ABB

Rosengrens heikles Spiel mit Erwartungen

ABB-Chef Björn Rosengren hat es geschafft, dass das Vertrauen an ihn und seine künftigen Leistungen hoch ist. Doch das Spiel mit den Erwartungen ist ein zweischneidiges Schwert, zumal an der Börse, wo sich eine gute Stimmung schnell ins Gegenteil verkehren kann.

Rosengrens heikles Spiel mit Erwartungen

Von Daniel Zulauf, Zürich

ABB-Chef Björn Rosengren genießt einen fast schon phänomenalen Ruf. Seit bald zweieinhalb Jahren steht der 63-jährige Schwede an der Spitze der Rangliste der Manager mit dem besten Image in der Schweiz. Über die Qualität von Medienanalysen, wie sie das deutsche Marketinginstitut Unicepta durchführt, kann man zwar getrost geteilter Meinung sein. Doch der sogenannte Pygmalion-Effekt ist eine gut erforschte psychologische Erscheinung, die längst auch Eingang in die Managementpraxis gefunden hat. Je größer die Erwartung, desto besser die Leistung, lautet die Grundthese, die vor 60 Jahren mit Hilfe von Experimenten in Schulklassen erfolgreich getestet wurde.

Rosengren scheint die Theorie nahezu perfekt zu bestätigen. 2019, in seinem letzten Jahr als Chef des Industriekonzerns Sandvik, heimste er die Auszeichnung „Leader of the Year“ eines schwedischen Business-Magazins ein. Im August desselben Jahres wurde er von ABB zum neuen CEO berufen. Seit März 2020 zieht er in Zürich die Fäden für den Elek­trotechnik-Multi.

Schon die Ankündigung der Ablösung des zuletzt immer unglücklicher operierenden deutschen Vorgängers Ulrich Spiesshofer löste bei Investoren einen Begeisterungssturm aus. Daran hat sich trotz Pandemie und des zunehmend schwieriger werdenden konjunkturellen Umfeldes kaum etwas geändert. Die ABB-Aktien notieren im Vergleich zu August 2019 fast 60% höher.

Finanztechnisch gesprochen hat ABB unter Rosengren den langjährigen Bewertungsrückstand auf europäische Mitbewerber wie Siemens oder Schneider Electric aufgeholt und diese je nach Kennzahl sogar überholt. Doch das Spiel mit den Erwartungen ist ein zweischneidiges Schwert, zumal an der Börse, wo sich eine gute Stimmung schnell ins Gegenteil verkehren kann.

Remo Rosenau, ein langjähriger ABB-Kenner und Finanzanalyst bei der Helvetischen Bank, ist ein Rosengren-Fan. Der Manager leiste Grundlegendes und setze den Umbau des Konzerns zu einer dezentral, nach klaren Leistungsvorgaben geführten divisionalen Organisation hervorragend und in zügigem Tempo um. „Der Eingriff war überfällig und wird das Wachstum von ABB langfristig beleben“, ist Rosenau überzeugt. Doch Rosengren habe auch das Potenzial zu scheitern, räumt er ein. „Wer hohen Erwartungen gegenübersteht, muss auch viel liefern.“

Angekündigt hat Rosengren unter anderem die Teilöffnung der kleinen, aber ultraschnell wachsenden E-Mobility-Division für Drittinvestoren. Die Transaktion soll noch vor Ende Juni über die Bühne gehen, „sofern die Marktbedingungen konstruktiv sind“, sagt ein ABB-Sprecher.

Von konstruktiven Marktbedingungen kann derzeit beileibe nicht die Rede sein. Seit Jahresbeginn haben die ABB-Titel fast 19% ihres Wertes eingebüsst. In der Ukraine tobt ein Krieg, Großbritannien steht am Anfang einer Rezession, und diese könnte nach der Einschätzung vieler Ökonomen schon bald auch den Kontinent und vor allem die globale Konjunkturlokomotive USA erreichen.

Die Errungenschaften der Globalisierung seien akut bedroht und die Weltwirtschaft stehe vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, warnte Kristalina Georgiewa, Chefin des Internationalen Währungsfonds, im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos.

Im Rahmen eines sogenannten „Presounding“, mit dem die mit der E-Mobility-Transaktion beauftragten Investmentbanken unlängst die Nachfrage der Investoren vorfühlten, habe sich zwar „ein starkes Interesse“ gezeigt, konstatiert der ABB-Sprecher. Doch damit ist noch nichts darüber ausgesagt, was die Investoren für ein solches Angebot zu zahlen bereit wären. Anfang des Jahres erklärte Rosengren, ABB wolle aus dem Verkauf „mindestens“ 750 Mill. Dollar erlösen. Um dieses Ziel zu erreichen, hätte er vor Jahresfrist schätzungsweise ein Viertel der Aktien verkaufen müssen. Nach den jüngsten Marktkorrekturen wären es jetzt vermutlich schon um die 50%.

Es ist schwer vorstellbar, dass ABB bereit ist, die Hälfte ihrer Wachstumsperle abzutreten. Eine erste Enttäuschung ist deshalb programmiert. Über die ebenfalls schon vor Monaten angekündigte Trennung der kürzlich in „Accelleron“ umbenannten Turbolader-Division mit Sitz am historischen BBC-Standort Baden bei Zürich will ABB „in den kommenden Wochen“ entscheiden. Auch hier stellt sich die Frage, wie sinnvoll eine solche Transaktion unter den gegebenen Marktbedingungen noch ist.

Am 21. Juli wird ABB über den Geschäftsgang in den ersten sechs Monaten des Jahres berichten. In drei der vier Geschäftsbereiche waren die Gewinnmargen schon in den ersten drei Monaten rückläufig. Die Situation könnte sich bis Ende Juni weiter verschlechtern.

Die Inbetriebnahme einer hochmodernen Industrieroboter-Fabrik in Schanghai ist nach einer Lockdown-bedingten mehrwöchigen Verspätung inzwischen zwar erfolgt. Doch die Mitarbeitenden mussten ihre Wohnung gegen behelfsmäßige Notunterkünfte auf dem Fabrikareal eintauschen. 1400 der insgesamt 15000 ABB-Mitarbeitenden in China unterlägen derzeit diesem Regime, teilte der Konzern mit. „Der Markt hat schon Verständnis für die aktuell außergewöhnliche Situation“, sagt Analyst Rosenau im Vorgriff auf einen möglicherweise enttäuschenden Semesterausweis. Doch wie lange die Geduld der Investoren anhält, ist offen.

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