Notiert inBuenos Aires

Ein Tsunami namens Milei

Präsidentschaftskandidat Javier Milei fegt über Argentinien hinweg wie ein Tsunami – und jetzt ist er auch noch frisch verliebt. Aber auch inhaltlich gräbt er den anderen Kandidaten das Wasser ab.

Ein Tsunami namens Milei

Notiert in Buenos Aires

Ein Tsunami namens Milei

Von Andreas Fink

Und dann wurde es auch noch romantisch. Als bekannt wurde, dass Javier Milei sich seit Kurzem in einer Beziehung zu einer bekannten Schauspielerin befindet, gelang es dem abenteuerlich frisierten Präsidentschaftsfavoriten, auch noch die vermischten Seiten der Zeitungen zu füllen. Dass Milei sich nun ausgerechnet in die Blondine verliebt, die das Land kennt als Imitatorin der kapriziösen Vizepräsidentin Cristina Kirchner, war wie die Schaumkrone auf dem Tsunami namens Milei.

Seit der ultraliberale Außenseiter bei den Vorwahlen (PASO) die meisten Stimmen holte, ist die Pampa überflutet. Noch in der Wahlnacht errechneten Investoren, dass nun deutlich mehr als 60% der Argentinier für liberale und wirtschaftsfreundliche Kandidaten gestimmt hatten, und viele gingen mit der Hoffnung ins Bett, dass die Argentinier bei der Parlaments- und Präsidentenwahl am 22. Oktober nach fast acht Jahrzehnten den auszehrenden Populismus endlich abwählen werden. Anderntags kam aber die Erkenntnis, dass viele Wähler zwar die Seiten gewechselt haben. Aber auch Milei ist ein notorischer Vereinfacher. Er gelobt, die Finanzprobleme des Landes zu lösen, indem er die Zentralbank schließt. Und stattdessen den Dollar einzuführen, obwohl die Devisenreserven des Staates längst negativ sind. Er will den Haushalt um 15% reduzieren, verspricht aber den drei Millionen Staatsdienern Arbeitsplatzgarantie – und den Armen die Fortsetzung der Sozialhilfe. Er will mit den Politikern des herrschenden Systems aufräumen, denn diese formten mit Gewerkschaftsbossen und staatsnahen Unternehmern jene parasitäre „Kaste“, die in räuberischer Unersättlichkeit hauptverantwortlich sei für die chronischen Defizite der öffentlichen Kassen. „Gegen den einen Populismus kann nicht ein anderer helfen“, warnte der Verfassungsrechtler Daniel Sabsay jüngst.

Milei aber entgegnet all seinen Skeptikern gleichermaßen mit nur einem Wort: „ensobrados“. In diesem Neologismus steckt „sobre“, das auch „Briefumschlag“ bedeutet. „Verumschlagt“ sind also Leute, die ihn allein deshalb kritisieren, weil sie von irgendwoher Geld zugesteckt bekommen haben. Zu den Fragen, die nun aufkommen, gehört etwa jene nach Mileis Rückhalt in den beiden Parlamentskammern. Weil im Oktober nur ein Drittel des Senats sowie nur die Hälfte der Abgeordnetenkammer neu besetzt werden, kann seine Fraktion höchstens ein Zehntel der Senatsposten und ein Siebtel der Sitze im Kongress erwarten. Aber Milei verspricht, bei Großprojekten einfach direkt das Volk zu befragen – sei es die Einführung des Dollar oder eine große Steuerreform.

Jüngst sprach Milei vor Unternehmern. Der Applaus war deutlich verhaltener als bei seinen Wahlkampfrallys, wo er auftritt wie eine Mischung aus Mick Jagger und evangelikalem Prediger. Eliten – und ausländische Investoren – waren von Mileis Wahlsieg ebenso überrascht wie die anderen Kandidaten, die nun hoffen, dass sich der Dauerredner verplappert oder verrennt und nicht am Ende jene 45% erreicht, die zum Sieg reichen. Aber der Regierungskandidat Sergio Massa ist als Finanzminister direkt verantwortlich für die 115% Inflation. Und die Mitte-Rechts-Kandidatin Patricia Bullrich trat an, um den Peronismus mit Recht und Ordnung in Rente zu schicken. Doch Milei hat ihr die Argumente abgenommen. Und er ist neu. Und noch dazu frisch verliebt.

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