Männerüberhang

Mangelnde Diversität in Deutschlands Vorständen

Die Aktienmärkte werden weltweit von großen US-amerikanischen Tech-Konzernen dominiert. Nicht immer, aber oft, gehört bei ihnen eine Frau zur obersten Führungsriege. In Deutschland ist es hingegen noch nicht weit her mit der Diversität. Dadurch wird viel Potenzial vergeudet.

Mangelnde Diversität in Deutschlands Vorständen

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie sind US-amerikanische Tech-Konzerne an den Börsen mächtiger denn je. Von den 100 wertvollsten Unternehmen der Welt machen sie allein rund ein Fünftel aus – und belegen sogar zur Hälfte die vorderen zehn Plätze, wie jüngst die Unternehmensberatung EY aufgeschlüsselt hat. Die Gründe für den gigantischen Erfolg dieser Dickschiffe sind vielfältig. Zu den wichtigsten zählt sicherlich die sich immer schneller vollziehende Digitalisierung in allen möglichen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ein Blick in die Chefetagen besonders großer Player wie Microsoft, Alphabet oder Nvidia zeigt aber auch: Es ist, zumindest zu einem gewissen Teil, die Vielfalt selbst, die diese Unternehmen, aber auch die gesamte Branche in den USA ausmacht.

So tragen derzeit in allen drei Konzernen jeweils Frauen die Hauptverantwortung für die Finanzen – namentlich sind das Amy Hood, Ruth Porat und Colette Kress. Auch ansonsten werden große US-Tech-Firmen neben Finanzunternehmen verhältnismäßig oft von weiblichen CFOs geleitet, wie der jüngste „Volatility Report“ der Headhunterfirma Christ Kolder Associates zeigt.

Klarer Wettbewerbsvorteil

Dass es einen Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens und dessen Frauenanteil in der „C-Suite“, also der obersten Führungsriege, gibt, ist nun eigentlich nichts Neues. Entsprechende Studien weisen seit Jahren darauf hin. Denn Frauen, so heißt es in der Literatur, treffen Entscheidungen häufig anders als Männer. Sie sorgen zum Beispiel für eine deutlich vorsichtigere und konservativere Rechnungslegungspolitik und räumen bei der Budgetallokation der Mitarbeiterentwicklung oft einen höheren Stellenwert ein, als etwa dem Thema M&A. „Es gibt durchaus Tendenzen, die zeigen, dass Vorstände mit weiblicher Besetzung eher auf die Unternehmensentwicklung aus eigener Kraft achten und über Risiken sorgfältiger sprechen“, sagt Diversity-Expertin und McKinsey-Partnerin Julia Sperling-Magro im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Hinzu komme, dass auch im operativen Geschäft die Fehleranfälligkeit mit zunehmender Heterogenität der Teams sinke und diverse und inklusive Unternehmen gleichzeitig eine bessere Reputation genießen – gerade bei der jungen Generation. Mit Blick auf die heute oft schwierige Mitarbeitergewinnung ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor.

„Es ist wichtig, dass Menschen mit Führungsverantwortung den Zusammenhang kennen und auch dementsprechend handeln“, sagt Sperling-Magro. „Wenn sich ein Unternehmen im obersten Quartil in Sachen gemischter Besetzung befindet, hat es eine um 25% höhere Wahrscheinlichkeit, seine Wettbewerber auch finanziell zu übertreffen. Diese Korrelation haben wir in den letzten zehn Jahren immer und immer wieder aufgezeigt und sie wurde immer deutlicher.“

Deutschland hinkt hinterher

Dass ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis im Top-Management nicht nur für mehr Profitabilität sorgt, sondern auch zu einer besseren Performance an den Börsen führt, ist ebenfalls bereits nachgewiesen worden. 2019 hatte der Datendienst S&P Global Market Intelligence ausgerechnet, dass die Aktienkurse all jener Russell-3000-Unternehmen, die seit dem Jahr 2002 eine Frau in das Amt des CFO berufen hatten, innerhalb von 24 Monaten um durchschnittlich gut 7 % gestiegen waren und sich damit besser entwickelt hatten als der Rest.

Zum Teil ist die Botschaft auch schon angekommen. Der Anteil weiblicher Vorstände steigt in vielen Ländern langsam aber stetig. Dabei haben die USA derzeit mit gut 31% Frauen in den führenden Unternehmen die Nase vorn, wie eine Studie der schwedisch-deutschen Allbright-Stiftung vom September ergeben hat. Direkt danach folgt Großbritannien mit gut 27%.

Deutschland kommt dagegen, nach der Erweiterung des Dax von 30 auf 40 Unternehmen, gerade einmal auf einen Anteil von rund 17%. Das allein ist schon ein recht trübes Bild. Doch mit Blick auf die hiesige Tech-Branche, die im vergangenen Jahr mit über 12 Mrd. Dollar so viel Wagniskapital wie nie zuvor an Land gezogen hat, verdüstert sich die Lage einmal mehr. So belief sich der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Bereichen wie Softwareentwicklung, Programmierung, Informatik zuletzt auf 9 bis 12 %, wie eine Studie des Berliner Instituts für Innovation und Technik (IIT) ergeben hat.

Im Fintech-Bereich hatte die Berlin Finance Initiative Anfang November sogar einen noch drastischeren Männerüberhang festgestellt: Bei den 20 größten deutschen Fintechs fanden sich zu dem Zeitpunkt gerade einmal zwei Frauen in den Ge­schäftsführungen – aber 56 Männer. „Selten erlebe ich noch Systeme – die Kapitalgeber eingeschlossen –, die so homogen sind wie die Fintech-Branche“, hatte die Studienautorin und Wirtschaftswissenschaftlerin Philine Sandhu das Ergebnis kommentiert.

So ist es denn auch kein Wunder, dass Frauen in Sachen Unternehmensgründung in Deutschland ebenfalls stark unterrepräsentiert sind. Ihnen fehlen schlicht die Vorbilder. Die mangelnde Sichtbarkeit vollzieht sich sowohl in der echten Welt als auch in der digitalen. Auf Tech-Events sind es nachgewiesenermaßen vorwiegend Männer, die als Speaker auf dem Podium stehen. In den digitalen Medien werden Debatten ebenfalls häufig von männlichen Nutzern dominiert.

Ein belegtes Beispiel ist der New-Work-Diskurs, der mit der Ausbreitung der Corona-Pandemie noch mal verstärkt geführt wurde. Von über 2,9 Millionen Online-Beiträgen, die von Januar 2020 bis März 2021 zu dem Thema verfasst wurden, stammten weltweit rund 66 % von männlichen Nutzern. Das hatte eine im August veröffentlichte Auswertung des Ynsight Research Institute im Auftrag der Managementberatung Horváth ergeben. In Deutschland belief sich der Anteil der männlichen Beiträge sogar auf fast 76 %.

Gründerinnen im Nachteil

Die fehlende Sichtbarkeit von weiblichen Role Models sorgt aber nicht nur dafür, dass Frauen seltener ein Unternehmen gründen. Der Umstand bringt auch mit sich, dass jene Frauen, die den Schritt dennoch wagen, bei der Akquise von Finanzmitteln weit seltener zum Zuge kommen. Die Chance, nach der Gründung an Investorengelder zu kommen, sei in Deutschland für rein weibliche Start-ups um 18 % geringer, hieß es in einer Studie der Boston Consulting Group von 2019. Dabei verstärke sich die Ungleichbehandlung noch im weiteren Gründungsverlauf. In der dritten Finanzierungsrunde sei die Erfolgswahrscheinlichkeit sogar um 90 % geringer.

„Das ist der Confirmation Bias“, erklärt Sperling-Magro. „Die Tatsache, dass divers besetzte Unternehmen erfolgreicher sind, kann ich als Investor bei Start-ups bislang einfach noch nicht beobachten − es gibt noch nicht genügend davon. Stattdessen sehe ich vor allem erfolgreiche männliche Start-ups und repliziere das einfach weiter.“

Diesen Kreislauf zu durchbrechen sei nicht trivial, aber angesichts des hohen ungenutzten Potenzials extrem wichtig. „Es ist für beide Seiten ein Verlust“, sagt die Expertin, „sowohl für die Unternehmen als auch für die Investoren.“ Im globalen Wettbewerb um Innovationen könne man sich das eigentlich nicht mehr leisten.

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