Energiemarkt

Schlammschlacht um Strompreise in Spanien

Der Anstieg der Energiepreise ist zwar ein globales Phänomen. Doch Spanien ist besonders stark davon betroffen, da Millionen von Haushalten flexible Elektrizitätsverträge haben, bei denen die Schwankungen des Marktes sofort durchschlagen.

Schlammschlacht um Strompreise in Spanien

Von Thilo Schäfer, Madrid

Die Vorstände spanischer Großkonzerne gehen gewöhnlich sehr behutsam mit Kritik an der Regierung um, egal welcher Couleur. Einer, der jedoch regelmäßig aus der Reihe fällt, ist Ignacio Sánchez Galán. Der langjährige CEO des Energieriesen Iberdrola nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die Wirtschaftspolitik öffentlich kommentiert. Doch die wütenden Attacken des Konzernchefs wegen der jüngsten Eingriffe der spanischen Koalitionsregierung aus Sozialisten und Linken in den Strommarkt haben wegen ihrer selbst für die Verhältnisse des Iberdrola-Chefs großen Schärfe überrascht. Sánchez Galán beklagte einen „fürchterlichen Interventionismus“ und meinte, „mit Extremisten in der Exekutive kann man nicht regieren“.

Der Ärger des Vorsitzenden von Iberdrola, Spaniens größtem und international breit aufgestellten Energieversorger, rührt von einem Sonderdekret vom September her, mit dem die Regierung die Gewinne der Unternehmen aus emissionsfreien Energiequellen besteuert. Da sich der Strompreis nach dem in Europa geltenden System nach der teuersten Energieart richtet, bescheren die drastisch gestiegenen Gaspreise den Erzeugern von Atom-, Wasser- und Ökostrom reichlich Zugewinne, welche die Regierung als „windfall profits“ einstuft. Am Donnerstag muss das vorläufige Dekret im Parlament bestätigt werden, und es deuten sich Änderungen an. Im Vorfeld trifft die Ministerin für die Energiewende, Teresa Ribera, dieser Tage die Vorsitzenden der großen Stromerzeuger, Iberdrola, Endesa, Naturgy, EDP und Acciona, um deren Vorschläge auszuloten, wie die steigenden Kosten für Verbraucher und Wirtschaft ge­bremst werden können. Der Anstieg der Energiepreise ist zwar ein globales Phänomen. Doch Spanien ist besonders stark davon betroffen, da Millionen von Haushalten flexible Elektrizitätsverträge haben, bei denen die Schwankungen des Marktes sofort durchschlagen. Einige Industrieunternehmen haben ihre Produktion vorübergehend herun­ter­gefahren, wie der baskische Stahlbauer Sidenor.

Um die Auswirkungen der Strompreisspirale für die Haushalte abzufedern, hat die Regierung Steuern und Abgaben auf der Elektrizitätsrechnung gesenkt, wie etwa die Mehrwertsteuer von 21% auf 10%. Dies soll mit der Sonderbesteuerung auf die Gewinne der emissionsfreien Energieproduktion finanziert werden, die vorübergehend bis März vorgesehen ist. Madrid rechnete mit Einnahme von 2,6 Mrd. Euro, doch aufgrund der weiter steigenden Gaspreise fürchtet die Branche einen Einschnitt von mehr als 5 Mrd. Euro.

Ministerpräsident Pedro Sánchez wischte die Bedenken der Energiekonzerne zunächst beiseite. „Die können sich das leisten“, sagte der Sozialist und verwies darauf, dass die Ratingagenturen bislang keinen der Stromkonzerne herabgestuft haben. In der Tat sind Spaniens Versorger weitaus profitabler als der Durchschnitt ihrer europäischen Mitbewerber. Laut Zahlen von Eurostat für 2018 entsprach der Gewinn der spanischen Firmen 18% ihres Umsatzes, verglichen mit einem europäischen Durchschnitt von 10%.

Doch Sánchez Galán geht es offenbar nicht allein um eine vorübergehende Minderung des Gewinns. Auf einer Reise nach New York im September klagte er vor Fundmanagern über die Rechtssicherheit in seiner Heimat. „Ich muss mich hier schwer darum bemühen, den Investoren zu erklären, warum solche Dinge in Spanien passieren“, sagte er in einem Interview. Brisant war, dass Sánchez zur gleichen Zeit in New York weilte, wo er den Anlegern die Chancen bei den Milliardenhilfen für die Ener­giewende schmackhaft machen wollte, bevor er wegen des Vulkanausbruchs auf La Palma frühzeitig abreiste.

„Wenig solidarisch“

Zu Hause antworteten Sánchez’ Ministerinnen auf die Angriffe des Iberdrola-Chefs. „Es stimmt, dass es da ein Unternehmen gibt, das sich wenig solidarisch zeigt“, sagte Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Und die Sozialministerin und Chefin von Koalitionspartner Podemos, Ione Belarra, erinnerte an die 1,5 Mrd. Euro Gewinn von Iberdrola im ersten Halbjahr sowie die Vergütung von 12 Mill. Euro für Sánchez Galán im vergangenen Jahr.

Dieser steht mit seinen Bedenken jedoch nicht allein da. Analysten teilen die Ansicht, dass die kurzfristigen Änderungen der Spielregeln im spanischen Energiemarkt Investoren verstören.

Immerhin sind sich Regierung und Versorger darin einig, dass es am besten wäre, eine europaweite Lösung zu finden. Vergangene Woche veröffentlichte Calviño mit ihren Amtskollegen aus Frankreich, Italien, Tschechien, Rumänien und Griechenland einen Aufruf zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen gegen die steigenden Gaspreise, wie eine gemeinsame Einkaufspolitik. Zuvor hatte Sánchez von der Europäischen Kommission bereits einen Wechsel der Systems gefordert, wonach die am Markt teuerste Energiequelle den Preis für alle anderen festlegt. Dadurch kostet der relativ günstige Strom aus Atomkraft, Wasser, Wind oder Sonne derzeit genauso viel wie die Elektrizität aus Gaskraftwerken. Nicht nur der spa­nische Premier warnt davor, dass man die Energiewende nicht über erhöhte Preise auf dem Rücken der sozial Schwachen durchboxen könne. Die Gelbwesten in Frankreich lassen grüßen.

Energieministerin Ribera hat angeboten, die Kürzungen der „windfall profits“ der Versorger zurückzunehmen, wenn man in Brüssel eine europäische Lösung beschließe. Das dürfte aber nicht von heute auf morgen geschehen, sehr zum Verdruss von Sánchez Galán.

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