondere „Störung der Marktordnung“, „Verstöße gegen Verbraucherrechte und Interessen“ sowie „Datensicherheit“ neue Regulierungsmaßnahmen eingeleitet werden. Damit ist hinreichend klar, dass es von den börsennotierten Riesen wie Alibaba, Meituan oder Tencent bis hin zu Start-ups-mit IPO-Ambitionen jeden in einer Art und Weise erwischen kann, die das Einpreisen des Faktors Regulierungsrisiko reichlich verkompliziert.

Panikstimmung

Die rüde Erkenntnis kauft den Anlegern nun auf breiter Front den Schneid ab. Selbst der von Technologiewerten wenig berührte Leitindex für die chinesischen Festlandbörsen brach am Montag um 3,2% ein, während der Hongkonger Leitindex Hang Seng um 4,1% in die Knie ging. Damit erlebt man die heftigste Korrektur an chinesischen Aktienmärkten seit Mai 2020. Die Panikstimmung an den Börsen entlädt sich freilich in erster Linie im Abverkauf von Technologieaktien, zieht aber andere Bereiche in Mitleidenschaft. Dazu gehören nicht zuletzt auch der Gesundheitssektor und die Immobilienbranche, wo man als Nächstes breitere Regulierungskampagnen verortet.

Manche mögen den Hongkonger Markt als möglichen Profiteur der Beschränkungsmaßnahmen für chinesische IPOs in den USA ansehen, weil damit die Hong Kong Exchanges als nächstbester Offshoreplatz mit internationaler Investorenanbindung für Techemissionen in den Fokus rückt. Tatsächlich aber dürfte das Emissionsklima über Monate hinweg vergiftet sein. Auch was die laufende Performance in diesem Jahr angeht, sind es keineswegs nur die China-Aktien in New York, die gequält werden.

Der sogenannte Nasdaq Golden Dragon Index, mit dem die Entwicklung chinesischer Emittenten an der Technologiebörse Nasdaq nachgezeichnet wird, hat eine rasante Talfahrt hingelegt, aber der vor genau einem Jahr stolz lancierte Hongkonger Hang Seng Tech Index steht ihm in nichts nach. Tatsächlich ist die neue Benchmark für ein wuchtigeres Exposure von globalen Anlegern im chinesischen Techsektor gegenwärtig das Techbarometer mit der weltweit schlechtesten Performance in diesem Jahr.

Schlechte Tombola

Der Index war noch im Februar 2021 knapp 60% im Plus, ist aber nun mehr oder weniger auf den Anfangsstand zurückgefallen, während die vergleichbaren Benchmarks wie der MSCI World Information Technology Index und der Nasdaq 100 Index binnen Jahresfrist um mehr als 40% zugelegt haben. Wer den gewaltigen Absturz der chinesischen Techaktien nun als günstige Einstiegschance wähnt, muss gute Nerven haben. Der Pekinger Feldzug gegen die Techbranche ist noch lange nicht vorüber und macht die Marktbewertung der Sektoraktien zu einer Tombola, bei der man derzeit praktisch nur Nieten ziehen kann.