Chinas Tech-Konzerne

Peking stoppt den Zug an die Wall Street

Peking nimmt die Tech-Konzerne an die kurze Leine und erschwert ihnen den Gang an die Wall Street zur Finanzierung der Expansion. Die Politik will daran teilhaben und ein Wörtchen mitreden.

Peking stoppt den Zug an die Wall Street

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Eines schönen Septembermorgens im Jahr 2014 zeigte sich die altehrwürdige Fassade der New York Stock Exchange (Nyse) in die weiß-orangenen Logofarben der Alibaba Group getaucht und zudem mit amerikanischen und chinesischen Wimpeln festlich beflaggt. Der chinesische Technologieriese machte mit dem weltgrößten Initial Public Offering (IPO) über 25 Mrd. Dollar der Wall Street seine Aufwartung und wurde stürmisch gefeiert. Alibaba wurde zum Wegbereiter einer regelrechten Romanze zwischen performancegierigen US-Anlegern und kapitalhungrigen Technologiefirmen, für die es an den zäh regulierten heimischen Börsen kaum Durchschlupf gibt.

Sieben Jahre später zeigt sich mit dem Börsengang des Fahrdienstriesen Didi ein völlig anderes Bild: Didi hat mit einer Kapitalaufnahme von 4,4 Mrd. Dollar immerhin das zweitgrößte chinesische IPO in den USA gestemmt, ist dabei aber regelrecht aufs New Yorker Parkett geschlichen. Flaggen waren beim Didi-Handelsstart vor zwei Wochen nicht zu sehen, es gab kein traditionelles Glockenzeremoniell, die Didi-Mitarbeiter wurden dazu aufgefordert, das IPO auf sozialen Medien gar nicht erst zu erwähnen. Zwei Tage später wusste man warum. Die Cybersecurity Administration of China (CAC) konfrontierte den Börsenneuling mit Ermittlungen wegen der Verletzung von Datenschutzbestimmungen und ließ die von über 400 Millionen Chinesen genutzte Fahrdienst-App für Neukunden sperren.

Konzertierte Aktion

Die Didi-Aktie ist naturgemäß eingebrochen, und der Börsenneuling sieht sich nun mit US-Aktionärsklagen wegen der Verletzung von Informationspflichten überhäuft. Es gibt nämlich den begründeten Verdacht, dass Didi von der CAC vorgewarnt und zu einer Verschiebung des Börsengangs aufgefordert worden war, das aber zum Anlass nahm, erst recht eilig an die Nyse zu gehen. Bei Chinafixierten US-Anlegern macht sich lähmendes Entsetzen breit, ist doch in den vergangenen Tagen deutlich geworden, dass es beim Fall Didi nicht um ein einzelnes „schwarzes Schaf“, sondern um eine konzertierte Aktion Pekings geht, die in engem Zusammenhang mit dem epochalen Technologiestreit zwischen China und den USA steht.

Nachdem sich die USA unter Donald Trump einiges einfallen ließen, um chinesischen Unternehmen den Zugang zum weltgrößten Aktienkapitalmarkt zu vermiesen, ist es jetzt paradoxerweise Chinas Staatsführung selbst, die den Drang der heimischen Techfirmen nach New York stoppt. Unter dem Banner der nationalen Sicherheit müssen chinesische Firmen neuen Sicherheitsstandards zum Schutz ihrer Daten vor dem möglichen Zugriff von ausländischen Stellen genügen. Künftig werden Börsengänge in den USA als Gefahrenquelle für die nationale Sicherheit eingestuft. Chinesische Anwärter für ein US-IPO müssen sich einer gesonderten Sicherheitsprüfung unterziehen, von deren Ergebnis eine Freigabe abhängt. Plötzlich hat Peking alle Fäden in der Hand, um den Kapitalmarktzugang chinesischer Techfirmen im Ausland nach eigenem Gutdünken zu steuern und die Kontrolle über sie auszuweiten. Bislang gab es auf Basis des chinesischen Kapitalmarktrechts keine Handhabe, um Börsengänge in den USA zu unterbinden.

Lektion für US-Anleger

In gewisser Weise hat Peking zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen bindet man die bereits seit Monaten mit einer Regulierungskampagne zur Marktmachtbeschränkung konfrontierten privaten Techriesen immer enger in die staatliche Kontrollsphäre ein. Zum anderen will man der US-Finanzszene die Lektion erteilen, dass die Wertentwicklung chinesischer Techfirmen weniger vom ach so freien US-Kapitalmarkt und seinen Preisbildungsmechanismen abhängt als mehr von den Befindlichkeiten der chinesischen Staatsführung. Damit stehen US-Anleger und auch US-Investmentbanken als Emissionsbegleiter vor einer völlig neuen Risikokonstellation, die das bislang florierende Geschäft mit chinesischen Börsengängen auszutrocknen droht. Der von Alibaba beflügelte Drang nach New York hat die Zahl der dort gelisteten chinesischen Unternehmen auf über 250 anschwellen lassen, die zu ihrem Bewertungshöhepunkt im Oktober und damit im unmittelbaren Vorfeld der chinesischen Tech-Regulierungskampagne auf eine Marktkapitalisierung von 2,2 Bill. Dollar kamen. Danach büßten Marktwertriesen wie Alibaba zwar kräftig ein, die Begeisterung für Neuzugänge aus China aber blieb. In der ersten Jahreshälfte reichte die Kapitalaufnahme via chinesische Börsengänge in New York mit 13 Mrd. Dollar bereits nahe an das Gesamtvolumen des prächtigen IPO-Jahrgangs 2020 heran.

Die Party geht zu Ende

Mit dem fest erwarteten Emissionsrekord für 2021 ist es nun natürlich Essig. Dutzende von chinesischen IPO-Anwärtern, deren Ge­schäftsmodelle auch nur entfernt etwas mit Internetdiensten und der Auswertung von Nutzerdaten zu tun haben, müssen nun umdenken. Statt sich auf eine hoffnungslose Warteschleife für ein US-IPO einzulassen, werden sie eher das noch verbleibende internationale Kapitalbecken an der Hongkonger Börse als politisch unbedenkliche Alternative ansteuern. Dort nämlich hat Peking seit der Einführung eines drakonischen Sicherheitsgesetzes Mitte vergangenen Jahres sowieso alles unter Kontrolle.