Ampel-Regierung

Schlinger­kurs in Berlin

Die Ampel-Koalition ist in keiner guten Verfassung. Einen Rücktritt und drei Wackelkandidaten verzeichnet das Kabinett. Der Kanzler agiert zögerlich.

Schlinger­kurs in Berlin

Ein Rücktritt und drei Wackelkandidaten: Das Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist vier Monate nach Amtsantritt in keiner guten Verfassung. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) stellte am Montag ihr Amt zur Verfügung. Zuvor hatte sie noch versucht, den Posten mit einer Entschuldigung zu retten. Spiegel kämpfte mit den Tränen, als sie einräumte, als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz kurz nach der Flutkatas­trophe im Ahrtal in einen vierwöchigen Urlaub gefahren zu sein und – entgegen ihrer an­fänglichen Aussage – Kabinettssitzungen in dieser Zeit versäumt zu haben. Letzteres wiegt am schwersten, weil Spiegel mit der Unwahrheit Vertrauen in die Regierung verspielt hat.

Aber auch weitere Minister schlingern und sind mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) verwirrt mit Aussagen über Waffenlieferungen an die Uk­raine. Ihrer Aussage im Bundestag, die dünnen Angaben zu den deutschen Aktivitäten beruhten auf Bitten der Ukraine, widersprach der ukrainische Botschafter in Deutschland postwendend. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) benötigte einige Zeit, bis sie die Versorgung und Verteilung Geflüchteter aus der Ukraine auch als Problem des Bundes er­kannte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) überraschte damit, dass er in der Koalitionsräson entgegen seiner dezidierten Überzeugung in der Corona-Pandemie handelte, um dann in einer Talkshow eine Kurswende be­kannt zu geben. Der Hype um Lauterbach in sozialen Netzwerken scheint die Grenze zwischen politischem Alltag mit klaren Entscheidungswegen und der vermeintlichen Allmacht eines Medienstars zu verwischen. Die Grünen-Spitze hat nun bei Spiegel die Notbremse gezogen und ihre angeschlagene Ministerin vom Spielfeld genommen. Kurz vor zwei wichtigen Landtagswahlen im Mai in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen gilt es, unnötige Risiken zu vermeiden.

Auch inhaltlich ist die Koalition angeschlagen. Die angestrebte Impfpflicht in der Corona–Pandemie fiel vergangene Woche im Bundestag in allen vorgeschlagenen Varianten durch. Auch das Ampel-Bündnis brachte keine eigene Mehrheit zustande. Kanzler Scholz hatte es wohlweislich vermieden, einen Regierungsentwurf zur Impfpflicht vorzulegen, weil er eine Niederlage fürchtete. Die Gewissensfreiheit der Abgeordneten zum Credo zu erheben, hilft ihm jetzt nicht weiter. Die mangelnde Geschlossenheit der Ampel fällt gleichwohl auf den Kanzler zurück. Seinen Managementstil prägt Zögerlichkeit. Verantwortung lässt sich durch Untätigkeit nicht umwidmen.

Ein Bild der Zögerlichkeit vermittelt die Bundesregierung auch im Krieg Putins gegen die Ukraine. Am Anfang feierte sie sich für die Lieferung von 5000 Helmen. Vor allem die SPD-Fraktion mit einem be­trächtlichen An­teil von Jusos unter den Abgeordneten hat sich in der neuen Rolle, über Krieg und Frieden entscheiden zu müssen, noch nicht gefunden. Die Grünen mit einem ebenfalls stark friedensbewegten Flügel wa­ren zumindest in der Umweltpolitik anpassungsfähiger. Die starke Abhängigkeit von Lieferungen fossiler Energie aus Russland münzten sie in ein Beschleunigungsprogramm zur Klimatransformation um. Bundesklimaminister Robert Habeck (Grüne) brachte wie geplant sein Osterpaket zur Förderung erneuerbarer Energien im Kabinett durch. Die FDP hat keine Minister im öffentlichen Feuer, aber Glaubwürdigkeitsprobleme anderer Art. Ihr Credo einer soliden Haushaltspolitik gerät zunehmend ins Wanken. Die Operation, 60 Mrd. Euro Kreditermächtigungen an der Schuldenbremse vorbei für den Energie- und Klimafonds zu sichern und dabei noch das Regelwerk zu beugen, war nur ein erster Sündenfall in der Ampel-Regierung. Das kreditfinanzierte Sondervermögen Bundeswehr ist schon der zweite Casus wider die Haushalts­regeln.

Zugegeben, Coronakrise und der Krieg in der Ukraine haben die Regierungsarbeit unter an­dere Vorzeichen gestellt. Das schöne Ampel-Projekt, Deutschland in einen vorbildlichen klimaneutralen, digitalisierten und wirtschaftsstarken Staat zu verwandeln, ist von unerwarteten Aufgaben überlagert. Ein Entlastungsgesetz jagt das nächste und soll die Folgen der drastischen Energiepreissteigerungen mildern. Vom Ukraine-Krieg gebeutelte Unternehmen bauen auf Staatshilfe. Dies alles verschlingt viel Geld aus der Bundeskasse. Das kriegsbedingt ge­bremste Wirtschaftswachstum wird darüber hinaus die öffentlichen Einnahmen schmälern. Die Ampel wird damit innere Konflikte immer weniger über finanzielle Kompensation austragen können.

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