Moskau

Die meisten Firmen sind geblieben

Nach Beginn des Ukraine-Kriegs haben sich westliche Firmen nicht in dem Umfang zurückgezogen wie gedacht. Und bei den verkauften Firmen setzen die neuen russischen Besitzer alles daran, trotz Umbenennung die alte Strahlkraft zu erhalten.

Die meisten Firmen sind geblieben

Eine Enttäuschung folgt meist einer unrealistischen Erwartung. Und so kommt es, dass die jüngste Studie der Universität St. Gallen über den säumigen Rückzug westlicher Unternehmen aus Russland so viel Aufsehen erregt. Denn von den insgesamt 2 405 Gesellschaften, die als Töchter von 1 404 EU- und G7-Unternehmen vor Beginn des Ukraine-Kriegs in Russland aktiv waren, sind bis Ende November – und de facto bis heute – die meisten geblieben. Nur 8,5 % der EU- und G7-Unternehmen hätten mindestens eine ihrer russischen Tochtergesellschaften veräußert. Der EU-Raum liegt mit 8,3 % leicht unterm Schnitt, die US-Firmen mit knapp 18 % und die japanischen mit 15 % deutlich darüber. Wobei man dazusagen muss, dass Europa nun mal der Haupthandelspartner der Russen war und ist und dass übrigens auch diverse US-Firmen ihr Russland-Geschäft aus der EU heraus abgewickelt haben. Was im Übrigen wenig thematisiert wird, ist die Tatsache, dass sich so gut wie alle jene Unternehmen, die sich aus Russland mittels Verkauf zurückgezogen haben, eine mehrjährige Rückkaufoption gesichert haben.

Allemal kurios in diesem Zusammenhang sind die Formen des Rebrandings, die die russischen Käufer vornehmen, um die Wirkkraft der westlichen Marke nicht zu verlieren und gleichzeitig doch als neues, rein russisches Unternehmen zu erscheinen. Bei McDonald’s etwa wurde das Erscheinungsbild nur leicht verändert, so dass die Umbenennung der Fast-Food-Kette in das etwas sperrige „Vkusno i totschka“ („Lecker und Punkt“) die Markenwirksamkeit nicht wirklich beeinträchtigt. Bei der US-Kette Starbucks, die ihre 130 Verkaufsstellen in Russland schon im März 2022 gestoppt und später veräußert hat, gingen die Käufer den einfachen Weg, nannten das Unternehmen – mit lateinischen Buchstaben – Stars Coffee und ersetzten im Logo die Nixe durch ein russisches Mädchen mit denselben Gesichtszügen und der traditionellen Kopfbedeckung der russischen Frauentracht (Kokoschnik). Ähnlich simpel gingen die Käufer der Kette Pizza Hut vor, die – in diesem Fall mit kyrillischer Schrift – ihre Läden in Pizza H umbenannten. Dass die Russen das H auch als H aussprechen, zeugt von der Stärke der alten Marke, denn der Buchstabe aus dem kyrillischen Alphabet entspricht einem lateinischen N. Nur eine Nuance kreativer waren die Käufer des Levi’s-Ladens im Moskauer Einkaufszentrum Aviapark. Sie nennen ihn JNS und wollen zwar möglichst viele Waren von Levi’s dort verkaufen, aber unter dem neuen Label ein breites Spektrum von Marken entwickeln, wie das russische Wirtschaftsmedium RBC schreibt.

Auch Verlagshäuser zogen sich zurück – etwa die amerikanische Mediengruppe Hearst, die mit ihren russischen Partnern unter anderem die Magazine „Elle“, „Cosmopolitan“, „Men’s Health“, „Esquire“, „Grazia“ und „Robb Report“ herausgegeben hatten. Das russische Rebranding: Aus „Cosmopolitan“ wurde „Voice“, aus „Esquire“ „Pravila zhizni“ („Lebensregeln“), aus „Men’s Health“ einfach „Men Today“, aus „Harper’s Bazaar“ wurde „The Symbol“. Und was vorher auf Russisch „Populäre Mechanik“ hieß, heißt jetzt paradoxerweise entgegen dem patriotischen Mainstream „TechInsider“.

Auch die russischen Filialen der vier großen globalen Wirtschaftsprüfer Ernst & Young, Deloitte, PwC und KPMG arbeiten nun getrennt von ihren Muttergesellschaften weiter. KPMG etwa unter dem Namen Kept. Und aus dem kanadischen Immobiliendienstleister Colliers International wurde in Russland kurzerhand Nikoliers. Auch Coca-Cola stellte ihre Tätigkeit in Russland sehr bald nach Kriegsbeginn ein. Im August wurde die russische Filiale in Multon Partners umbenannt. Auch das Getränk blieb – unter der neuen Marke „Dobryj Cola“ („Gute Cola“).

Manch russische Niederlassung europäischer Unternehmen tut es den Konkurrenten aus den USA gleich. Das russische Joint Venture des britischen Kosmetikproduzenten Lush wird nun unter der Marke Oomph weitergeführt. Und der finnische Kaffeeröster Paulig Group hat seine Fabrik in der Stadt Twer, 170 Kilometer nordwestlich von Moskau, Anfang Mai an den indischen Investor Vikas Soi verkauft. Jetzt heißt die Firma in Russland Millfoods und bringt den Kaffee unter der Marke Poetti auf den Markt.