KommentarEU-Lieferkettengesetz

So geht Europa

Das Lieferkettengesetz ist ein Beleg dafür, dass die EU – nach vielen Windungen – letztlich Kompromisse auch über kontroverse Themen schaffen kann und dabei auf Vorbehalte nationaler Regierungen eingeht.

So geht Europa

Lieferkettengesetz

So geht Europa

Von Detlef Fechtner

Das EU-Lieferkettengesetz ist – nach vielen Windungen – ein Beleg, dass sich die EU letztlich doch über kontroverse Themen einigen kann

Das Echo auf die Zustimmung der Ständigen Vertreter – also der Botschafter – der 27 EU-Mitgliedstaaten zum EU-Lieferkettengesetz könnte unterschiedlicher kaum sein. Die einen spotten darüber, dass die FDP-Minister Christian Lindner und Marco Buschmann mit ihrer „Sabotage“ der EU-Richtlinie „grandios gescheitert“ seien. Die anderen loben, dass Lindner und Buschmann mit ihren Vorbehalten letztlich dafür gesorgt haben, dass – ganz im Sinne der Wirtschaft – Schwellenwerte angehoben und die Vorgaben für „Hochrisikosektoren“ gestrichen beziehungsweise abgeschwächt wurden.

In der Tat kann man es so oder so sehen, wer am Ende beim „Krimi“ ums EU-Lieferkettengesetz als Gewinner oder als Verlierer dasteht. Das ist aber im Grunde belanglos. Und offenbart ein merkwürdiges Verständnis europäischer Gesetzgebung.

Weiterhin Vorbehalte gegen die EU-Richtlinie

Auf jeden Fall ist die Vorstellung naiv, erst die Vorbehalte der FDP hätten vielen anderen EU-Partnern die Augen geöffnet, dass das EU-Lieferkettengesetz unangemessene Lasten, Wettbewerbsnachteile und Risiken für Europas Wirtschaft enthalte. Und wiederum genauso weltfremd ist der Gedanke, anschließend habe es der belgische EU-Ratsvorsitz auf wundersame Weise geschafft, alle diese Sorgen zu zerstreuen.

Richtig ist: Es gab von Beginn an Vorbehalte gegen die EU-Richtlinie – und die gibt es immer noch. Schweden, Tschechen und Österreicher haben immer noch Bauchschmerzen mit der einen oder anderen Regelung, ebenso wie Bulgaren, Litauer, Slowaken und Esten. Trotzdem ist es der belgischen Ratspräsidentschaft gelungen, einen Kompromiss zu vermitteln, der eine qualifizierte Mehrheit gefunden hat. Eine qualifizierte Mehrheit bedeutet 15 von 27 Mitgliedstaaten, die mindestens 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Belgier gelten als besonders gute Vermittler

Die Belgier – und das ist übrigens kein Zufall, denn die Belgier gelten in der EU seit Jahren wegen ihrer eigenen Zersplitterung in Flamen und Wallonen als besonders gute Vermittler – haben genau das getan, was ein EU-Ratsvorsitz tun muss. Sie haben die Stimme der italienischen Regierung, der das EU-Lieferkettengesetz relativ schnuppe gewesen ist, dadurch gewonnen, dass sie Erleichterungen bei der EU--Verpackungsverordnung ins Spiel gebracht haben, die für Rom wesentlich wichtiger ist. Sie haben es daneben vielen EU-Staaten, die dem EU-Lieferkettengesetz kritisch gegenübergestanden haben, leichter gemacht, es zu billigen, indem sie kleinere Firmen von der Anwendung ausgeschlossen und Fristen nach hinten verschoben haben.

Mit dem Ergebnis, dass am Ende ein Gesetz verabschiedet wird, das kein EU-Land mehr direkt vor den Kopf stößt, sondern auf Vorbehalte eingeht. Selbst Deutschland, so bewerten es Diplomaten, hätte nach allen letzten Anpassungen eigentlich der EU-Richtlinie zustimmen können, denn sie wurde dem bestehenden deutschen Lieferkettengesetz deutlich angenähert. Deshalb lautet das Fazit: So geht Europa. Das EU-Lieferkettengesetz ist – nach vielen Windungen – letztlich ein Beleg, dass sich die EU über kontroverse Themen einigen kann. Der am Freitag von Industrielobbyisten geäußerte Vorwurf an den EU-Ratsvorsitz, „um jeden Preis im Hinterzimmer“ ein Gesetz durchgedrückt zu haben, was niemand haben wollte, ist daher eher Ausdruck der eigenen Frustration.

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