BlickfeldTriebwerks-Probleme

Triebwerksprobleme bremsen Airlines aus

Triebwerke müssen außerplanmäßig gewartet werden, deshalb bleiben Flugzeuge monatelang am Boden. Fluggesellschaften fordern finanzielle Entschädigung vom Triebwerkshersteller Pratt & Whitney – "Das wird ein interessanter Kampf", kündigt Lufthansa-Chef Carsten Spohr an.

Triebwerksprobleme bremsen Airlines aus

Triebwerksprobleme bremsen Airlines aus

Turbinen von Pratt & Whitney müssen zurück in die Werkstätten 250 bis 300 Tage Stillstand am Boden

Ein kritischer Blick reicht bei den nun nötigen Reparaturen der Triebwerke nicht, vielmehr handelt es sich um eine Art "chirurgischen Eingriff", der für längeren Stillstand sorgen dürfte.

Triebwerksprobleme bremsen Airlines aus

Turbinen von Pratt & Whitney sorgen für 250 bis 300 Tage Stillstand am Boden

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Martin Gauss, der Chef von Air Baltic, hat es bereits vor Wochen vorausgesehen: „Das Problem bei Pratt & Whitney wird immer noch größer“, sagte Gauss im Juni im Gespräch mit dem Branchenportal Aerotelegraph. Und er hatte Recht. Während zunächst verkürzte Wartungsintervalle für Schrecken in der Luftfahrtbranche sorgten, ist es nun ein Pulvermetall. Bei Bauteilen aus dem Material, das unter hohem Druck und Temperatur eingeschmolzen ist, kam es zu Verunreinigungen. In der Folge ruft der Triebwerkhersteller Flugzeuge, die mit seinen zwischen Ende 2015 und Ende 2021 gebauten PW1100G-Triebwerken ausgestattet sind, zurück in die Werkstätten. Verbaut sind die Motoren vorrangig im Airbus A320neo.

200 sollten im laufenden September und noch einmal 1.000 im kommenden Jahr zum Check, hatte es zunächst geheißen. Aber es kam schlimmer. Bei einer Analystenkonferenz vor wenigen Tagen musste die Muttergesellschaft des US-Triebwerksherstellers, Raytheon Technologies (RTX), zugeben, dass in den kommenden Jahren 3.000 Triebwerke für Inspektionen von den Flugzeugen abgebaut werden. Das sind fast alle bisher ausgelieferten Getriebefan-Antriebe des Herstellers. Die Inspektionen dürften sich bis 2026 hinziehen. Zusätzlich müssen die Motoren danach alle 2.800 bis 3.800 Flüge zu wiederholten Prüfungen, so Pratt & Whitney.

"Unheimlich frustrierend"

Auch laut Lufthansa-Chef Carsten Spohr wird das Thema Triebwerksprobleme die Branche noch länger beschäftigen. Und nicht nur das. Es sei "unheimlich frustrierend", dass es bei der derzeit sehr starken Nachfrage auf der Angebotsseite so stocke, sagte Spohr kürzlich. In der Folge bleiben auch Verbesserungen in der CO2-Bilanz aus, weil Flugzeuge mit neuen Triebwerken zwischen 25 und 30% weniger Schadstoffe ausstoßen als ihre jeweiligen Vorgängermodelle. "Die Probleme sind tiefliegend, gehen mehrere Schichten in der Lieferkette hinunter, neue Probleme kommen hinzu", so der Lufthansa-Chef.

Die Probleme mit den Pratt-&-Whitney-Triebwerken werden dazu führen, dass bei 20 der 70 Jets des Typs Airbus A320 neo der Lufthansa im kommenden Jahr außerplanmäßig die Triebwerke überholt werden müssen. Diese Flugzeuge fehlen dann in der Flotte, zumal damit gerechnet wird, dass die Reparaturarbeiten im Durchschnitt für einen Stillstand von 250 bis 300 Tagen sorgen. Pratt & Whitney hat wegen des Materialmangels 6 Mrd. Dollar für Kompensationen an Kunden zurückgestellt – ziemlich wenig, ist man sich in der Airline-Branche einig. Auch die Lufthansa werde darum verhandeln, "das wird ein interessanter Kampf", kündigte Spohr an. Airbus-Großkunde Wizz Air hatte ebenfalls mitgeteilt, sich um finanzielle Entschädigung durch den Triebwerkshersteller zu bemühen. Der zeitweise Ausfall der betroffenen Flieger könne dazu führen, dass das Unternehmen seine Kapazitäten im kommenden Jahr um 10% zurückfahren muss, hieß es bei der stark wachsenden Billigfluggesellschaft aus Ungarn.

"Sie kommen alle zu spät"

Jetblue Airways, eine US-Fluggesellschaft, teilte kürzlich mit, die größten Hindernisse für Wachstum seien zum einen die anhaltenden Verzögerungen bei der Auslieferung von Flugzeugen und zum anderen die Maschinen, die für Reparaturen am Boden bleiben müssen. Man bekomme im laufenden Jahr nur 19 neue Airbus-Flugzeuge statt der ursprünglich erwarteten 30. „Wir haben einen sehr großen Auftragsbestand an neuen Flugzeugen, aber sie kommen alle zu spät", sagte CEO Robin Hayes in einem Bloomberg-Interview  "Darüber hinaus gibt es Probleme mit den Triebwerken. Und es stehen neue Flugzeuge ohne Triebwerke am Boden, weil es nicht genug Triebwerke gibt." Auch von fertigen Maschinen, die auf Flugzeugsitze warten, war schon zu hören. "Wir werden bei der Beschaffung von Flugzeugen kreativ werden müssen, um den Wachstumskurs von Jetblue fortzusetzen", ergänzte Finanzchefin Ursula Hurley.

"Chirurgischer Eingriff"

Die Liste der von Lieferengpässen und Triebwerksproblemen betroffenen Fluggesellschaften ließe sich beliebig fortführen, zumal der aktuell vor allem betroffene Airbus A320neo ein Verkaufsschlager und deshalb bei einer Vielzahl von Airlines weltweit im Einsatz ist. Fluggesellschaften versuchen ihre Flotten mit dazugeleasten Fliegern zu ergänzen, aber auch dieser Markt ist ziemlich leer gefegt.

MTU-Chef Lars Wagner hatte kürzlich die bei den Fliegern jetzt notwendige Inspektion mit einem „chirurgischen Eingriff, fokussiert auf die Turbinenscheibe“ verglichen. MTU, die an dem Triebwerksprogramm beteiligt ist, erwartet für das laufende Geschäftsjahr Umsatzeinbußen und einen Rückgang des Betriebsergebnisses von rund 1 Mrd. Euro. Pratt & Whitney geht für sich von einer finanziellen Belastung in Höhe von 3 bis 3,5 Mrd. Dollar in den kommenden Jahren aus.

Auch der Hersteller Safran berichtet von verunreinigtem Metallpulver. Philippe Stroppa/ Safran

Die schlechte Nachricht: Laut Aerotelegraph könnte nicht nur im Triebwerk aus dem Hause Pratt & Whitney verunreinigtes Pulvermetall verbaut sein. So sagte Olivier Andriès, Chef des französischen Konzerns Safran, der zusammen mit GE die Triebwerke der CFM-Leap-Reihe herstellt: „Auch wir haben bei CFM im Sommer 2021 ein Qualitätsproblem bei der Inspektion von rotierenden Teilen festgestellt. Die Ursache war die Verunreinigung von Metallpulver bei einem Zulieferer für eine begrenzte Anzahl von Chargen.“ Man habe damals alle nötigen Maßnahmen ergriffen, die Kunden informiert und führe die Anpassungen im Laufe der Wartungszyklen durch. Triebwerksausfälle und Beeinträchtigungen der Kunden habe es nicht gegeben.

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