Unterm StrichKraftwerksstrategie

Habeck in der Dunkelflaute

Mit dem Ende der Kohleverstromung droht Deutschland der Blackout. Denn bis 2030 müssten etwa 50 neue Gas- und/oder Wasserstoffkraftwerke gebaut werden. Doch die dazu nötige Kraftwerksstrategie des Wirtschaftsministeriums lässt weiter auf sich warten.

Habeck in der Dunkelflaute

Habeck in der Dunkelflaute

Von Claus Döring

Mit dem Ende der Kohle- verstromung droht Deutschland der Blackout. Denn bis 2030 müssten etwa 50 neue Gas- und/oder Wasserstoffkraftwerke gebaut werden. Die dazu nötige Kraftwerksstrategie des Wirtschaftsministeriums lässt auf sich warten.

Wenn man das letzte Puzzlestück in der Hand hält, ist es bis zur Vollendung nicht mehr weit. Sollte man meinen. Meinten auch Energiewirtschaft und Kraftwerksbetreiber, als Wirtschaftsminister Robert Habeck am 1. August vergangenen Jahres nach der Verständigung mit der EU-Kommission über den Rahmen der künftigen Kraftwerksstrategie verkündete, man habe damit nun das „letzte Puzzlestück in der neuen dekarbonisierten, sicheren Energieversorgung in das Spielfeld gelegt“. Nach diesem „politischen Durchbruch“, so der Minister, sollten im Herbst 2023 die öffentliche Konsultation und noch bis Jahresende die ersten Ausschreibungen für bis zu 50 neue Gas- und Wasserstoffkraftwerke beginnen, die nach dem Kohleausstieg ab 2030 für die Versorgungssicherheit in Deutschland benötigt werden.

Selbst dann, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien, der 2023 erstmals mehr als die Hälfte des Bedarfs deckte, bis 2030 die geplanten 80% oder sogar 90% und mehr der deutschen Stromproduktion ausmachen sollte, wird eine große Zahl sogenannter steuerbarer Kraftwerke erforderlich sein, damit bei den mehrwöchigen Dunkelflauten im Jahr in Deutschland nicht das Licht ausgeht. Diese Dunkelflauten sind Zeiten mit kaum Sonnenschein und Wind, in denen die Stromproduktion aus Erneuerbaren in den einstelligen Prozentbereich rutscht. Um dann einen Blackout zu verhindern, müssen sehr schnell hohe Kraftwerkskapazitäten zugeschaltet werden können. Diese Flexibilität bieten Gas- und Wasserstoffkraftwerke, die freilich die meiste Zeit des Jahres nicht am Netz sind. Selbst mit forciertem Ausbau von Energiespeichern, ihrer intelligenten Vernetzung, Smart-Meter-Technologie sowie der stärkeren Einbindung in den europäischen Strommarkt wird eine solche Reservekapazität benötigt.

Hierfür eine Kraftwerksstrategie vorzulegen, hatte Robert Habeck schon vor einem Jahr angekündigt, bis zur Jahresmitte 2023 wollte er liefern. Dabei geht es auch um das künftige Design für den deutschen Strommarkt, das mit den EU-Binnenmarktregeln kompatibel sein muss. Die meisten Fachleute empfehlen einen subventionierten Kapazitätsmarkt zusätzlich zum bestehenden Energy-only-Markt, bei dem Angebot und Nachfrage den Strompreis bestimmen. Für die neuen Back-up-Kraftwerke, die nur wenige Wochen im Jahr in Betrieb sind, müssen mit potenziellen Betreibern Geschäftsmodell, Investitionszuschüsse und Finanzierung geklärt und mit Brüssel die Vereinbarkeit mit dem beihilferechtlichen Rahmen gesichert werden. Doch darauf wartet die Industrie bisher vergeblich.

Derweil läuft die Zeit davon. Für den Bau neuer Gas- und Wasserstoffkraftwerke müssen von Planung bis Inbetriebnahme sechs Jahre kalkuliert werden, die nötigen Kapazitäten der Kraftwerksbauer vorausgesetzt. Das dürfte bei dem vom Wirtschaftsminister angekündigten Zubau von 30 Gigawatt, die ungefähr 50 Kraftwerken entsprechen, schwierig werden. Zwar haben die großen Versorger längst Pläne in der Schublade und warten sehnlichst auf den Start der Ausschreibungen, doch Habecks Ministerium scheint planerisch in einer Dunkelflaute zu stecken. Vielleicht ist man im Ministerium noch auf der Suche nach jenen 60 Mrd. Euro, die nach Expertenschätzung zur Subventionierung der neuen Reservekraftwerke nötig sind. Wie auch immer – es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet der Klimaminister die Dekarbonisierung der Wirtschaft vertrödelt und in Deutschland auch nach 2030 noch Strom aus Kohlekraftwerken zur Versorgungssicherheit produziert werden muss. Der Verweis auf die dann vielleicht 80% Anteil aus Erneuerbaren wäre eine ähnliche ökologische Augenwischerei wie bisher der subventionierte Betrieb von Wärmepumpen und E-Autos, deren Strom zur Hälfte aus fossilen Energien stammt.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.