Tokio

Kitsch as Kurisumasu can

Weihnachten ist zwar kein japanisches Fest, wird dort aber immer heimischer. Ebenso wie der Anbau der ebenfalls nicht originär japanischen Kaki, die derzeit Hochsaison hat.

Kitsch as Kurisumasu can

Weihnachten ist bekanntlich kein japanisches Fest. Es kam erst mit den US-Besatzern nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg ins Land. Aus dem englischen Christmas wurde das japanische „Kurisumasu“. Einen Feiertag dazu gibt es bis heute nicht. Aber der Einzelhandel entdeckte nach westlichem Vorbild die Kurisumasu-Saison als Anlass, die Umsätze zu steigern. Die meisten Kinder in Japan erhalten heutzutage Geschenke, auch wenn es keinen Weihnachtsbaum gibt, unter den man sie legen könnte. Am Weihnachtstag essen viele Japaner gegrilltes Geflügel – die Tradition führte die Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken vor 50 Jahren ein. Beliebt sind Weihnachtstorten, mit einer weißen Sahnetorte und Erdbeerdekoration als Klassiker. Seit einigen Jahren erhalten auch Weihnachtsmärkte, die „Hotto Wain“ (Glühwein) ausschenken, viel Zulauf.

Ebenso verbreitete sich die ausländische Sitte, Bäume, Sträucher, Häuser und Straßen mit Lichterketten zu schmücken. Die Einkaufsviertel in Metropolen wie Tokio, Yokohama und Osaka wetteifern im November und Dezember um die kreativsten und romantischsten Beleuchtungen. Das In-Viertel Midtown etwa belädt diesmal eine hohe Kiefer mit zahllosen Kugeln, Sternen und Girlanden. Dieser „Party Popper“ genannte Baum wechselt ständig seine grellbunten Farben. Auf allen Rasenflächen liegen Lichterketten. In einer Art von Lampenwald steht ein drei Meter hoher „Schütteldom“, in dem ein kugelförmiger Bildschirm mit ständig wechselnder Anzeige rotiert und künstlichen Rauch und „Schnee“ aufwirbelt.

Nach dem Ende der pandemiebedingten Beschränkungen fallen diese Installationen durch extreme Grellheit auf. Statt dem einzelnen Stern, dem die drei Weisen aus dem Morgenland nach Bethlehem folgten, ertrinken die Besucher dieser Viertel regelrecht in der Helligkeit von Abertausenden LED- und Glühlampen. Dadurch fühlt sich Weihnachten noch kommerzieller und sinnentleerter an – „Kitsch as Kitsch can“ scheint die heimliche Devise der Designer dieser vermeintlich märchenhaften Illuminationen zu sein. Natürlich verhallen da die Appelle von Tokios Gouverneurin Yuriko Koike, die Menschen sollten doch bitte schön Energie sparen.

*

Ein weniger auffälliges Anzeichen für die Weihnachtssaison sind die orange leuchtenden Auslagen der Obstabteilungen. Orange ist die Farbe der Kaki, einer Frucht, die Japaner automatisch mit Winter verbinden. Die Kaki in deutschen Supermärkten werden in Spanien, Italien und auch Israel angebaut. Aber diese Pflaumenart stammt ursprünglich aus China und kam im achten Jahrhundert nach Japan. Zuerst war sie Adeligen vorbehalten, später verbreitete sie sich im ganzen Land. Heute steht in vielen Privatgärten, vor allem außerhalb der Metropolen, ein Kaki-Baum. Und Japan wäre nicht Japan, wenn der Essgenuss nicht auch mit der Gesundheit gerechtfertigt würde: Kaki enthalten viel Ballaststoffe und Vitamine.

Den Auftakt jeder Obstsaison erkennen die Japaner daran, dass Bauernvertreter dem Premierminister in seinem Tokioter Amtssitz einen Besuch abstatten und ihm einige Früchte schenken – als geschickte PR-Aktion. Vor einigen Tagen war es wieder so weit: Da präsentierte die Agrargenossenschaft aus der Präfektur Gifu Regierungschef Fumio Kishida mehrere Körbe mit 120 Fuy-Kaki-Früchten.

Die Region Gifu nördlich von Nagoya ist ein führendes Anbaugebiet für diese am meisten verbreitete Sorte, die etwas süßer und größer ist, wegen ihrer runden Form wie eine orangene Tomate aussieht und sich direkt vom Baum essen lässt. Dagegen enthalten die Shibu-Kaki mehr Gerbstoff. Sie werden entweder mit Trockeneis schockgereift oder müssen vor dem Verzehr so lange liegen, bis das Fruchtfleisch matschig wird. Als Delikatesse gelten die Hoshi-Gaki. So heißen Kaki, die man geschält an Schnüren aufhängt und an einem sonnigen Ort in der Winterluft trocknet. Sobald sie eine neue Haut gebildet haben, werden diese Früchte mindestens einen Monat lang täglich sanft massiert! Das erklärt wohl auch ihren Wucherpreis von mehreren Euro pro Stück.