Mailand

Die Fahrt nach Ligurien wird zur Tortur

Die Fahrt ans Meer kann in Italien zum Geduldsspiel werden. Fehlende Investitionen rächen sich jetzt.

Die Fahrt nach Ligurien wird zur Tortur

Ganz Italien ist jetzt „zona bianca“ – weiße Zone. Aufgrund der niedrigen Corona-Neuansteckungszahlen wurden die Maßnahmen weiter gelockert und fast überall sind die Masken gefallen, die bis vor wenigen Tagen auch draußen getragen werden mussten. Da es am Wochenende vor allem in der Po-Ebene brütend heiß war, nutzten viele Milanesi und Torinesi die neuen Freiheiten, um ans Meer ins nahe Ligurien zu fahren.

Doch das war ein Geduldsspiel. Denn die drei Autobahnen durch die Apennin-Berge stellen ein fast unüberwindbares Hindernis dar. Eine Baustelle nach der anderen und viele einspurige Abschnitte führten zu Mega-Staus, die auf diesen Strecken beinahe schon Normalzustand sind. Nach dem Einsturz der Autobahnbrücke von Genua im August 2018, bei dem 43 Menschen starben, wurden die unzähligen Brücken und Tunnels überprüft. Ergebnis: Viele der Bauwerke sind in gefährlichem Zustand, weil Wartungen seit Jahrzehnten unterblieben. Die Verantwortlichen der Autobahngesellschaft Autostrade per l’Italia (Aspi), die (noch) zu dem zu 30% von der Familie Benetton kontrollierten Infrastrukturkonzern Atlantia gehört, unterließen Arbeiten und drückten jedes Jahr, wenn Untersuchungen anstanden, auf die „Copy-Paste-Taste“. Same procedure as every year. Nun hat die Staatsanwaltschaft Genua Anklage gegen 59 Manager und Techniker des Unternehmens, aber auch gegen die staatliche Aufsicht erhoben, darunter Ex-Atlantia- und Aspi-Chef Giovanni Castellucci.

Die Zeche zahlen die Italiener – und, im Rahmen des europäischen Wiederaufbauprogramms, die europäischen Steuerzahler. Die Lage in Ligurien ist symptomatisch für die Versäumnisse in ganz Italien. Nur: In dem schmalen Küstenstreifen zwischen Bergen und Meer ist es besonders schlimm, weil an den dortigen Autobahnen eine Brücke auf die andere und ein Tunnel auf den anderen folgt. Ein Ausweichen auf die Bundes- und Landstraßen hilft nicht, denn auch die staatliche Straßenbaugesellschaft kam ihren Wartungspflichten nicht nach. Auf der Küstenstraße Via Aurelia sieht es eher noch schlimmer aus.

Wer auf den Zug umsteigt, der trifft es nicht besser. Tausende von Reisenden fanden keine Plätze in den überfüllten Zügen und wer es doch an einen Strand schaffte, erlebte die nächste Enttäuschung: Strandbäder in Camogli oder im kleinen Badeort Bonassola hatten keine Plätze mehr, die freien Strände waren voll wie sonst nur im August. Gar nicht zu reden von den pittoresken Küstenorten der Cinque Terre: Dort wälzten sich riesige Menschenmassen durch die schmalen Gassen. Sogar für einen lumpigen Parkplatz zahlt man etwa in Bonassola, zwei Orte vor den Cinque Terre gelegen, 120 Euro die Woche – sofern man das Glück hat, einen zu bekommen.

Für den Tourismus, der 7,5% zum Bruttoinlandsprodukt der Region beiträgt, ist das eine Katastrophe: Viele Urlauber sagen ihre Ferien ab. Doch nicht nur der Tourismus leidet: Unternehmen warten wegen der in Staus steckenden Lastwagen ewig auf Ware und der Hafen von Genua, bis 2019 der größte des Landes und größter Arbeitgeber Liguriens, verliert an Bedeutung. Er ist 2020 hinter dem süditalienischen Gioia Tauro auf Platz zwei abgerutscht.

Es rächt sich, dass jahrelang zu wenig investiert wurde: in nachhaltigere Strukturen, bessere Bahnverbindungen, eine Renovierung der prächtigen Altstadt Genuas, die in weiten Teilen heruntergekommen ist. Und ein Ende der Autobahnbaustellen ist erst in fünf Jahren zu erwarten. Dann soll endlich eine Bahn-Schnellstrecke nach Mailand fertig sein.

Wie es besser geht, zeigt das Beispiel der Adria-Stadt Rimini. Dort wurden mehrere 100 Mill. Euro in eine moderne Klär- und Regenauffanganlage, in eine Tram, die die Küstenstädte miteinander verbindet, in ein großes Radwegenetz, einen neuen Lungomare mit Dünen und Pflanzen sowie in eine vollständige Renovierung der historischen Altstadt aus der Römerzeit investiert. Ständig wird gekehrt und geputzt, das Auto ist weitgehend aus dem Zentrum verbannt worden. Und: Wer etwa von München mit dem Zug nach Genua will, muss zweimal umsteigen. Von Berlin nach Rimini verkehrt im Sommer ein durchgehender Zug.