LeitartikelEuro-Clearing

Das Leck in Europas Finanzstabilität

Die Einigung zum Euro-Clearing ist allenfalls ein Hoffnungswert. Die Europäische Union müsste viel strikter darauf dringen, die Verrechnung der Euro-Zinskontrakte in ihr Hoheitsgebiet zu verlagern.

Das Leck in Europas Finanzstabilität

Euro-Clearing

Das Leck in Europas Finanzstabilität

Von Detlef Fechtner

Der politische Preis dafür, dass Banken und Fonds am Clearing in London festhalten wollen, ist ziemlich hoch.

Über die politischen Aufräumarbeiten nach der großen Banken- und Finanzkrise ist schon viel gestritten worden, über das Ausmaß und über die Maßnahmen im Einzelnen. Die einen beklagen einen "Regulierungs-Tsunami". Die anderen lästern, das "Kasino" sei wieder geöffnet worden, ohne wirkliche Lehren zu ziehen. Immerhin: Weitgehend herrscht Einvernehmen, dass Banken und Kapitalmärkte heute resilienter sind als vor der Lehman-Pleite – dank Basel III und CRD IV, dank einheitlicher Aufsicht und einheitlicher Abwicklung.

Unterschätzte Derivateverordnung

Seltener spielt in der Debatte über die richtigen Lehren hingegen die EU-Derivateverordnung Emir eine Rolle. Das ist eine fatale Unterschätzung. Denn zu häufig wird die stabilisierende Wirkung des Clearings standardisierter Derivate übersehen, die Emir zur Pflicht gemacht hat. Die Einschaltung von Zentralen Gegenparteien und ein ausgeklügeltes System von Sicherheitsmargen und Nachschusspflichten hat dafür gesorgt, dass es in den vergangenen Jahren selbst in Phasen von Marktstress nicht zu Turbulenzen oder Kettenreaktionen kam.

Im Umkehrschluss bedeutet das freilich, dass Clearinghäuser wegen ihres herausragenden Stellenwerts für die Finanzstabilität aufmerksam und wirkungsvoll beaufsichtigt werden müssen. Wie aber soll das gehen, wenn der überwiegende Teil der Verrechnung von Börsengeschäften in London stattfindet? Mit dieser Frage haben sich Europas Gesetzgeber schon lange vor dem Brexit herumgeschlagen. Und auch heute noch beklagen die EU-Institutionen – beispielsweise in der aktuellen Emir-Novelle – die "anhaltenden Risiken für die Finanzstabilität", die sich aus der "übermäßigen Konzentration" des Clearings in einigen Zentralen Gegenparteien aus Drittländern ergeben. Das Bewusstsein für das Problem ist also vorhanden.

Jüngst haben sich Europas Gesetzgeber auf die Novelle der EU-Derivateverordnung verständigt. Dass überhaupt eine Einigung zustande kam, ist schon ein Erfolg. Die Verpflichtung der relevanten Marktakteure, ein "aktives Konto" innerhalb der EU zu unterhalten, ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Immerhin sind 40% der Teilnehmer am europäischen Zins- und Swapgeschäft bislang noch gar nicht mit einer Zentralen Gegenpartei innerhalb der EU verkabelt. So weit, so gut.

Quantitative Mindestschwellen torpediert

Dennoch bleibt das neue Regelwerk erst einmal ein bloßer Hoffnungswert. Dass die Vorgaben einen Sog weg vom London Clearing House hin zur Eurex auslösen, ist nicht ausgemacht. Und ob sich Frankfurt als aktiver zweiter Liquiditätspool neben London etabliert und im Krisenfall tatsächlich in großem Rahmen Geschäft aufnehmen kann, falls es schnell von der Insel auf den Kontinent verlagert wird, bleibt abzuwarten. Zumal nicht nur Investmentbanken und Fonds, sondern auch Regierungen wie etwa die französische quantitative Mindestschwellen für das Euro-Clearing innerhalb der EU torpediert haben. Nun hat man sich auf äußerst komplizierte Regeln der Berechnung geeinigt, hinter deren Tauglichkeit Fragezeichen stehen.

Abgeordnete und Regierungen müssen sich die Frage stellen, ob die Europäische Union nicht viel strikter darauf dringen müsste, die Verrechnung der Euro-Zinsterminkontrakte in ihr Hoheitsgebiet zu verlagern. Dabei geht es nur in zweiter Linie um geschäftliche Interessen. Die Einnahmen aus dem Euro-Clearing sind zwar attraktiv, aber nicht einmal für die beteiligten Börsen spielentscheidend. Viel wichtiger ist die Frage der Finanzstabilität – denn da gibt es noch immer ein Leck. Die Abhängigkeit von der britischen Aufsicht wird spätestens dann hochproblematisch, wenn ein Clearinghaus wie LCH in Schieflage geraten würde. Dann müssten die Marktteilnehmer aus der EU zwar gigantische Summen an Liquidität zur Verfügung stellen, aber die politischen Institutionen der EU wären kaum an der Steuerung des Krisenmanagements beteiligt. Der politische Preis dafür, dass Banken und Fonds am Clearing in London festhalten wollen, weil sie sich auch dauerhaft günstigere Konditionen und Netting-Vorteile versprechen, ist insofern ziemlich hoch. Und: Unter Risikoaspekten wäre es ohnehin besser, die Liquidität auf mehrere Pools zu verteilen.

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