Russland

Männerclique lenkt Putins Staatswirtschaft

Putin lässt die Seinen nicht im Stich, weil auch sie ihn nicht im Stich lassen. Daraus ist ein Netzwerk erwachsen, das vom gegenseitigen Geben und Nehmen geprägt ist – ökonomisch und politisch.

Männerclique lenkt Putins Staatswirtschaft

Von Eduard Steiner, Moskau

Wenn der russische Oppositionelle Alexej Nawalny kahlgeschoren im Straflager dahinvegetiert, so ist das auch seinem Film über Wladimir Putins Milliardenpalast am Schwarzen Meer geschuldet. Als der von seiner Vergiftung genesene Nawalny die Dokumentation über die irrwitzige Anlage Mitte Januar über Youtube veröffentlichte, schlug das in Russland wie eine Bombe ein. Im Nu hat er über 100 Millionen Aufrufe erzielt. Fast zwei Wochen lang war der Kreml sichtlich ratlos. Wie in Abrede stellen, dass die Anlage für Putin errichtet worden ist, wo Dokumente doch darauf hinweisen und sie sogar vom Geheimdienst bewacht wird? Am Ende rettete Arkadi Rotenberg die Situation. Er sei der „Begünstigte“ des Palastes, erklärte der Multi­milliardär.

„König der Staatsaufträge“

Der Imageschaden aber blieb. Den Russen ist nämlich längst klar: Wo jemand wie Rotenberg draufsteht, ist Putin drin. Zu augenfällig ist der Aufstieg des heute 69-jährigen Petersburgers. Einst sein Sparringspartner im Judoklub, avancierte Rotenberg mit seinen Baufirmen später zum „König der Staatsaufträge“. Die meisten Gaspipelines hat er errichtet. Auch der 3 Mrd. Euro teure Bau der Brücke auf die annektierte Krim wurde ihm übertragen. Und weil auch Rotenberg 2014 mit Sanktionen belegt wurde und daher Besitzungen in Italien im Wert von 40 Mill. Dollar verlor, wurde in Russland sogar ein „Rotenberg-Gesetz“ verabschiedet, das die Entschädigung von im Ausland enteigneten Russen ermöglicht.

Putin lässt die Seinen nicht im Stich, weil auch sie ihn nicht im Stich lassen. Vor allem jene Männer um sich, die aufgrund des Vertrauensverhältnisses „dostup k telu“ haben, wie man in Russland für „Zutritt zu ihm“ (wörtlich: „zum Körper“) sagt. Putin hat sie schon sehr früh unter seinen Judopartnern, KGB-Kameraden oder Mitarbeitern in Petersburg, wo er Vizebürgermeister war, ausgesucht und ihnen die Zuständigkeit für jene Wirtschaftssektoren übertragen, in denen der Staat das Sagen hat.

Und weil der Anteil des Staates je nach Berechnung auf mittlerweile bis zu 70% des BIP ausgeweitet worden ist, sofern man auch die indirekte Einflussnahme auf Privatfirmen hinzurechnet, ist auch die Macht dieser Männer gestiegen. Manche sprechen von der Kreml AG. Andere wie Michail Krutichin, als Partner der Beratungsfirma Rusenergy Kenner des wichtigen Öl- und Gassektors, greifen zum Vergleich mit mafiösen Strukturen: „Wie ein Godfather ist Putin der Koordinator. Die Capos um ihn herum hat er eingesetzt, damit sie die Geldströme kontrollieren“, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Wie sehr Putins engste Wirtschaftsleute auch politischen Einfluss haben ist umstritten. Extrem groß ist er bei Nikolaj Patruschew, dem Ex-Geheimdienstchef und jetzigen Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats. Der 69-Jährige gebietet zwar – wie Alexej Makarkin vom Moskauer Zentrum für Politische Technologien auf Anfrage erklärt – über keinen eigenen Wirtschaftssektor, hat aber seinen Sohn zum Landwirtschaftsminister und Aufsichtsrat bei Gazprom gemacht.

Putins Freunde sind noch fit

Generell sind Putins Altersgenossen aber noch fit genug, um die Kontrolle über die ihnen übertragenen Sektoren selbst auszuführen. Der 68-jährige Sergej Tschemesow etwa, der einst mit Putin für den KGB in Dresden diente. 2007 übertrug ihm Putin die neue Staatsholding Rostech, die über 700 Subunternehmen zählt und ihre Produkte in über 70 Länder der Welt exportiert. Vorwiegend geht es um Rüstungsgüter, bei deren Export Russland weltweit Nummer 2 hinter den USA ist. Neben mehreren Ministern sitzt im Aufsichtsrat übrigens Sergej Iwanow, KGB-Offizier und Ex-Chef der Kreml-Administration. Iwanow zog sich nach dem Tod seines älteren Sohns 2014 etwas zurück und ist heute Präsidentenbeauftragter für den Umweltschutz. Sein jüngerer Sohn freilich wurde als Chef von Alrosa installiert – des Staatskonzerns, der ein Viertel der globalen Diamantenproduktion abdeckt.

Der halbstaatliche Ölkonzern Rosneft wiederum deckt 40% der gesamten russischen Ölförderung ab. Kein Sektor ist für Russland bedeutsamer. Nicht zufällig hat Putin ihn nach der Privatisierung in den 1990er Jahren großteils renationalisiert. Und nicht zufällig hat er Igor Setschin auserkoren, mit Rosneft über den Aufkauf privater Konkurrenten zum Platzhirsch aufzusteigen. Der 60-Jährige arbeitete nach der KGB-Schule einst als Dolmetscher in Afrika. Nachdem er als Putins Sekretär in Petersburg gedient hatte, wich er nie mehr von seiner Seite. Als verantwortlicher Sekretär in der Energiekommission bereite Setschin heute alle strategischen Entscheidungen im Ölsektor für Putin vor, sagt Krutichin. Dem Rosneft- Aufsichtsrat, dem auch Ex-Stasioffizier und Nordstream-Chef Matthias Warnig angehört, sitzt Gerhard Schröder vor.

Eine solche Internationalität lässt der halbstaatliche Gaskonzern Gazprom zwar vermissen. Aber seine Milliarden verdient er zum Großteil als Lieferant in Europa. Damit Putin im Bilde ist, wohin sie fließen, hat er schon 2001 seinen einstigen Mitarbeiter in Petersburg Alexej Miller an die Spitze gehievt. Laut dem Politikwissenschaftler Makarkin ist der 59-jährige Miller zwar ein wichtiger Spieler in Putins Umfeld, habe aber nicht die Strategiekompetenz für den gesamten Gassektor.

Auf diesem mischt nämlich noch Putins Petersburger Freund und Multimilliardär Gennadi Timtschenko mit, der bis zu den Sanktionen 2014 Hälfteeigentümer des Ölhandelskonzerns Gunvor war. Der 68-Jährige ist heute Großaktionär des landesweit größten Flüssiggasproduzenten Novatek und des Petrochemiekonzerns Sibur, an dem bis zur Scheidung auch der Mann von Putins Tochter Katerina zu einem Fünftel beteiligt war. „Mit Öl und Gas beschäftige ich mich nicht“, sagte Timtschenko übrigens 2019 in einem Interview: „Ich stehe ja unter Sanktionen. Womit soll ich mich beschäftigen? Ich sitze also und warte, bis die Dividenden gezahlt werden. Das ist alles, was ich mache.“

In der Liga des landesweit sechstreichsten Russen Timtschenko spielt Nikolaj Tokarew, der mit Putin für den KGB in Dresden gedient hat, zwar nicht. Als Präsident des staat­lichen Ölpipeline-Monopolisten Transneft aber transportiert der 70-Jährige 83% des in Russland geförderten Öls.

Eines von Putins Konten selbst liegt übrigens bei der Petersburger Bank „Rossija“. Hauptaktionär ist sein einstiger Datschennachbar und heute 69-jährige Milliardär Juri Kowaltschuk. Die Bank ist wichtiger als gemeinhin bekannt – in ihrem Besitz ist ein beträchtlicher Teil der namhaftesten Medien.