Tokio

Marx und Olympia lassen grüßen

Während die teuren Olympischen Spiele von Tokio noch mit einem unrühmlichen Nachspiel aufwarten, schlägt ein Wissenschaftler vor, mit wirtschaftlichem Schrumpfen den ökologischen Schaden der Menschheit zu begrenzen.

Marx und Olympia lassen grüßen

Die Olympischen Spiele in Tokio, die im Vorjahr wegen der Pandemie ohne Glanz und Gloria stattfanden, erleben ein unschönes Nachspiel. Haruyuki Takahashi, ein Mitglied des Organisationskomitees, wurde vor wenigen Tagen zum zweiten Mal wegen des Verdachts der Bestechlichkeit festgenommen. Der 78-Jährige soll 76 Mill. Yen (530000 Euro) vom Verlag Kadokawa kassiert haben, der dann die Programmhefte für die Sportveranstaltung publizieren durfte. Die Summe floss in Raten, so dass einige Zahlungen strafrechtlich schon verjährt sind. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft den Ex-Manager des Werberiesen Dentsu angeklagt, von dem Textileinzelhändler Aoki 51 Mill. Yen (356 000 Euro) genommen zu haben. Im Gegenzug soll Aoki das Exklusivrecht erhalten haben, die japanischen Sportler und Offiziellen einzukleiden.

Das Ansehen der Sommerspiele in Tokio hatte bereits heftig unter den extrem hohen Kosten von umgerechnet 12,1 Mrd. Euro gelitten. Gegenüber der ursprünglichen Planung bei der Vergabe 2013 hatten sich die Ausgaben damit mehr als verdoppelt. Allein die Verschiebung um ein Jahr auf 2021 aufgrund der Pandemie sowie die Kosten für die Corona-Schutzmaßnahmen während der Veranstaltung hatten das Budget um 2,3 Mrd. Euro in die Höhe getrieben. Der Werbenutzen für die Sponsoren, die 361 Mrd. Yen (2,5 Mrd. Euro) für Olympia zahlten, hielt sich in Grenzen, da die Wettbewerbe gänzlich ohne Zuschauer stattfinden mussten.

Der grandiose Misserfolg hielt das nordjapanische Sapporo jedoch nicht davon ab, sich um die Austragung der Winterspiele 2030 zu bewerben. Ausdrücklich verzichtete die Stadt darauf, ihre Bürger zu befragen. Aber der Korruptionsskandal dürfte den Olympiagegnern in die Hände spielen. Der Bürgermeister von Sapporo, Katsuhiro Akimoto, wollte sich am Dienstag dieser Woche mit IOC-Präsident Thomas Bach in Lausanne treffen, um sich persönlich für die Bewerbung einzusetzen. Aber der Termin platzte kurzfristig. Laut der regierungskritischen Zeitung „Asahi“ wollte das IOC damit signalisieren, dass die Zuschlagschancen von Sapporo „sehr viel geringer“ geworden sind.

Unterdessen muss sich Japan intensiver als in der Vergangenheit mit der Klimakrise beschäftigen. Premier Fumio Kishida änderte kürzlich die Energiepolitik seit der Fukushima-Katastrophe und dringt nun auf die schnellere Inbetriebnahme jener Atommeiler, die ein neues Sicherheitszertifikat erhalten haben. Auf diese Weise will seine Regierung den aktuell hohen Strompreis drücken. Kishida dürfte jedoch wenig schmecken, dass sich eine unerwartet hohe Zahl von Japanern für einen viel radikaleren Lösungsansatz interessiert – ein wirtschaftliches Minuswachstum soll den ökologischen Schaden in der Atmosphäre begrenzen.

Diese These vertritt ein postkapitalistisches, grünes Manifest des Wirtschaftshistorikers Kohei Saito von der Universität Tokio, das unter dem Titel „Das Kapital im Anthropozän“ ein Ende der Massenproduktion und des Massenkonsums von Waren wie Fast Fashion fordert. Der erst 35-jährige Saito plädiert in seinem Werk für kürzere Arbeitszeiten und eine Priorisierung von „arbeitsintensiven“ Tätigkeiten wie der Alten- und Krankenpflege, um eine schnellere Dekarbonisierung menschlicher Aktivitäten zu erreichen. Die gesellschaftliche Produktion soll verlangsamt und der Wohlstand geteilt werden.

Der Forscher ließ sich von Karl Marx’ Schriften zur Umwelt inspirieren und ist von seinem Erfolg selbst verblüfft. Seit der Veröffentlichung im September 2020 hat Saito mehr als eine halbe Million Exemplare verkauft. „Ich plädiere für eine Abkehr vom Kapitalismus und für einen neuen Lebensstil“, sagte Saito der britischen Zeitung „Guardian“. Daher hätte er nicht gedacht, dass sich sein Buch zu einem Bestseller entwickeln würde. Doch in Japan hat die Pandemie vor allem jüngere Leute getroffen, die nicht ins reguläre Arbeitsleben einsteigen konnten oder ihre Teilzeitjobs verloren. Das marxistische Argument von Saito, der auf Wachstum programmierte Kapitalismus sollte eher abgeschafft als reformiert werden, stößt bei dieser Gruppe offenbar auf viele offene Ohren.

                                                 (Börsen-Zeitung,

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