Schanghai

Ohne Fleiß kein Reis

„Der dümmste Bauer erntet die dicksten Kartoffeln“ – ein Spruch, der jede wachsame Agronomen-Augenbraue streng hochziehen lässt. Er ist wohl eher nachbarschaftlicher Neidkultur in agrarisch geprägten Gesellschaften als dem wissenschaftlichen...

Ohne Fleiß kein Reis

„Der dümmste Bauer erntet die dicksten Kartoffeln“ – ein Spruch, der jede wachsame Agronomen-Augenbraue streng hochziehen lässt. Er ist wohl eher nachbarschaftlicher Neidkultur in agrarisch geprägten Gesellschaften als dem wissenschaftlichen Abgleich von Ernteerträgen mit dem Intelligenzquotienten von Landwirten geschuldet. Kluge Wissenschaftler aber haben sich schon lange damit beschäftigt, wie sich aus der nahrhaften Knolle noch mehr Leistung herauskitzeln lässt. Da genmanipulierte Kartoffeln beim Verbraucher gewissermaßen „patata non grata“ sind, versucht man es mit hybriden Gewächsen.

Bei einem Hybriden wird das Beste aus zwei Systemen kombiniert, sodass es zu einer maximalen Leistung kommt. So wie ein Hybridfahrzeug eine maximale Anzahl an PS erreicht, indem es sowohl den elektrischen als auch den Verbrennungsmotor benutzt, soll das Kreuzen von speziell entwickelten Elternlinien bei Pflanzen stärkere und ertragreichere Sorten hervorbringen. Bei der Kartoffel klappt das noch nicht so richtig. In China jedoch ist die Hybridisierung von Pflanzen, die als Sättigungsbeilage taugen, eine Erfolgsstory. Das Zauberwort heißt Hybridreis, eine über dreißig Jahre hinweg sorgsam entwickelte und verfeinerte Agrartechnik, mit der es gelungen ist, den Reisertrag pro Hektar Anbaufläche mehr als zu verdoppeln.

Mit Hybridreis wurde ein ganz entscheidender Beitrag für die Beseitigung von Hungersnöten geleistet. Das nicht nur in China, sondern auch in Dutzenden von anderen asiatischen oder afrikanischen Schwellen- und Entwicklungsländern. Hybridreistechnik ist also ein chinesischer Exportschlager, mit dem mal nicht handelspolitischer Unfrieden, sondern ein wichtiger Beitrag zur Lebensmittelversorgung gestiftet wurde.

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Die Hybridreiserfolge sind wesentlich einem über Jahrzehnte hinweg bienenfleißigen und unermüdlich werkelnden chinesischen Agrarwissenschaftler namens Yuan Longping zu verdanken. Ganz China kennt ihn als Vater des Hybridreis. In einem Alter, in dem andere in Ruhestand zu gehen pflegen, hatte Yuan erst richtig aufgedreht und die von ihm maßgeblich entwickelte Hybridreistechnik immer weiter vorangetrieben. Als jüngste Errungenschaft gelten Reissetzlinge, die auch in salzhaltigem Wasser gedeihen, was gewaltiges neues Potenzial zur Erschließung von landwirtschaftlich bislang nicht nutzbaren Bodenflächen eröffnet.

Yuan, der lebenslang nie zu arbeiten aufgehört hatte, ist kürzlich im honorigen Alter von 91 Jahren verstorben. Als die Nachricht von seinem Tode verbreitet wurde, schien die Zeit für einen Moment stillzustehen. China hat wehmütig innegehalten, Tränen vergossen und dann mit spontanen Beileidsbekundungen und Ehrerweisungen auf sozialen Medienkanälen alle Dämme brechen lassen. Der Abschied von einem Agrarwissenschaftler wirkte ähnlich emotionsgeladen wie einst der von Lady Diana. Ein jeder Chinese kann sich daran erinnern, was er gerade tat, als ihn die traurige Nachricht von Großvater Yuans Ableben erreichte. Er ist praktisch jedem ein Begriff. Die Alten erinnern sich noch an Zeiten, als Reis ein eher knappes Gut war, die Jungen haben in der Schule vom bescheidenen Volkshelden gehört und ihn in Pflichtaufsätzen über den Dienst am Vaterland gebührend erwähnt.

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Yuan wurde schon zu Lebzeiten mit Statuen an seinem Geburtsort, seiner Alma Mater und seiner wissenschaftlichen Wirkungsstätte in Changsha, Hunan bedacht. Nun liegen dort Hunderttausende von Blumensträußen und der Staatspräsident hat persönlich kondoliert. Nur eine Frage blieb noch offen, nämlich ob auf öffentlichen Gebäuden die Fahnen auf Halbmast gesetzt würden. Wenn nicht für den Volkshelden Yuan, für wen dann, so die einhellige Meinung des Publikums. Wie würde Peking reagieren? Das Volk hielt den Atem an. Großvater Yuan hat in seinem Leben alles richtig gemacht, aber er ist kein Politiker. Und er war nicht einmal Mitglied der Kommunistischen Partei. Ein klarer Fall also. Die Fahnen blieben oben.   

                 (Börsen-Zeitung,