Unterm Strich

Gefangenen­dilemma bei Adler Group

Der Fall Adler Group zeigt die Notwendigkeit einer strikten unternehmerischen Trennung von Bilanzprüfung und Beratungsgeschäft der Wirtschaftsprüfer.

Gefangenen­dilemma bei Adler Group

„Wirtschaftsprüfer nehmen eine wichtige Sicherungsfunktion für die Wirtschaft wahr und schaffen Vertrauen bei Kapitalmarkt, Anteilseignern, Gläubigern und der sonstigen interessierten Öffentlichkeit. Wirtschaftsprüfer erfüllen mit ihrer Berufsausübung hohe ethische und fachliche Anforderungen, die sich aus Gesetzen und Satzungen sowie nationalen und internationalen Regeln ergeben.“ So weit das Selbstbild der Branche, hier zitiert aus einer Publikation der Wirtschaftsprüferkammer. Spätestens seit dem Wirecard-Skandal weiß ein jeder im Lande, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein himmelweiter Unterschied bestehen kann. Dass Wirtschaftsprüfer einer berufsstandsunabhängigen öffentlichen Aufsicht durch die Abschlussprüferaufsichtsstelle unterliegen, hat an den zwar selten publik werdenden, dann aber oft gravierenden Fehlleistungen nichts ändern können.

Was aber, wenn Wirtschaftsprüfer ihre für Wirtschaft und insbesondere den Kapitalmarkt wichtige Aufgabe erst gar nicht ausüben wollen? Was, wenn sie Unternehmen ihre Dienste verweigern und eine Kapitalgesellschaft deshalb ihrer in §316 HGB vorgeschriebenen Prüfungspflicht des Jahresabschlusses nicht nachkommen kann? Leider handelt es sich hierbei nicht um eine theoretische Betrachtung. Seit Monaten sucht der in Schieflage geratene Wohnimmobilienkonzern Adler Group verzweifelt einen Wirtschaftsprüfer – bisher ohne Erfolg. Auf die Mitte Juli abgelaufene Ausschreibung hatte sich kein einziger Interessent gemeldet, alle daraufhin direkt angesprochenen Wirtschaftsprüfer haben abgewunken.

Seit dem Wirecard-Skandal treibt die Wirtschaftsprüfer eine panische Angst vor Reputationsrisiken um. Unternehmen mit bilanzieller Schieflage, hohen Bewertungsrisiken oder Wertberichtigungsbedarf und undurchsichtigen Konzernverflechtungen will deshalb kein Prüfer mehr auf der Kundenliste haben. Jedenfalls nicht für die Ab­schlussprüfung. Dabei wäre es für alle Seiten besser, wenn gerade in Problemen steckende Unternehmen von einem Wirtschaftsprüfer bilanziell auf Herz und Nieren geprüft würden.

Fehler im System

Es handelt sich um eine Art Gefangenendilemma. Was aus Sicht der einzelnen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft rational und nachvollziehbar erscheint und angesichts überquellender Auftragsbücher auch betriebswirtschaftlich logisch, entpuppt sich gesamtwirtschaftlich als Systemfehler. Und als Systemrisiko für den Kapitalmarkt – für Banken nicht weniger als für Investoren. Wenn Adler Group, die bis zum September dem SDax angehörte und deren 2021er Abschluss noch von KPMG geprüft wurde, nicht alsbald einen Abschlussprüfer für 2022 findet, droht dem Unternehmen das Aus und Gläubigern, Bondholdern und Aktionären dicke Verluste. Bis jeweils zum 30. April muss fürs Vorjahr ein geprüfter Konzernabschluss vorgelegt werden, sonst werden automatisch Anleihen fällig und können Banken die Darlehensverträge kündigen.

Wenn sich kurzfristig kein Wirtschaftsprüfer findet und dieser dann erst im Januar 2023 gerichtlich bestellt würde, dürfte angesichts der anspruchsvollen und unter besonderer öffentlicher Beobachtung stehenden Jahresabschlussprüfung die April-Frist gerissen werden. Doch schon vorher wächst das Risiko und droht Adler zum Spielball von Shortsellern zu werden. Denn der Halbjahresbericht für 2022, der ohne prüferische Durchsicht vorgelegt werden musste, weist per 30.6. einen Verschuldungsgrad von 58% aus. Es fehlen nur noch 2 Prozentpunkte, um mit Erreichen der Schwelle von 60% ebenfalls Kündigungsrechte der Anleihegläubiger auszulösen.

Schon der 2021er Abschluss war eine Zitterpartie, bei der KPMG gerade noch rechtzeitig die Jahresabschlussprüfung hinbekam, aber das Testat wegen fehlender Informationen verweigerte. Das war nicht nur ein schwerer Schlag für Adler mit Blick auf Banken und Investoren, sondern Wasser auf die Mühlen des Leerverkäufers Fraser Perring. Dessen Gesellschaft Viceroy warf Adler im Herbst 2021 überhöhte Wertansätze vor. Schützenhilfe bekam der Shortseller von einer von Adler selbst beauftragten Sonderprüfung durch KPMG Forensic, in der bilanzielle Korrekturen gefordert wurden, und jüngst zudem von der Finanzaufsicht BaFin, die schon im Jahresabschluss 2019 der deutschen Tochter Adler Real Estate ebenfalls zu hohe Wertansätze entdeckte. In dem Disput geht es um das Projekt Glasmacherviertel in Düsseldorf-Gerresheim. Der seit Februar amtierende Adler-Verwaltungsratsvorsitzende Stefan Kirsten verweist dagegen darauf, dass der Fair Value der Projektgesellschaft korrekt ausgewiesen und in mehreren Jahresabschlüssen testiert worden sei.

Kontrahierungszwang

Diese Vorgeschichte zeigt die Brisanz eines Mandats als Abschlussprüfer, aber auch dessen Notwendigkeit. Dass KPMG im Mai überraschend ankündigte, den Job nicht mehr machen zu wollen, war für Adler mit einem abermaligen Reputationsverlust verknüpft, nachdem Kirsten zuvor im Analystencall noch angekündigt hatte, KPMG der Hauptversammlung wieder als Prüfer vorzuschlagen.

Leidtragende dieses Hickhacks zwischen Unternehmen und Prüfern sind die Investoren im Speziellen und der Kapitalmarkt im Allgemeinen. Der Fall ist ein weiteres Argument dafür, dass die Abschlussprüfung von den übrigen Beratungstätigkeiten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften klar getrennt und eigenständig unternehmerisch geführt werden sollte.

Wer für sich eine „wichtige Sicherungsfunktion“ für die Wirtschaft in Anspruch nimmt, darf nicht kneifen, wenn es risikoreicher wird. Wenn die Prüferbranche den offenkundigen Systemfehler nicht selbst löst, wird die Forderung nach einem Kontrahierungszwang für die Abschlussprüfung die logische Konsequenz sein.

c.doering@boersen-zeitung.de

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