Bayer-Betriebsratschefin Hausfeld

„Scheitern ist keine Option“

Heike Hausfeld, Betriebsratschefin und stellvertretende Aufsichtsratschefin von Bayer, hat schon so manche Unternehmenskrise miterlebt. Mit dem neuen Organisationsmodell namens Dynamic Shared Ownership muss sie abermals ein umfangreiches Stellenabbauprogramm begleiten.

„Scheitern ist keine Option“

„Scheitern ist keine Option“

Von Annette Becker, Leverkusen

Heike Hausfeld ist ein Bayer-Urgestein. In ihren fast 40 Jahren Betriebszugehörigkeit hat sie schon manche Unternehmenskrise miterlebt. Doch so schwierig wie seit der verhängnisvollen Übernahme von Monsanto dürfte die Arbeit der langjährigen Betriebsrätin wohl noch nie gewesen sein. Als oberste Arbeitnehmervertreterin und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende hat die 58-Jährige seit 2022 machtvolle Positionen inne, die aber auch viel Verantwortung mit sich bringen.   

An der Entscheidung zur größten Akquisition der Firmengeschichte hat Hausfeld zwar nicht mitgewirkt – dem Kontrollgremium gehört sie erst seit 2017 an –, die Folgen muss sie allerdings an vorderster Front ausbaden. Im Herbst 2018 legte Bayer ein erstes Restrukturierungsprogramm auf, keine zwei Jahre später folgte die nächste Sparrunde – beide verbunden mit massiven Stellenstreichungen. Am Ende hat es jedoch nicht gereicht.

Bayer steht unter Zeitdruck

„Wir haben schon viele Anpassungsrunden hinter uns. Das hat uns aber nicht nachhaltig gestärkt. Daher probieren wir jetzt einen neuen Ansatz, bei dem es nicht um die Umverteilung von Arbeit geht, sondern um die Neugestaltung der Arbeit“, erläutert Hausfeld im Gespräch, warum der Betriebsrat dem neuen Organisationsmodell namens Dynamic Shared Ownership (DSO) zugestimmt hat. Im Zuge der Übereinkunft zwischen Vorstand und Arbeitnehmervertretung konnte der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen zwar nur um ein Jahr bis Ende 2026 verlängert werden. Als Niederlage will Hausfeld das jedoch nicht verstanden wissen: „Wir stehen unter erheblichem Zeitdruck. Wir müssen schnell zeigen, dass wir das Unternehmen nach vorne bringen.“

Ganz Norddeutsche

Wehklagen und Schuldzuweisungen sind ihre Sache nicht. Ganz Norddeutsche ist sie nüchtern und pragmatisch unterwegs und sucht nach Auswegen aus der vertrackten Situation. Es sei die Aufgabe der Arbeitnehmervertreter, gerade in schwierigen Zeiten für den Ausgleich der Interessen zu sorgen, ist die Mutter zweier erwachsener Kinder überzeugt.

Zu Bayer ist sie 1985 direkt nach dem Abitur im Zuge ihrer Ausbildung zur mathematisch-technischen Assistentin gekommen. Zu dieser Zeit waren Ausbildungsplätze in der IT rar gesät, zumal in dem kleinen Ort, in dem sie aufgewachsen ist. Als sie bei Bayer angefangen habe, habe ihr Heimatort weniger Einwohner gezählt, als Bayer am Standort Leverkusen beschäftigte, erinnert sie sich. Nach einigen Berufsjahren wurde Hausfeld 1994 erstmals in den Betriebsrat gewählt, seit 1998 ist sie freigestelltes Mitglied.

Das neue Organisationsmodell

DSO ist ein Managementmodell, das der neue CEO Bill Anderson mitgebracht hat. Bayer leistet hier Pionierarbeit, hat das neue Organisationsmodell bislang doch noch kein Großkonzern Realität werden lassen. Den Teams und letztlich jedem einzelnen Beschäftigten soll mehr Entscheidungskompetenz gegeben werden, sodass künftig zeitraubende Genehmigungskaskaden entfallen und der Konzern am Ende von Bürokratie befreit wird.

„Als wir im Sommer mit der Kommunikation zu DSO begonnen haben, war ich über die Reaktionen ein wenig überrascht. Da war eine richtige Aufbruchstimmung zu spüren“, berichtet die Betriebsratschefin von den ersten Rückmeldungen. Aber natürlich gibt es auch viel Verunsicherung, ist mit DSO doch erneut ein erheblicher Stellenabbau verknüpft. Noch heute gibt es im Konzern viele Beschäftigte, die ihr gesamtes Berufsleben bei Bayer verbracht haben, gelegentlich in x-ter Familiengeneration. Eine Beschäftigung außerhalb des Konzerns ist für viele kaum vorstellbar.

Von einer klassischen Bayer-Vita will Hausfeld auf sich bezogen jedoch nichts wissen. Als klar wird, dass inzwischen auch eines ihrer Kinder bei Bayer arbeitet, muss sie schließlich auch lachen. Krise hin oder her –  für Bayer zu arbeiten, ist wohl bis heute etwas Besonderes: „Ich bin mit dem Unternehmen zusammengewachsen“, sagt Hausfeld, die in all den Jahren nie einen Wechselwunsch verspürte. Eine Gewähr, dass DSO den gewünschten Erfolg zeitigt, gibt es nicht. Doch: „Scheitern ist für mich keine Option“, sagt Hausfeld im Brustton der Überzeugung und ergänzt: „Das Tolle an DSO ist, dass es ein sich entwickelnder Prozess ist, in den wir steuernd eingreifen können.“ Dadurch ließen sich die Auswirkungen aber auch schwerer abschätzen, räumt sie ein. Hausfeld wägt vorsichtig ab, wie viel Einblick sie gewährt. Es gab zuletzt viele negative Nachrichten, das besorge die Beschäftigten, sagt sie. Zugleich seien viele aber auch verärgert, weil positive Neuigkeiten kaum noch Niederschlag in der Öffentlichkeit fänden.

Auf Vertrauen kommt es an

Da es kein fertiges Zielbild von der künftigen Organisationsstruktur gibt, sei Vertrauen in die handelnden Personen wesentlich. Der Betriebsrat sei in die Suche nach einem Nachfolger für Werner Baumann eng eingebunden gewesen. Dabei legten die Arbeitnehmervertreter großes Augenmerk darauf, dass der neue CEO in seinen Entscheidungen auch die Belange der Belegschaft berücksichtige, erzählt Hausfeld.

Ein Kuschelverein ist das Kontrollgremium dennoch nicht. „Natürlich gibt es im Aufsichtsrat auch kontroverse Diskussionen. Am Ende finden wir aber eine Lösung, auch wenn es beiden Seiten viel abverlangt“, erläutert die Betriebsratschefin. Hier unterscheidet sich die IG Bauen, Chemie, Energie von manch anderer Gewerkschaft, die es gerne auch mal krachen lässt. Zustände wie bei Thyssenkrupp, wo der Aufsichtsratschef zuletzt von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch machte, um eine Entscheidung durchzudrücken, gab es bei Bayer noch nicht.

Kein Kuschelverein

„Ohne die Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand zu blicken, würde eine aktive Mitarbeit im Aufsichtsrat nicht funktionieren“, sagt Hausfeld und ergänzt:. „Als Aufsichtsratsmitglied darf ich über vieles nicht reden. Das heißt aber nicht, dass ich die gewonnenen Erkenntnisse nicht nutzen kann.“

Seit Hausfeld im Aufsichtsrat sitzt, hat sich ihr Verständnis für die Unternehmensbelange verändert. Der Aktienkurs habe sie früher überhaupt nicht interessiert, räumt sie freimütig ein. Heute wisse sie dagegen, wie die Sicht der Kapitalmärkte Einfluss auf das Unternehmen und seine Belegschaft nehme. Jeder Investorenforderung pflichtet Hausfeld jedoch keineswegs bei. „Ich bin fest davon überzeugt, dass eine breite Aufstellung sehr viele Vorteile hat und den Beschäftigten auch mehr Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven bietet“, fasst sich die stellvertretende Aufsichtsratschefin beim heiklen Thema Aufspaltung lieber kurz.

Andere Sicht auf die Dinge

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