Spanien

Mobil gegen Madrid

In Spanien könnte bald eine weitere neue Partei die politische Landschaft verändern. In den strukturschwachen Gegenden stellen Bürgerplattformen bei den kommenden Wahlen eigene Kandidaten auf. Ihre Chancen stehen gut.

Mobil gegen Madrid

Eine lautstarke Protestbewegung im ländlichen Raum wie die der Gelbwesten in Frankreich hat es in Spanien bisher so nicht gegeben. Doch auch hierzulande begehrt die Landbevölkerung langsam auf. Die Bedingungen sind ähnlich wie im Nachbarland. Spanien ist ein sehr großes Flächenland, das einige der am dünnsten besiedelten Gebiete Europas beherbergt. Die Konzentration der Bevölkerung in den Großstädten und entlang der Mittelmeerküste hat in den letzten Jahrzehnten weiter zugenommen. Die Menschen in den teils sehr abgeschiedenen Dörfern fühlen sich von der Politik benachteiligt. Das soll sich im neuen Jahr ändern.

Ende September wurde die Partei „España Vaciada“ („das entleerte Spanien“) gegründet, der sich 160 Plattformen aus verschiedenen, einwohnerschwachen Provinzen angeschlossen haben. Das Ziel ist der Einzug in die regionalen Vertretungen und ins nationale Parlament, um Forderungen nach mehr Investitionen durchsetzen zu können. Vorreiter ist Teruel Existe, eine 1999 in der dünn besiedelten Provinz Teruel gegründete Bürgerinitiative, die bei den Parlamentswahlen 2019 einen der 350 Sitze im spanischen Unterhaus errang. Dafür reichten der Partei gerade einmal 19000 Stimmen. Das spanische Wahlsystem ist ein großer Vorteil für die vielen Plattformen von España Vaciada. Denn es gibt keine landesweite proportionale Verteilung. Die Sitze werden auf die 50 Provinzen verteilt, wobei auch die kleinsten davon mindestens zwei Abgeordnete nach Madrid schicken. Dieses System spiegelt sich auch auf regionaler Ebene wider.

Der erste Test für diese neue Bewegung der Landbevölkerung erfolgt im Februar in Kastilien und León, dem Paradigma der España Vaciada. Die autonome Gemeinschaft ist größer als das Nachbarland Portugal, zählt aber gerade einmal 2,4 Millionen Einwohner. Die konservative Volkspartei (PP) brach vor Weihnachten mit dem liberalen Koalitionspartner Ciudadanos und setze für den 13. Februar Neuwahlen an. Die Plattformen in den neun Provinzen von Nordkastilien sind zum Jahresende nun hektisch dabei, ihre Listen ordnungsgemäß anzumelden. Die Konservativen haben die Wahlen auch deshalb vorgezogen, um die neue Bewegung auf dem falschen Fuß zu erwischen. Denn die Umfragen sehen für die diversen Listen gute Chancen voraus. Mancherorts machen die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften keinen Hehl aus ihrer Sympathie für die lokalen Kandidaturen der neuen Partei, sehr zum Unmut der PP.

Der große Wurf der España Vaciada soll dann bei den nationalen Parlamentswahlen erfolgen, die Ende 2023 stattfinden sollen. Den Umfragen zufolge ist es möglich, dass die Plattformen aus den Provinzen bis zu 15 Mandate in Madrid erringen könnten, ausreichend für Fraktionsstärke. Das würde die Regierungsfähigkeit des Landes weiter erschweren. Seit Ende der Franco-Diktatur waren Regierungen mit absoluter Mehrheit eher die Ausnahme. Wichtige Verhandlungen, etwa über den Staatshaushalt, gleichen daher oft einem Basar.

Die Nationalisten aus Katalonien und dem Baskenland lassen sich für ihre Stimmen in Madrid gerne mit identitären Zugeständnissen be­zah­len, wie zuletzt mit einem Ge­setz, das Streaming-Dienste dazu verpflichtet, einen Teil der Programme auf Katalanisch und anderen Minderheitssprachen anzubieten. Andere Regionalparteien, wie die der Kanaren, holen Investitionen oder Steuervorteile für die heimische Wirtschaft heraus. Teruel Existe erhielt bei den Verhandlungen zum neuen Haushalt für 2022 Zusagen für Investitionen in der Provinz in Höhe von 20 Mill. Euro, das Versprechen für einen Autobahnanschluss zum Mittelmeer und die Schaffung einer Herkunftsbezeichnung für die in Teruel berühmten Trüffel.

Die beiden traditionellen Volksparteien, die PP und die Sozialisten der PSOE, zittern vor der neuen Konkurrenz mehr als das Linksbündnis Unidas Podemos oder Ciudadanos, die ihre Stimmen hauptsächlich im urbanen Umfeld holen. Der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez begegnet den Forderungen des „Entleerten Spaniens“ mit der Aussicht auf eine stärkere Dezentralisierung von staatlichen Einrichtungen und viel Geld. Die Hilfen aus dem EU-Aufbaufonds kommen ihm dabei gerade recht.