Madrid

Sánchez kann es nicht allen recht machen

Mit einer spektakulären Kehrtwende hat Spaniens Ministerpräsident eine lange Krise mit Marokko beendet. Die Kehrseite: Er hat alle Parteien gegen sich aufgebracht und den langjährigen Energiepartner Algerien vergrätzt.

Sánchez kann es nicht allen recht machen

Während des Ramadans ist es eine besondere Ehre, zum abendlichen Fest des Fastenbrechens eingeladen zu werden. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez speiste am Donnerstag mit Marokkos König Mohammed und dessen engster Familie im Palast von Rabat. Mit dieser Inszenierung wollten beide Regierungen den Beginn einer „neuen Etappe“ in den bilateralen Beziehungen einleiten, wie es hieß. Die Dauerkrise aus diversen Gründen zwischen Madrid und Rabat soll nun beendet sein, was beide Seiten durch die Rückentsendung der marokkanischen Botschafterin sowie Abmachungen für zahlreiche Gipfeltreffen unterstrichen.

Der Preis für den Friedensschluss mit dem schwierigen Nachbarn im Maghreb kommt Sánchez jedoch teuer zu stehen, sowohl innen- als auch außenpolitisch. In einer überraschenden Kehrtwende der langjährigen spanischen Position zum Konflikt um die Westsahara sprach die spanische Regierung jüngst ihre Unterstützung für Marokkos Vorschlag eines Autonomiestatus für das weite, aber dünn besiedelte Gebiet an der Atlantikküste aus. Bislang hatte sich Spanien nicht festgelegt und auch das von den Vereinten Nationen anvisierte Referendum zum Status der früheren spanischen Kolonie, die 1976 von Marokko besetzt wurde, als mögliche Lösung verteidigt.

Spanien schließt sich somit anderen wichtigen Ländern an. Frankreich ist ebenfalls für die Idee einer Autonomie der Westsahara, die dem sahrauischen Volk Garantien geben soll. Wie das im autokratischen Marokko geschehen soll, wirft Zweifel auf. Auch Deutschland hat seinen Streit mit Marokko unlängst beendet, indem Berlin die Autonomielösung offiziell für gut befand. Ex-US-Präsident Donald Trump ging, kurz bevor er das Weiße Haus verließ, noch einen Schritt weiter und erkannte die Hoheit Marokkos über die Westsahara an.

Doch daheim in Spanien hat Sánchez mit seinem überraschenden Positionswechsel in der Westsahara-Frage alle gegen sich aufgebracht. Im Parlament stimmten vorige Woche lediglich die Sozialisten des Regierungschefs gegen eine symbolische Erklärung, in der weiter auf einem Referendum bestanden wird. Die Initiative hatten die linken Parteien angestoßen, darunter der Koalitionspartner der Sozialisten, das Linksbündnis Unidas Podemos. Im linken Lager wird Sánchez Verrat am sahrauischen Volk vorgeworfen. Die Verantwortung der früheren Kolonialmacht, deren chaotischer Rückzug die Besetzung der Westsahara durch Marokko ermöglichte, ist eine der Standarten der Linken in Spanien. Flaggen der Befreiungsfront Polisario sind auf Demos zu ganz anderen politischen Themen immer präsent, und Jahr für Jahr besuchen spanische Aktivisten Tinduf, den Sitz der Exilregierung der Polisario in Algerien.

Auch die konservative Volkspartei (PP) stimmte für die Erklärung im Parlament, obwohl sie in der Sache ebenfalls für eine Aussöhnung mit Marokko steht. Der frisch gekürte neue Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo kritisierte jedoch die Art und Weise, in der Sánchez eine jahrelange außenpolitische Kernposition abräumte, ohne jegliche Konsultation. Nicht einmal der Koalitionspartner war eingeweiht.

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Konkrete Folgen hat die Watsche im Parlament jedoch nicht. Die außenpolitischen Konsequenzen der Kehrtwende in der Westsahara-Frage könnten dafür umso schwerer wiegen. Algerien, die Schutzmacht der Sahrauis, hat aus Protest den Botschafter aus Madrid abgezogen und die Flugverbindungen zwischen beiden Ländern gestrichen. Spanien bezieht den Großteil seines Erdgases von seinem anderen Nachbarn im Maghreb, der mit Marokko auf Kriegsfuß steht. Es besteht seit Jahrzehnten ein Liefervertrag zwischen der algerischen Staatsfirma Sonatrach und dem spanischen Energiekonzern Naturgy. Algerisches Erdgas fließt durch zwei Pipelines durchs Mittelmeer.

Eine weitere Leitung führt nach Italien. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine präsentiert sich Algerien als alternativer Gasversorger für Europa. Am Montag war daher Italiens Ministerpräsident Mario Draghi in Algiers zu Besuch. In Madrid weiß man noch nicht genau, wie hoch die Rechnung für die Aussöhnung mit Marokko am Ende ausfallen wird.