Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Olaf Müller-Michaels

BGH ändert Rechtsprechung zur Squeeze-out-Abfindung

Gericht schafft Rechtssicherheit und bestätigt herrschende Praxis

BGH ändert Rechtsprechung zur Squeeze-out-Abfindung

– Herr Prof. Müller-Michaels, der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung im Fall Stollwerck seine Rechtsprechung zur Squeeze-out-Abfindung geändert. Worum geht es?Der Paragraf 327 a Absatz 1 Aktiengesetz erlaubt bei einer Beteiligung von 95 % den Ausschluss von Minderheitsaktionären, also einen Squeeze-out, gegen eine angemessene Abfindung. Untergrenze dieser Abfindung ist seit der DAT/AltanaEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1999 der Börsenkurs. Im Anschluss daran hatte der BGH im Jahr 2001 entschieden, dass Untergrenze für die Abfindung der durchschnittliche Börsenkurs der letzten drei Monate vor der Hauptversammlung ist, die über die abfindungspflichtige Maßnahme beschließt. Im Stollwerck-Fall hat der BGH dies nunmehr unter ausdrücklicher Aufgabe seiner alten Rechtsprechung auf die drei Monate vor der Bekanntgabe des Squeeze-out vorverlegt.- Welche Probleme bestanden denn bei der alten Rechtsprechung?Spätestens wenn die Squeeze-out-Abfindung bekannt gemacht wird, wird der Kurs von Abfindungsspekulationen bestimmt. Das hat mit dem Unternehmenswert wenig zu tun. Außerdem muss zur Einberufung der Hauptversammlung, also ungefähr sechs Wochen vorher, ein Bericht vorgelegt werden, in dem unter anderem die Angemessenheit der Barabfindung erläutert und begründet wird (§ 327 c Abs. 2 Satz 1 AktG). Das geht aber nicht, wenn der als Untergrenze relevante Börsenkurs erst am Tag der Hauptversammlung feststeht.- Was ändert sich mit der Vorverlegung des Referenzzeitraums?Durch das Abstellen auf einen Zeitraum vor Bekanntwerden der Maßnahmen bekommt man einen “spekulationsfreien” Durchschnittskurs. Der Zeitraum der letzten drei Monate vor der Bekanntgabe des Squeeze-out ist besser geeignet, den Verkehrswert der Aktie zu ermitteln, als ein mit dem Tag der Hauptversammlung endender Referenzzeitraum. Dafür spricht auch die entsprechende Rechtslage bei Übernahme-und Pflichtangeboten.- Inwiefern?Auch nach Paragraf 31 Absatz 1, Absatz 7 Wertpapierübernahmegesetz (WpÜG) in Verbindung mit Paragraf 5 WpÜG-Angebotsverordnung muss die Gegenleistung mindestens dem gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots bei Übernahmeangeboten oder des Kontrollwechsels bei Pflichtangeboten entsprechen.- Was bedeutet das neue Urteil für Unternehmen, die einen Squeeze-out vorbereiten?Der BGH segnet mit seiner Kehrtwende die inzwischen etablierte Praxis der Bestimmung der Untergrenze der Squeeze-out-Abfindung ab. Die Unsicherheit, ob der BGH nicht doch an seiner alten, nicht praxistauglichen Rechtsprechung festhält, ist beseitigt. Liegt allerdings zwischen der Bekanntgabe des Squeeze-out und der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum – im Fall Stollwerck waren es neun Monate -, verlangt der BGH, dass der Börsenwert entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung hochgerechnet wird. Wie das in der Praxis funktionieren soll, bleibt unklar.- Müssen sich Aktionäre auf niedrigere Abfindungen einstellen?Die Abfindungshöhe ist beim Abstellen auf einen Zeitraum vor Bekanntgabe des Squeeze-out regelmäßig erheblich niedriger, als wenn der Zeitraum der Abfindungsspekulationen berücksichtigt wird. So lag im Fall Stollwerck der Durchschnittskurs der Aktien für den Zeitraum von drei Monaten vor Bekanntgabe des Squeeze-out bei 275,09 Euro, für den Zeitraum von drei Monaten vor der Hauptversammlung dagegen bei 308,86 Euro. Die vom Hauptaktionär angebotene Abfindung betrug 295 Euro.- Gilt die Entscheidung nur für Squeeze-out-Abfindungen?Nein, die Grundsatzentscheidung des BGH hat nicht nur Bedeutung für den Squeeze-out, sondern auch für andere Strukturmaßnahmen mit Pflicht zur Barabfindung wie etwa Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge (§ 305 AktG) und Eingliederungen (§ 320b AktG).—-Prof. Dr. Olaf Müller-Michaels ist Partner bei Orrick Hölters & Elsing in Düsseldorf und Professor für Wirtschaftsrecht an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Essen. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.