Abspaltungen

Carve-outs sind besser als ihr Ruf

Die Abspaltung einzelner Unternehmensteile gilt als komplex und langwierig. Doch inzwischen steht nicht nur ein breiter Wissens- und Erfahrungsstand zur Verfügung, sondern auch technische Unterstützung.

Carve-outs sind besser als ihr Ruf

Von Maximilian Schwab*)

Das Stichwort Carve-out, also Verkäufe bzw. Abspaltungen einzelner Unternehmsteile aus einem Konzern, rückt seit mehr als 30 Jahren wiederkehrend in den Mittelpunkt der Diskussion in der deutschen Konzernlandschaft und somit auch des Transaktionsgeschehens. Ein aktuelles Beispiel ist die intensive Debatte zwischen den Aktionären und den Vorständen der Bayer AG, wo von Anlegerseite spürbarer Druck auf das Management gebracht wird, sich mit der Frage der Veräußerung von Unternehmensteilen intensiv auseinanderzusetzen. Interessant an diesem Beispiel ist, dass sich zwar die Anlässe und Treiber für die Auseinandersetzung mit dem Thema Carve-out­ über die Jahre deutlich verändert haben und damit vor allem auch die Art und Weise, wie diese ablaufen, die Vorbehalte jedoch weitestgehend unverändert sind.

Früher waren Carve-outs häufig davon getrieben, wirtschaftlich nicht zufriedenstellende Bereiche abzugeben, oft in der Hoffnung, die Restrukturierungs- und Konsolidierungsmaßnahmen weder wirtschaftlich noch öffentlich selbst verantworten zu müssen. Erwerber waren dementsprechend häufig auf Restrukturierung spezialisierte Finanzinvestoren, deren mitunter einschneidende Maßnahmen in der öffentlichen Wahrnehmung aber gerade eben doch regelmäßig auf den veräußernden Konzern zurückfielen.

Eine vermittelnde Lösung ist der Erwerb durch leitende Manager des betroffenen Unternehmensteils in Form eines Management Buy-outs (inklusive Anstoßfinanzierung), ab einer gewissen Größe ist diese aber nicht mehr gangbar. Ein weiteres Anwendungsfeld erfuhren Carve-outs in der weiteren Entwicklung in der Form von Spin-offs, meist mit dem Ziel, den getrennten, eigenständigen Teil an die Börse zu bringen, etwa Osram im Falle von Siemens. Schließlich waren und sind ein etablierter Treiber für Carve-outs kartellrechtliche Auflagen gegenüber Konzernen im Rahmen eines Zukaufs, als Beispiel sei hier der Erwerb von Monsanto durch Bayer genannt.

In jüngster Zeit ist der Carve-out gerade bei börsennotierten Unternehmen aus weiteren Gründen zum Thema geworden: Neben dem Verweis auf die erwartete positive Auswirkung auf den Aktienkurs durch Konzentration auf das Kerngeschäft fordern aktive Anleger auch vermehrt eine Verbesserung von CO2-Bilanz und ESG-Anforderungen durch Veräußerung hierfür problematischer Unternehmensteile.

Softwarebasierte Simulation

Dabei entsteht ein Spannungsfeld zwischen Aktionären bzw. Investoren und Vorständen, die oft zurückhaltend bis defensiv reagieren. Dies hat nicht allein machtpolitische Gründe, sondern wird meist auch mit der vermeintlich unverhältnismäßigen Komplexität und Ressourcenbindung von Carve-outs begründet. Dies greift aber zu kurz und kann die Beteiligten um Chancen bringen.

Die Formulierung „Carve-out“ geht darauf zurück, dass beim Herauslösen eines – oft nicht einmal rechtlich selbständig organisierten – Unternehmensteils aus einem Konzern an vielen Stellen zum einen Verbindungen durchtrennt werden müssen und zum anderen sicherzustellen ist, dass alle erforderlichen Teile auch tatsächlich „mitkommen“, das neu geschaffene Unternehmen also buchstäblich herausgeschnitten werden muss. Da in der Regel im Konzernverbund viele wechselseitige Beziehungen wirtschaftlicher, operativer, technischer und zuletzt auch rechtlicher Natur zwischen den einzelnen Sparten untereinander und der Konzernmutter bestehen, ist dies eher ein chirurgischer Eingriff – allerdings mit der Besonderheit, dass hier sowohl der verbleibende als auch der herausgelöste Teil nach Abschluss lebensfähig sind. Die zentrale Ausgangsfrage für das Gelingen ist dabei die fiktive Bilanz des neuen Unternehmens (Carve-out Financials).

Schon hier stellen sich innerhalb eines konsolidierten Konzerns zahlreiche Detailfragen, die sich ohne eine hinreichende Planung und Simulation kaum belastbar beantworten lassen. Dementsprechend früh wird eine fokussierte Analyse erforderlich, die Kosten auslöst und Ressourcen bindet.

Die Liste der Themen ist lang und hängt stets vom Einzelfall ab, mit IT-Separierung, Mitarbeiterübertragung, Pensionen, Kunden- und Lieferantenverträgen, Altlasten, erforderlicher Infrastruktur und Ersetzen von Konzernleistungen und -konditionen seien nur einige genannt. Entsprechend galt früher die Faustregel: Ein Carve-out dauert mindestens zwölf Monate – wenn er schnell ist.

So erklärt sich einerseits die Zurückhaltung auf Vorstandsebene, ohne echte Not einen solchen Prozess anzustoßen, und andererseits auch, warum in der Vergangenheit Carve-outs eher aus Zwangssituationen (mangelnde Performance, Kartellauflagen, regulatorische Veränderungen) oder langfristigen strategischen Aspekten (Spin-off) erfolgten und weniger mit Blick auf den möglichen Shareholder Value einer solchen Maßnahme.

Dennoch ist der Autor der Meinung, dass durch die gewachsenen Erfahrungen mit Carve-outs über die letzten 30 Jahre eine Zurückhaltung oder Ablehnung allein aufgrund der Komplexität die Möglichkeiten außer Acht lässt und die Gefahr birgt, substanzielle Chancen ungenutzt zu lassen. So steht gerade für die Frage der Abtrennung vom Konzern aus operativer und wirtschaftlicher Sicht mittlerweile nicht nur ein breiter Wissens- und Erfahrungsstand zur Verfügung, sondern auch zahlreiche technische Hilfsmittel, die die gefürchtete Zeitschiene deutlich verkürzen können und die Ressourcen im Unternehmen schonen.

Die softwarebasierte Simulation eines vollständigen Carve-outs aufgrund der vorhandenen Daten ist mittlerweile Standard. Dazu sind viele der häufig als nachteilig und schwierig empfundenen Themen wie die Unterstützung in einer Übergangsphase mit Dienstleistungen, Personal oder als Kunde bzw. Lieferant auf der Basis sogenannter „Transitional Service Agreements“ hinreichend standardisiert und mit Erfahrungswerten hinterlegt.

Arbeitsintensives Projekt

Auch die oft als „Black Box“ gefürchtete Trennung von der Konzern-IT stellt sich heute, anders als vor 10 oder 15 Jahren, bei richtiger Planung in der Regel als reine technische Umsetzungsmaßnahme und nicht mehr als potenzieller Deal-Killer dar. Schließlich hat die Vergangenheit bewiesen, dass ein weiterer Carve-out-Mythos, nämlich die Notwendigkeit der vollständigen Separierung aller Schnittstellen schon zum Vollzug, schwindet. Als Teil der Analyse lassen sich schnell zahlreiche Themen identifizieren, die sich auch ohne Friktionen in einem kurzen Übergangszeitraum im Laufe des normalen Betriebs trennen lassen.

Last but not least sei auch erwähnt, dass die oftmals von außen geschürte Angst der Mitarbeiter sich angesichts der modernen Carve-out-Kultur nicht mehr als berechtigt zeigt. Denn anders als in den Restrukturierungs-Carve-outs der neunziger und frühen Nullerjahre sind solche Maßnahmen allein zum Zwecke, die Verantwortung für Schließungen und Stellenabbau an einen Dritten zu übertragen, nicht mehr die Realität.

Vielmehr bieten sich Chancen für Mitarbeiter, in einem selbständigen Unternehmen ihre Rolle und Funktion neu zu denken, ohne die oftmals im Konzern vorhandenen Beschränkungen. Oft ergibt sich sogar die Möglichkeit eines beruflichen Aufstieges, da in dem neuen Unternehmen zahlreiche strategische Positionen neu geschaffen werden müssen, die im Konzern bereits besetzt sind, angefangen bei CEO, CFO, COO bis hin zu Führungspositionen in technischen Bereichen wie Produktion, Entwicklung und IT. Auch eine Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmen ist häufig zu sehen.

Der Umstand, dass aufgrund von breiten Erfahrungen und technischer Entwicklung ein Carve-out deutlich effizienter, planbarer und ressourcenschonender darstellbar ist als noch vor einigen Jahren, soll nicht in Abrede stellen, dass es sich weiterhin um ein arbeitsintensives Projekt handeln wird. Es sollten sich dennoch alle Beteiligten einer beson­nenen Analyse der Chancen und Möglichkeiten eines erfolgreichen Carve-outs öffnen, ohne die Frage der Umsetzung hierbei zum Entscheidungskriterium zu machen, und dem Modell als Teil moderner Unternehmensevolution eine Chance geben, da in vielen Situationen die Vorteile überwiegen dürften.

*) Dr. Maximilian Schwab ist Partner von Willkie Farr & Gallagher.

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