Bilanzausweis

Endspurt für Versicherer zu IFRS 17

In einem Jahr ändert sich der Bilanzausweis für Versicherungsverträge radikal. Investoren sollen mehr Infos bekommen und Versicherer einen besseren Blick aufs eigene Geschäft. Doch es wird teuer.

Endspurt für Versicherer zu IFRS 17

Von Antje Kullrich, Köln

Die Uhr tickt. Noch gerade mal ein Jahr haben die IFRS-Bilanzierer unter den Versicherern Zeit, um sich auf den anstehenden radikalen Umbruch im Reporting vorzubereiten: IFRS 17. Der neue Standard hat es in sich, nicht ohne Grund wurde über 20 Jahre über die Ausgestaltung debattiert.

IFRS 17 regelt die Bilanzierung von Versicherungsverträgen, ihre Erfassung, Bewertung und den Ausweis im Geschäftsbericht und löst den seit 2005 geltenden Interimsstandard IFRS 4 ab. Investoren sollen in Zukunft besser beurteilen können, wie sich Versicherungsverträge auf Finanz- und Ertragslage sowie die Zahlungsströme eines Versicherers auswirken.

Mit jedem Abschluss einer Police muss der Anbieter künftig eine Erwartung verknüpfen und diese in seiner Rechnungslegung abbilden. Wenn ein Versicherer Verluste in Kauf nimmt, um zum Beispiel in einen Markt hineinzukommen, wird das unter IFRS 17 besser sichtbar sein. „Defizitäres Geschäft führt unmittelbar zu Verlusten, die separat ausgewiesen werden müssen, während Gewinne aus profitablem Neugeschäft häufig erst später in der GuV sichtbar werden“, sagt Simon Kazmierowski, Versicherungsexperte bei Willis Towers Watson.

Fehltarifierungen werden also transparenter. Das könne auch zu stärkeren Konflikten zwischen Un­der­writing- und Pricing-Abteilungen auf der einen Seite und dem Finanzressort auf der anderen Seite führen, mahnt Kazmierowski.

Transparent, aber komplex

Mit IFRS 17 ist außerdem die Hoffnung verbunden, dass Investoren die Assekuranzkonzerne besser vergleichen können als bislang. Kazmierowski sieht dabei allerdings auch Probleme: „IFRS 17 erhöht zwar die Vergleichbarkeit, aber es wird auch komplexer. Und damit wird die Verständlichkeit erschwert.“ Selbst Branchenkenner werden sich intensiv einlesen müssen. Für zahlreiche Investoren und Analysten aber gelte: „Was sich nicht in eine einzelne Excel-Tabelle pressen lässt, sorgt für Unbehagen“, formuliert es Kazmierowski salopp. Es bestehe deshalb die Sorge, dass der viel beklagte Bewertungsabschlag von Versicherungsunternehmen im Vergleich zu Industriekonzernen sich mit IFRS 17 nicht reduziere. Doch genau das ist eines der Ziele.

Investoren und Analysten werden neue Begriffe und Abkürzungen wie die Contractual Service Margin (CSM) oder die Liability for Remaining Coverage (LRC) lernen und bewerten müssen. Denn das alte Schema von Prämien, Schäden und Leistungen hat in der künftigen IFRS-17-Welt­ ausgedient. Einnahmen und Ausgaben müssen demnächst als Cash-flows modelliert werden.

IFRS 17 ist für Versicherer ein Riesenakt. Willis Towers Watson (WTW) geht von gigantischen 15 bis 20 Mrd. Dollar aus, die allein die Umsetzung des neuen Standards weltweit verschlingen dürfte. Die Beratungsfirma hat in diesem Jahr die nach eigenen Angaben wohl umfassendste IFRS-17-Studie vorgelegt und dafür und dafür 312 Versicherer aus 50 Ländern befragt.

Der CEO der österreichischen Uniqa Insurance Group schätzte einmal, dass die Kosten für die Einführung von IFRS 17 etwa doppelt so hoch lägen wie für die Implementierung des seit 2016 geltenden Aufsichtsregimes Solvency II. Die Munich Re beziffert ebenso wie die Allianz den Aufwand auf einen dreistelligen Millionenbetrag. CFO Christoph Jurecka hat in einem Interview verdeutlicht, warum die Einführung so teuer ist: Der weltgrößte Rückversicherer, der mit der Ergo auch noch ein großes Erstversicherungsgeschäft betreibt, muss 50 Millionen Verträge anfassen und 50 IT-Systeme umstellen.

Die zersplitterte IT-Landschaft vieler deutscher Versicherer dürfte ihren Teil dazu beitragen, die Kosten in die Höhe zu treiben. 2022 werden viele Testläufe starten. Bei der Talanx erwartet CFO Jan Wicke ein intensives Jahr: „Alte“ und „neue“ Rechnungslegung werden parallel angewendet, was eine starke Doppelbelastung für die Finanzabteilung bedeute, schrieb der Manager jüngst auf dem Karrierenetzwerk Linkedin.

Ein großer Teil der Versicherungsvorstände hierzulande kann sich allerdings entspannt zurücklehnen. Die Zahl der IFRS-Bilanzierer in Deutschland ist überschaubar, auch wenn ein beträchtlicher Marktanteil auf sie entfällt. Allianz, Munich Re, Talanx und ihre Tochter Hannover Rück, die R+V, der W&W-Konzern sowie die Deutsche Familienversicherung gehören dazu. Axa, Generali und Zurich sind über ihre Mütter in Paris, Triest und Zürich ebenfalls dabei. Die Gruppe der IFRS-Bilanzierer im deutschen Versicherungsmarkt ist in den vergangenen Jahren merklich ge­schrumpft. Nicht zuletzt mit Blick auf die Einführung von IFRS 17 haben sich diverse Anbieter wie HUK-Coburg, Gothaer oder SV SparkassenVersicherung von den internationalen Bilanzierungsstandards wieder verabschiedet und sind ausschließlich zu HGB zurückgekehrt.

Ob der neue Standard halten wird, was er verspricht? Laut der WTW-Studie zeigen sich 70% der betroffenen Versicherer in Deutschland vom Nutzen von IFRS 17 überzeugt. Die Empfehlung der Berater lautet: Den neuen Standard mehr als Neubeginn denn als Hürde begreifen und die Neuerung als Programm zur Transformation von Prozessen im Finanzressort auffassen. Durch höheres Vertrauen von Investoren und durch bessere Einblicke ins eigene Geschäft könnten die Versicherer profitieren.

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