Finanzmarktstratege

Chinas Staranalyst Hong muss umsatteln

Im Mai setzte die staatskontrollierte Bank of Communications (Bocom) den über zehn Jahre hinweg in ihren Diensten zum Staranalysten und zu einer der wichtigsten Marktstimmen in Chinas Finanzgemeinde avancierten Hong vor die Tür.

Chinas Staranalyst Hong muss umsatteln

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Der China-Ökonom und Finanzmarktstratege Hong Hao ist blitzgescheit, alles andere als auf den Mund gefallen und hat einen Blick für problematische Konjunktur- und Marktentwicklungen. Das ließ ihn unter anderem Chinas großen Aktienmarktknall vom Sommer 2015 vorhersagen und die verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen des Schanghai-Lockdowns präzise darstellen. Klingt nach geeigneten Voraussetzungen für die Beschäftigung als Top-Analyst einer angesehenen chinesischen Großbank. Tatsächlich ist in Zeiten, da Chinas Staatsführung sich mit trotziger Corona-Nulltoleranz und ideologiegeleiteten wirtschaftlichen Weichenstellungen immer weiter versteigt, genau das Gegenteil der Fall.

Im Mai setzte die staatskontrollierte Bank of Communications (Bocom) den über zehn Jahre hinweg in ihren Diensten zum Staranalysten und zu einer der wichtigsten Marktstimmen in Chinas Finanzgemeinde avancierten Hong vor die Tür. Wenige Tage zuvor war Hong von Chinas Zensurbehörden der Stecker gezogen worden. Seine öffentlichen Social-Media-Accounts auf den führenden Plattformen Wechat und Weibo, denen ein paar Millionen regelmäßige Follower angeschlossen waren, wurden abgeschaltet.

Welche der Marktbotschaften von Hong es genau war, die den Geduldsfaden reißen ließ, weiß man nicht. In jedem Fall aber hat es damit zu tun, dass Peking in diesem Jahr keine fundierten Meinungsäußerungen von Wirtschafts- und Finanzmarktexperten mehr zulässt, die von der Sichtweise der Parteiführung abweichen. Diese lautet, dass sich Chinas Konjunktur trotz leichter Rücksetzer wegen unvermeidlicher Corona-Restriktionen und fieser Machenschaften der USA in einem pumperlgesunden Zustand befindet und wegen umsichtiger Staatslenkung bereits dem nächsten formidablen Aufschwung entgegeneilt. Parallel dazu ist es heimischen Analysten implizit auch nicht gestattet, an der Peking zufolge gerade wieder ins Haus stehenden Aktienhausse zu zweifeln, oder – schlimmer noch – einen Baissetrend wegen Konjunkturunsicherheit, Corona-Restriktionen oder Immobilienmarktverwerfungen zu prognostizieren. Wehe auch dem, der auf eine anhaltende Schwäche des Yuan gegenüber dem Dollar tippt oder mit einem größeren Kapitalabzug seitens ausländischer Investoren rechnet. Mit anderen Worten, wer immer pessimistische Prognosen abliefert, die sich im Nachhinein freilich als korrekt erweisen, wird in die Nähe eines Sabotageakts gestellt, der darauf abzielt, Chinas Wirtschaftsmoral zu untergraben.

Für manch kompetenten Marktbeobachter bleibt da nur noch die Wahl, dem staatlich geforderten Optimismus zuwiderlaufende Einschätzungen für sich zu behalten oder umzusatteln. Hong ist nun Letzteres geglückt. Er hat eine neue Heimat als Chefökonom des Schanghaier Hedgefonds Grow Investment Group gefunden und wird von Hongkong aus High-Net-Worth-Kunden mit klugen Marktmeinungen versorgen. Dabei kann er auch kaum in Peking anecken, denn nun geht es um Marktszenarien für Chinesen, die in Offshore-Märkten anlegen wollen.

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