Energiepreise

Die Gasumlage steht juristisch auf wackligen Füßen

Die neue Gasumlage stößt in mehrfacher Hinsicht auf rechtliche Bedenken. Die Einwände sind von einiger Substanz.

Die Gasumlage steht juristisch auf wackligen Füßen

Von Silke Goldberg und Marius Boewe *)

Die am 9. August in Kraft getretene Gaspreisanpassungsverordnung soll Gasimporteuren einen Ausgleichsanspruch für die Mehrkosten der Ersatzbeschaffung gewähren, die ihnen durch den Wegfall von Lieferungen aus Russland entstehen. Wie bei allen gesetzlichen Regelungen, die unter Hochdruck erlassen werden, stellt sich auch hier die Frage nach der Rechtmäßigkeit. Selten aber war eine Regelung so schnell und vehement unter Juristen und Ökonomen gleichermaßen derart umstritten, dass sich bereits Korrekturen abzeichnen.

Antragsberechtigt nach der Verordnung sind ausschließlich Importeure von russischem Erdgas, die unmittelbar von einem Ausfall physischer Lieferungen nach Deutschland betroffen sind. Für ausgefallene Gaslieferungen sollen sie bis zu 90 % der Differenz aus dem ursprünglichen Bezugspreis und dem tatsächlichen Preis für die ersatzweise bezogenen Mengen er­stattet bekommen. Zwölf Unternehmen haben Ansprüche angemeldet.

Die ermittelten tatsächlich entstandenen Kosten werden nach unten weitergereicht, indem sie auf die Bilanzkreisverantwortlichen umgelegt werden. Die Kostenweitergabe endet – wie aus dem EEG bekannt – auf Stufe der Lieferanten. Eine Weitergabe durch die Energieversorger an den Endkunden ist gesetzlich nicht vorgegeben, jedoch möglich. Unklar ist, wie mit Festverträgen zu verfahren ist, denn hier verbietet der Vertragstext eigentlich eine Weitergabe der Mehrkosten an Endkunden.

Die gesamten Mehrkosten für Gasersatzbeschaffung werden mit rund 34 Mrd. Euro beziffert. Finanziert werden sollen sie über die nun hitzig diskutierte Gasumlage, die zunächst auf 2,4 Cent je Kilowattstunde festgelegt wurde. Sie wird absehbar alle Verbraucher von Erdgas – Privatpersonen wie Unternehmen – gleichermaßen belasten.

Da die Verordnung nicht zwischen Kunden differenziert, die Gas aufgrund langfristiger Verträge zu günstigeren Konditionen beziehen, und solchen, die bereits jetzt durch massive Preissteigerungen belastet werden, ist verfassungsrechtlich eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht ausgeschlossen.

Bezweifelt wird auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Die Gasumlage sei gar nicht geeignet, so die Kritiker, massive Preissteigerungen zu verhindern, die sich beispielsweise durch einen insolvenzbedingten Ausfall von Importeuren ergeben könnten. Ebendies wird aber als Ziel der Verordnung angeführt.

Differenzierung fehlt

Bemängelt wird vor allem auch, dass der Umlage die gebotene Differenzierung fehle, weil sie auch Unternehmen zugutekommen kann, die wirtschaftlich gar nicht in ihrer Existenz bedroht sind, etwa weil sie in anderen Geschäftszweigen ausreichend Gewinne erzielen. Hier hat die Regierung aktuell nun bereits Korrekturen signalisiert. Manche halten die Verordnung auch deshalb für ungeeignet, weil sie Unternehmen wie Uniper dazu zwinge, ausfallende Gasmengen aus Russland ausschließlich am (tendenziell teuren) Spotmarkt einzukaufen, wie es Anspruchsvoraussetzung für den Erhalt der Gasumlage ist. Wirtschaftlich verantwortliches Handeln durch den Bezug über günstigere Alternativquellen würde hierdurch praktisch bestraft.

Zu bedenken ist schließlich: Der Gasmarkt ist ein europäischer. An der Gaspreisschraube zu drehen ist damit auch eine integrationspolitische Frage; nationale Alleingänge führen zu Verzerrungen. Europarechtliche Be­denken gegen die Gasumlage rühren deshalb vor allem daher, dass sie eine europarechtswidrige (und damit automatisch nichtige) Beihilfe darstellen könnte.

Um die Anspruchsberechtigten vorzufinanzieren, wird Trading Hub Europe als Marktgebietsverantwortlicher mit einer staatlichen Zwischenfinanzierung unterstützt. Sieht man darin einen mit dem Beihilferecht nicht zu vereinbarenden geldwerten Vorteil, hätte diese Lösung vorab von der EU-Kommission genehmigt werden müssen. Rückwirkende Heilung kennt das Europarecht nicht.

Die juristischen Bedenken sind von einiger Substanz. Nach dem im Abgabenrecht geltenden Grundsatz der Vollständigkeit des Abgabenmaßstabs muss eine öffentliche Abgabe alle Fälle erfassen, die in der Praxis vorkommen. Bestimmte Gruppen nicht zu erfassen bedarf einer nachvollziehbaren Rechtfertigung. Diesen Grundsatz auf die Gasumlage übertragend stellt man schnell fest, dass es hier einige Lücken gibt.

An Alternativvorschlägen zur Gasumlage mangelt es bereits seit längerem nicht. Es wird etwa ein Sozialkontingent ins Spiel gebracht, das den Gaspreis auf dem Niveau von 2021 deckeln könnte. Die Energiepreispauschale könnte eine Neuauflage erleben. Die Mehrwertsteuer könnte weiter gesenkt werden und die Gasumlage nicht aus einer Umlage, sondern einer (Übergewinn-)Steuer finanziert werden.

Aufgrund der mannigfachen Kritik sehen selbst die Regierungsparteien mittlerweile Nachbesserungsbedarf. Es zeichnet sich ab, dass die Gaspreisanpassungsverordnung zumindest in Teilen nachjustiert wird. Ob das Grundkonstrukt gerichtsfest ist, wird wohl erst im Nachgang höchstrichterlich entschieden werden.

*) Silke Goldberg und Dr. Marius Boewe sind Partner von Herbert Smith Freehills.