Immobilien

Italien lockt Gutverdiener aus dem Ausland mit niedrigen Steuern

Der Immobilienmarkt in Mailand boomt. Neue Projekte wie die Scalo di Porta Romana schießen wie Pilze aus dem Boden. Zu den Treibern der Entwicklung gehört die durch großzügige Steuergesetze genährte Nachfrage von Gutverdienern, die nach Italien (zurück)kommen.

Italien lockt Gutverdiener aus dem Ausland mit niedrigen Steuern

Italien hat sich zu einem beliebten Wohnort für Gutverdiener gemausert. Banken wie Unicredit, Mediobanca, Goldman Sachs, J.P. Morgan Chase, Citigroup oder Nomura haben seit dem Brexit Banker aus London geholt und das Personal in der Geschäftsmetropole Mailand aufgestockt. Investoren wie Certares, Eisler Capital UK und Andera Partners haben Repräsentantenbüros in der Stadt eröffnet. Nach Angaben der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) ist 2021 die Zahl derer, die mehr als 1 Mill. Euro im Jahr verdienen, in Italien im Vergleich zum Vorjahr um 88 % gewachsen. Das Land lockt Menschen mit hohen Einkommen mit großzügigen Steuervergünstigungen – und diese müssen irgendwo wohnen.

Seit der Einführung erster entsprechender Regelungen durch den damaligen Premierminister Matteo Renzi 2016 ist das Land ein Steuerparadies für gut verdienende Ausländer und Rückkehrer in die Heimat. Unter Regierungschef Giuseppe Conte wurden diese Regelungen 2019 sogar noch ausgeweitet. „Eine der Regelungen ist auch von Frankreich kopiert worden. Und Länder wie Belgien und Spanien haben ähnliche Gesetze“, berichtet Andrea Tavecchio, Gründer der Kanzlei Tavecchio e Associati, die auf Privatkunden spezialisiert ist. Auch Irland, Luxemburg, Zypern, Malta oder die Niederlande bieten erhebliche Steuervorteile.

„Wer in den letzten zwei Jahren seinen Wohnsitz nicht in Italien hatte­, mindestens zwei Jahre hier ansässig bleibt und seine Arbeits­tätigkeit vorwiegend in Italien ausübt­, zahlt fünf Jahre lang nur auf 30 % seiner Einkünfte Steuern“, sagt Vito Alexander­ Paciello, Steuer­berater in der Mailänder Kanzlei Mayr Fort Frei Studio Tributario Associato.

Statt eines Einkommens von 1 Mill. müssen Zugezogene dann also beispielsweise nur 300 000 Euro versteuern. Wer nach Süditalien geht, zahlt dann sogar nur auf 10 % seines Einkommens Steuern. Die großzügigen Bestimmungen sind unter bestimmten Bedingungen wie dem Kauf einer Wohnimmobilie sogar verlängerbar. Das hat mit zum Boom auf Mailands Immobilienmarkt beigetragen. Die Preise steigen rasant, auch wenn das Niveau im Vergleich zu London noch immer attraktiv ist. Neben dem Geschäftsviertel City Life, wo der Versicherer Generali zwischen Luxuswohnungen seinen Sitz hat, entstanden und entstehen neue Projekte, etwa die Porta Nuova oder die Erweiterung des Bosco Verticale im Viertel um die Porta Garibaldi.

Die steuerlichen Regelungen sind wirksam, heißt es von Unternehmen, die nicht genannt werden wollen. Sie würden helfen, qualifizierte Fachkräfte nach Italien zu locken, was der ursprünglichen Idee der Regierung entsprechen würde. Man wollte dem „Braindrain“ gut ausgebildeter Italiener ins Ausland entgegentreten und sie zurückholen und natürlich auch gut ausgebildete Ausländer nach Italien locken.

Eine weitere Maßnahme soll Ultrareiche anziehen. Wer neun der vergangenen zehn Jahre außerhalb des Landes gelebt hat und nach Italien zieht, zahlt pauschal nur 100000 Euro auf die im Ausland erzielten Einnahmen. Von der „Legge Paperone“, zu deutsch „Lex Dagobert“ nach dem geizigen Multimilliardär aus den Disney-Comics, profitierte 2018 zum Beispiel der Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo, als er von Real Madrid zu Juventus Turin wechselte. Die Regelung kam nicht nur ihm selbst zugute. Familienmitglieder zahlten sogar nur 25000 Euro pauschal pro Jahr. Nach zuletzt verfügbaren Zahlen haben von dieser Möglichkeit aber 2020 nur etwa 400 Personen Gebrauch gemacht.

Ungewöhnlich für das selbst für deutsche Verhältnisse extrem bürokratische Italien ist auch, dass nur ein dreiseitiges Formular mit Kästchen zum Ankreuzen ausgefüllt werden muss, um von den Steuervergünstigungen zu profitieren. Es besteht nicht einmal eine Meldepflicht für das Vermögen außerhalb Italiens. Es genügt, den Wohnsitz im Bel Paese anzumelden und sich dort mehr als die Hälfte des Jahres aufzuhalten.

Für Wissenschaftler und Lehrende gibt es noch großzügigere Regelungen. Sie können laut Paciello ihre Einkünfte aus Lehr- und Forschungstätigkeiten für sechs Jahre, unter bestimmten Bedingungen auch länger, zu 90% steuerfrei stellen, wenn sie aus dem Ausland nach Italien ziehen.

Auch um vermögende Rentner wirbt Rom massiv. Wer seinen Wohnsitz aus dem Ausland in eine Kommune mit weniger als 20000 Einwohnern in einer süditalienischen Region wie Sizilien, Sardinien, Basilicata, Molise, Apulien, Kalabrien, Abruzzen oder Kampanien verlegt, zahlt pauschal nur 7 % auf alle im Ausland erzielten Einkünfte. Einzige Voraussetzung: Die Person muss eine ausländische Rente beziehen und darf in den fünf Vorjahren nicht in Italien ansässig gewesen sein.

Nach Einschätzung von Siegfried Mayr, Managing Partner der Kanzlei Mayr Fort Frei Studio Tributario Associati, sind diese Regelungen „klare Abweichungen vom Prinzip der unbeschränkten Steuerpflicht (Welteinkommensprinzip) für steuerlich ansässige Personen und von den verfassungsrechtlichen Prinzipien der progressiven Besteuerung und der Besteuerung nach der wirtschaftlichen­ Leistungsfähigkeit sowie auch vom Gleichheitsgrundsatz“.

Nach Ansicht des Osservatorio sui Conti Pubblici Italiani (OCPI), das von dem renommierten Ökonomen Carlo Cottarelli geleitet wird, hat vor allem die Ausweitung der Maßnahmen 2019 zu einer verstärkten Rück- und Einwanderung sogenannter High Potentials geführt. In einer Untersuchung unter dem Titel „Brain Drain: Sind die Steuererleichterungen wirksam?“, stellen Salvatore Liaci und Giacomo Ricciardi fest, dass die Zahl derer, die von den Steuererleichterungen profitiert, sich zwischen 2017 und 2020 von 6966 auf 15080 mehr als verdoppelt hat. „Die starke Zunahme der Rückkehrer seit der Ausweitung der Steuererleichterungen lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass diese Maßnahmen eine Wirkung hatten“, schreiben sie.

Kritiker sind jedoch der Meinung, dass viele Betroffene wohl auch ohne diese Steuererleichterungen zurückgekommen wären. Dem Staat entgingen daher in großem Stil Steuereinnahmen. Umso mehr, als Italien ursprünglich in die Ausbildung der Abgewanderten investiert hat, die dann bei ihrer Rückkehr noch einmal in großem Stil von staatlichen Hilfen in Form von Steuererleichterungen profitieren.

Bei genauerer Betrachtung der Studie von Liaci und Ricciardi ergibt sich ein differenzierteres Bild. So stieg zwar die Zahl der Rückkehrer nach Italien zwischen 2011 und 2020 von jährlich 4100 auf 13700. Doch die Zahl der Auswanderer ist viel stärker gewachsen – von 7700 auf 31300, vor allem unter Akademikern. Bei den unter 40-jährigen Akademikern sieht die Bilanz noch schlechter aus. Während die Zahl der Rückkehrer von jährlich 2300 auf 8500 gestiegen ist, erhöhte sich die Zahl der Abwanderer von 5000 auf 25000.

Der größte Teil der Rückkehrer kam aus Großbritannien, Deutschland und Frankreich zurück. Genau in dieser Reihenfolge waren das auch die Hauptzielländer der Abwanderer.

Als klarer Schlag ins Wasser erwiesen sich jedoch Hoffnungen, Forscher und Lehrende nach Italien zu locken. Zwischen 2002 und 2016 verließen dem Bericht zufolge etwa 11000 von ihnen Italien, mehr als aus jedem anderen Land. Und trotz der steuerlichen Anreize ging die Zahl der nach Italien kommenden Forscher und Lehrenden zwischen 2017 und 2020 sogar zurück – von jährlich 1624 auf 1329. Die unsichere Jobsituation in Italien, das wenig transparente Universitätssystem und ein geringes Vertrauen in Karriereperspektiven verhinderten häufig die Rückkehr in die Heimat, lautet die Erklärung von Liaci und Ricciardi.

Es gibt auch Beobachter, die glauben, Regelungen dieser Art begünstigten eine Art Steuertourismus in Europa. Betroffene könnten nach Auslaufen der Regelungen ihren Wohnsitz einfach in ein anderes EU-Land mit ähnlichen Steuererleichterungen verlegen.

Von Gerhard Bläske, Mailand

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