London

Ein Pieks für die Allgemeinheit

Die Impfkampagne in Großbritannien läuft auf Hochtouren. Der Fortschritt ist vorbildlich. Unser Autor hat sich nun ebenfalls seine erste Dosis abgeholt.

Ein Pieks für die Allgemeinheit

Die Textnachricht vom Hausarzt war kurz: Bitte buchen Sie Ihren Impftermin. Dazu gab es einen Link zum Online-Buchungszentrum. In der Pandemie kann der National Health Service (NHS) die Stärken seiner Datenbank ausspielen. Wenn die Bevölkerung nach absteigendem Lebensalter durchgeimpft werden soll, lässt sich das automatisieren – zumindest für diejenigen, die eine Handynummer angegeben haben. Die anderen erhalten einen Brief oder werden angerufen. Die Zuständigkeiten sind klar geregelt, die Finanzierung der Impfkampagne ebenso. Hier braucht man keine Versicherungskarte mitzubringen. Solange man sein Geburtsdatum noch weiß, findet einen der Computer. Die Online-Buchung war denkbar unkompliziert. Es mussten keine persönlichen Daten oder Vorerkrankungen umständlich eingegeben, sondern lediglich ein Termin in einem zu Fuß erreichbaren Impfzentrum ausgewählt werden.

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Die anglikanische Kirche St. Barnabas im Londoner Stadtteil Southfields ist nicht so alt, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Zeiten, in denen bis zu 800 Plätze für die Gläubigen benötigt wurden, sind schon lange vorbei. Doch in diesen Tagen ist zumindest in der zum Impfzentrum umfunktionierten Gemeindehalle eine Menge Betrieb. Hier gibt es keine Schlange, sondern einen effizient organisierten Strom von Menschen, die sich von der Temperaturmessung am Eingang über die Wartezone mit in ausreichendem Abstand platzierten Stühlen, die ständig von freiwilligen Helfern gereinigt werden, zu den entlang der Wände aufgereihten Impfstationen bewegen. Es gibt den Oxford-Impfstoff von AstraZeneca. Die indische Krankenschwester am Tisch mit der Nummer 6 fragt kurz nach Allergien und danach, ob man an einer klinischen Studie zum Impfstoff teilgenommen hat. Ja, es habe zwei oder drei Leute gegeben, die wegen der Aussetzung der Impfungen mit diesem Vakzin in vielen europäischen Ländern verunsichert waren. Doch sie habe sie überzeugt, dass es besser sei, sich impfen zu lassen. Wie bei vielen britischen Ärzten, Wissenschaftlern und Mitarbeitern des Gesundheitswesens rufen die auf dem Kontinent ergriffenen Maßnahmen auch bei ihr Fassungslosigkeit hervor. Abgesehen davon, dass es keine wissenschaftliche Grundlage dafür gebe, würden dadurch die Impfgegner gestärkt. Nebenwirkungen? Nun ja, wer keine Probleme mit der Grippeimpfung gehabt habe, müsse sich keine Sorgen machen. Kopfschmerzen, ein dicker Arm und Schlappheit seien möglich, meist aber nach ein bis zwei Tagen wieder verschwunden.

Vielleicht liegt die große Impfbereitschaft auch daran, dass der NHS an den Altruismus der Menschen appelliert. Man lässt sich nicht nur impfen, um selbst geschützt zu sein. Natürlich ist das ein wichtiger Grund, aber auch in Großbritannien sind viele, vor allem junge Menschen, der Meinung, dass Corona für sie kein großes gesundheitliches Risiko darstellt. Deshalb wird dafür plädiert, sich impfen zu lassen, um chronisch Kranke, Alte und andere Risikogruppen zu schützen. Mit dieser Argumentation werden alljährlich ganze Schulklassen per Nasenspray gegen die jeweils aktuelle Grippe geimpft – nicht weil die Kinder selbst so schwer erkranken könnten, sondern weil sie ihre Großeltern infizieren könnten. In anderen Ländern brächte einem das Vorwürfe ein. Ziel der Regierung ist, auch Kinder gegen Corona zu impfen. Entsprechende Studien sind auf dem Weg. Man darf davon ausgehen, dass nur wenige etwas dagegen haben werden, ihre Eltern und andere Verwandte so zu schützen.

Trotz vieler besorgter Berichte über eine schwächere Impfbereitschaft bei ethnischen Minderheiten sind in Southfields beileibe nicht nur Weiße unter den Wartenden zu sehen. Die Desinformationskampagne gegen die Impfkampagne in den sozialen Medien greift offenbar nicht überall. Der National Health Services konnte vielen vermitteln, dass der Impfstoff beispielsweise keine Schweinegelatine enthält. Nach der Impfung gibt es ein Kärtchen, das man mitbringen soll, wenn die zweite Dosis ansteht, und einen Sticker mit der Aufschrift „Ich hatte meine Covid-Impfung“ sowie Herz und Krone. Und schon wird man von einem freiwilligen Helfer hinausbegleitet.