Cum-ex-Prozess

Gier frisst Moral und Hirn

Im Cum-ex-Pozess gegen Hanno Berger vor dem Landgericht Wiesbaden glänzen die Zeugen durch selektives Wissen. Der Angeklagte wähnt sich unschuldig, dürfte aber einer Verurteilung entgegensehen.

Gier frisst Moral und Hirn

Gier frisst Hirn, weiß der Volksmund. Aber im Falle von Cum-ex-Geschäften spricht zwar viel für Gier, aber wenig dafür, dass sie auf Kosten des Hirns gingen. Zumindest ist unbestritten, dass es äußerst komplex war, Aktien-Transaktionen rund um den Ex-Dividenden-Tag mit Aktienkäufen und ungedeckten Leerverkäufen in Kombination mit Absicherungsgeschäften so zu gestalten, dass sie richtig lukrativ waren – wohlgemerkt für vermögende Privatkunden, die den Staat über die Rückerstattung nicht gezahlter Kapitalertragsteuer um viele Milliarden Euro geprellt haben. Gut verdient haben aber offenbar auch einige Banken, die Cum-ex-Geschäfte seit 2005 auf eigene Rechnung durchgeführt hatten, wie im Prozess gegen den Spiritus Rector dieser Transaktionen Hanno Berger vor dem Landgericht Wiesbaden erneut deutlich wurde. Berger selbst soll für Beratungsleistungen eine zweistellige Millionen-Euro-Summe verdient haben.

Die jetzige, rund zweiwöchige Verhandlungspause gibt etwas mehr als ein halbes Jahr nach Verhandlungsbeginn eine gute Gelegenheit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Bei den in den vergangenen Prozesstagen aufgetretenen Zeugen – ehemalige Banker, ein Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums, Vertreter kreditwirtschaftlicher Verbände – zeigte sich immer wieder: Einen Überblick über das, was heute Cum-ex genannt wird, hatte angeblich keiner. Sogenannte steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten waren erst spät, um das Jahr 2010, wenn überhaupt, ein Thema, so die Erinnerung heute. Zugegeben: All das ist mindestens 15 Jahre her, die meisten Zeugen sind im Ruhestand.

Trotzdem ist es merkwürdig, dass Bankmitarbeiter nicht verstanden haben wollen, worum es bei den in Wiesbaden verhandelten Geschäften des Immobilientycoons Rafael Roth gegangen ist, obwohl die betroffene Bank dafür eine Kreditlinie von 500 Mill. Euro einräumte und Aktientransaktionen samt Absicherungsgeschäften im Milliardenumfang durchführte. Steuerlich induziert soll das alles nicht gewesen sein – obwohl die Deals nur so wirtschaftlich Sinn ergaben. Die Details scheinen nur einigen Personen im Handel der damaligen HypoVereinsbank bekannt gewesen zu sein – die sie der Kreditabteilung in München aber nicht mitteilten, so die Zeugendarstellung. Immerhin erhielt die aber ein paar Millionen Euro von den Londoner Handelsgewinnen. Zumindest Führungskräfte ahnten wohl, dass da etwas faul war, trauten sich aber zumindest zu Anfang nicht, das Geschäft mit dem Neukunden Roth zu stoppen, weil man auf provisionsträchtige Geschäfte in der Vermögensverwaltung hoffte, die dann aber nie kamen.

Tief blicken ließen auch die Zeugen aus dem Finanzministerium (BMF) und den Verbänden der Privatbanken (BdB) und Sparkassen (DSGV). Beim BMF war man sich bis 2009 nicht bewusst, dass ein Jahre zuvor gemachter Regelungsvorschlag des BdB ausdrücklich Geschäfte mit Banken im Ausland unberücksichtigt ließ – oder man hielt das für einen unbedeutenden Spezialfall. Erst als unrechtmäßige Kapitalsteuererstattungen von 12 Mrd. Euro im Raum standen – im Nachhinein eine viel zu niedrige Schätzung –, versuchte das BMF mit drei Rundschreiben gegenzusteuern.

Auch die Bankenvertreter gaben sich vor Gericht unschuldig. Man habe erst vom BMF von solchen Geschäften gehört – ohne zu erfahren, welche Banken in welchen Volumina aktiv gewesen sein sollen. Auch eine Umfrage unter den eigenen Mitgliedsinstituten habe nichts ergeben, so der Zeuge, der damals die Steuerabteilung des BdB leitete. Böse Absichten wollen die Herren aus Ministerium und Verbänden sich auch heute nicht unterstellen. Man habe stets vertrauensvoll zusammengearbeitet. Damit distanzieren sich die Zeugen von der immer wieder vorgebrachten Kritik, der Verband habe mit seinem damaligen Gesetzesvorschlag schädlichen Einfluss ausgeübt.

Berger bleibt dabei, rechtmäßig gehandelt zu haben. Ein schlecht gemachtes Gesetz dürfe man ausnutzen. Aber es kann nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, zig Milliarden Euro in die Taschen von wenigen zu leiten auf Kosten des Staatssäckels. Dabei handelt es sich nicht um zufällige „Übergewinne“, sondern geplante Gewinne aus Absprachen, wie der Prozess in Wiesbaden (und der vorherige in Bonn) gezeigt hat. Solche Absprachen hatte auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil von Juli 2021 erwähnt – und festgestellt, dass Cum-ex-Geschäfte Steuerhinterziehung sind. Das Ausplündern des Staates ist nicht nur unmoralisch, sondern auch unrecht. Das könnte auch Berger erkennen, wenn er nur wollte. Gier frisst doch Hirn.