Brexit-Folgen

Irland sucht neue Wege Richtung Kontinent

Das Chaos in Dover und Calais hat dem irischen Hafen Rosslare Europort in den vergangenen Wochen einen unerwarteten Boom beschert. Schifffahrtsunternehmen ziehen geplante Direktverbindungen auf den europäischen Kontinent vor.

Irland sucht neue Wege Richtung Kontinent

Von Andreas Hippin, London

Verzögerungen bei der Grenzabfertigung in Calais haben dem irischen Hafen Rosslare im Januar eine Verfünffachung des Frachtvolumens auf den Direktverbindungen zum europäischen Kontinent beschert. Irland ist beim Handel mit Resteuropa in hohem Maße auf die „Landbrücke“ durch Großbritannien angewiesen. Das gilt insbesondere für Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch. Vor dem britischen EU-Austritt traten zwischen 150 000 und 170 000 Lkw jährlich im RoRo-Fährverkehr (Roll On, Roll Off) die Reise über die Irische See und den Ärmelkanal an. Mit einem Zeitaufwand von weniger als 20 Stunden ist es die schnellste und kostengünstigste Verbindung zum Kontinent.

Irland wird durch Probleme an der EU-Außengrenze zu Großbritannien indirekt geschädigt. Doch schon vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase ließ Frankreich die Muskeln spielen und verlangte einen negativen Corona-Test von Lkw-Fahrern, die aus dem Vereinigten Königreich kamen. Spediteure suchten verzweifelt nach Alternativen. Wie der von der Bahngesellschaft Iarnród Éireann betriebene Rosslare Europort mitteilte, stieg das Frachtvolumen auf den Direktverbindungen auf den Kontinent um 446 %, während es im Verkehr mit Großbritannien um die Hälfte zurückging. Dabei sind Güter im RoRo-Fährverkehr mit kontinentaleuropäischen Häfen bis zu 40 Stunden unterwegs. Im sogenannten LoLo-Verkehr (Lift On, Lift Off) kann es bis zu 60 Stunden ­dauern.

Mehr Direktverbindungen

Gab es noch vor einem Jahr lediglich zehn Schiffsverbindungen die Woche, sind es mittlerweile drei Mal so viele. Negative Corona-Tests verlangt Frankreich zwar auch von Lkw-Fahrern aus Irland. Doch gestaltet sich die Güterabfertigung ungleich einfacher, obwohl im Handelsabkommen zwischen Großbritannien und den EU-27 Zollfreiheit vereinbart wurde. Die schwedische Stena Line verdoppelte ihre Kapazitäten auf der Strecke nach Cherbourg früher als geplant. Brittany Ferries zog die Aufnahme einer Direktverbindung dorthin um zwei Monate vor. Vor wenigen Tagen lief die MV Cap Finistère erstmals in Rosslare ein. Mittwochs und freitags wird sie sich künftig auf den Weg nach Bilbao im spanischen Baskenland machen. DFDS läuft seit Januar sechs Mal die Woche gen Dünkirchen aus. Die luxemburgische CLdN, die Verbindungen aus dem größten irischen Hafen Dublin nach Zeebrugge und Rotterdam unterhält, hatte schon im Oktober verkündet, dass sie ihre Kapazitäten im Falle eines „harten“ Brexits drastisch hochfahren könne. Zu ihrer Flotte gehört die auch unter dem Namen „Brexit Buster“ bekannte MV Celine, das größte RoRo-Schiff der Welt für Kurzstrecken. CLdN befördert zwischen Dublin und dem Kontinent zwei Fünftel aller Fracht. „Unsere Ankündigungen zum Neugeschäft im Zusammenhang mit dem Brexit zeugen von der Arbeit, die wir mit Spediteuren, Verbänden, Schifffahrtsunternehmen und Häfen in Europa geleistet haben, um der Branche starke Angebote aufzeigen zu können und sicherzustellen, dass Irland über Brexit-sichere Optionen für den Handel verfügt“, sagt Glenn Carr, General Manager bei Rosslare Europort. Die Verbindung nach Dünkirchen biete eine Reisezeit von 24 Stunden an einen Ort, der gerade einmal drei Stunden von Paris entfernt sei – und nicht einmal 20 Minuten von der belgischen Grenze.

Zum Vergleich: Die Strecke Dublin-Dünkirchen lässt sich über die Landbrücke in 13 Stunden bewältigen, vorausgesetzt es kommt zu keinen größeren Verkehrsbehinderungen. Die zur Irish Continental Group gehörende Irish Ferries geht davon aus, dass die Verbindung durch Großbritannien auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen wird. Schließlich könne ein Schiff die Irische See an einem Tag vier Mal überqueren, aber nur eine Reise auf den Kontinent unternehmen. Eine Direktverbindung bedeute deshalb 75 % weniger Kapazität. Zudem fielen kürzere Verbindungen nicht so oft wegen schlechtem Wetter aus. Zumindest bis sich die Güterabfertigung an den britischen Grenzen eingespielt hat, kommt den Direktverbindungen aber noch eine große Rolle zu.