RECHT UND KAPITALMARKT

BGH soll über Barabfindung entscheiden

Minderheitsaktionäre bei Squeeze-out bald bessergestellt? - Barwert der Ausgleichszahlungen als weiterer Mindestwert

BGH soll über Barabfindung entscheiden

Von Petra R. Mennicke *) Mit seinem Vorlagebeschluss vom 20.11.2019 (21 W 77/14) gibt das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. dem Bundesgerichtshof (BGH) eine der wenigen Gelegenheiten zu einer Entscheidung in einem Spruchverfahren. Dabei geht es um die bei der Durchführung von Strukturmaßnahmen relevante Frage der Bemessung der angemessenen Barabfindung für die Minderheitsaktionäre bei einem Squeeze-out, wenn bei der Gesellschaft – in der Regel schon länger – ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV) besteht. Genauer geht es um die noch nicht höchstrichterlich geklärte Frage, ob der Barwert der Ausgleichszahlungen, die aufgrund des BGAV den Minderheitsaktionären geschuldet werden, ähnlich dem Börsenwert der Mindestwert für die Barabfindung ist, wenn er den fundamentalen Unternehmenswert je Aktie übersteigt. Bisherige RechtsprechungDer BGH hatte schon einmal, ebenfalls auf Vorlage des OLG Frankfurt a. M., die Gelegenheit, sich zur Bemessung der Squeeze-out-Barabfindung bei einem bestehenden BGAV zu äußern. Mit Beschluss vom 12.1.2016 (II ZB 25/14) erteilte der BGH der bis dahin vom OLG Frankfurt vertretenen Auffassung, dass sich bei einem BGAV die Squeeze-out-Barabfindung allein über den Barwert der im BGAV zugesagten jährlichen Ausgleichszahlung (Garantiedividende nach § 304 AktG) bestimme, eine Absage. Vielmehr sei auch der anteilige Unternehmenswert, der in der Praxis regelmäßig nach dem Ertragswertverfahren des IDW S1 bestimmt wird, zu berücksichtigen. Denn der im Hinblick auf Art. 14 GG zu entschädigende “wahre” Wert der Aktien bestimmt sich nach dem Beschluss des BGH auch bei einem BGAV nach dem anteiligen Unternehmenswert zum maßgeblichen Stichtag des Squeeze-out (Tag der Hauptversammlung, die über den Squeeze-out beschließt). Der Barwert der Ausgleichszahlungen könne nämlich unter Umständen nicht den vollständigen “wahren” Wert der Beteiligung am Unternehmen abdecken. Deshalb sei der anteilige Unternehmenswert jedenfalls dann maßgeblich, wenn er höher als der Barwert der Ausgleichszahlungen sei.Was wäre aber, wenn der Barwert über dem anteiligen Unternehmenswert und dem Börsenwert läge? Wäre der Barwert dann, ähnlich dem Börsenwert, als Mindestwert der angemessenen Abfindung zugrunde zu legen? Der BGH ließ diese Frage seinerzeit mangels Entscheidungsrelevanz ausdrücklich offen, weil dort der Ertragswert über dem Barwert lag. Er stellte nur in einem Obiter Dictum fest, dass der Barwert jedenfalls dann eine Untergrenze bilde, wenn er dem Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung entspreche, weil die Abfindung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unter dem Verkehrswert liegen dürfe.Für den Fall, dass der Barwert nicht dem Verkehrswert entspricht, fehlt es bislang an der erforderlichen Rechtssicherheit. In der Praxis kann der Unsicherheit nur zum Teil dadurch begegnet werden, dass jedenfalls als zusätzliche interne Entscheidungsgrundlage auch der Barwert der Ausgleichszahlungen ermittelt wird. Ist dieser Wert höher als der Ertragswert, müsste er – vorbehaltlich eines höheren Börsenwertes -, um sicherzugehen, als Abfindung zugrunde gelegt werden. Volle KompensationDen Verkehrswert versteht der BGH offenbar, wie sein Verweis auf die sog. DAT/Altana-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1999 zeigt, im Sinne des Börsenwerts, der seitdem zum Schutz der von Art. 14 GG erfassten freien Deinvestionsentscheidung des Minderheitsaktionärs als Untergrenze einer Barabfindung anerkannt ist. Streng genommen kann der Barwert selbst – anders als der Börsenwert – als “Rente” nicht dem angenäherten Verkehrswert des Unternehmens entsprechen. Das OLG Frankfurt versteht den BGH hier so, dass sich der Barwert der Ausgleichszahlungen im Börsenwert niedergeschlagen haben müsse. Dies hat das OLG in dem nun dem BGH vorgelegten Fall verneint, weil die Ausgleichszahlung nach dem Bewertungsstichtag für den Squeeze-out im Spruchverfahren für den BGAV erhöht worden war. Dies sei an der Börse seinerzeit jedenfalls in der konkreten Höhe nicht vorhersehbar gewesen.Weil das OLG Frankfurt meint, der Barwert der Ausgleichszahlungen sei als Untergrenze bei der Festlegung der Barabfindung zu berücksichtigen, andere Oberlandesgerichte dies aber – zum Teil auch nach dem Beschluss des BGH vom 12.1.2016 – ablehnen, musste das OLG die Frage nach dem hier noch anwendbaren § 28 FGG dem BGH vorlegen.Das OLG Frankfurt begründet seine Auffassung, der Barwert der Ausgleichszahlungen sei der Mindestwert für die Squeeze-out-Barabfindung, sehr ausführlich und setzt sich mit den dagegen in Literatur und Rechtsprechung vorgebrachten Argumenten auseinander. Im Kern sieht das OLG in dem Barwert eine vermögenswerte Position des Minderheitsaktionärs. Der Anspruch auf die Ausgleichszahlungen würde ihm unmittelbar durch den Squeeze-out und dem damit einhergehenden Verlust der Aktionärsstellung entzogen. Dafür sei der Minderheitsaktionär zu entschädigen; anderenfalls würde das verfassungsrechtliche Ziel einer vollständigen Kompensation verfehlt. Nur wenn der Barwert im Wesentlichen dem für den Squeeze-out relevanten Börsenwert entspräche, bedürfte es keines zusätzlichen Schutzes durch den Barwert der Ausgleichszahlungen.Die Argumentation des OLG erscheint auf den ersten Blick schlüssig und wegen des der Bemessung von Abfindungen zugrunde liegenden Entschädigungsgedankens nachvollziehbar. Dennoch verbleiben Zweifel, ob der Schutz der Minderheitsaktionäre mit der Anerkennung des Barwerts der Ausgleichszahlungen als Mindestwert nicht überdehnt wird. Im Ergebnis läuft die von dem OLG vertretene Auffassung auf eine Meistbegünstigung der Minderheitsaktionäre hinaus, die sonst in der Rechtsprechung der Spruchgerichte abgelehnt wird. Die Zweifel resultieren aus einer Betrachtung der Konstellationen, in denen der Barwert der Ausgleichszahlungen als Mindestwert grundsätzlich relevant werden kann.Zum einen ist dies die Konstellation, die dem Beschluss des OLG Frankfurt zugrunde liegt. Hier wurde die Ausgleichszahlung vor dem Stichtag für den Squeeze-out durch rechtskräftige Entscheidung im Spruchverfahren zum BGAV merklich erhöht, was sich im Börsenkurs mangels konkreter Vorhersehbarkeit für die Marktteilnehmer nicht niedergeschlagen hatte. Diese Konstellation dürfte es in der Praxis angesichts der nach wie vor recht langen Dauer von Spruchverfahren nur dann geben, wenn zwischen BGAV und Squeeze-out mehrere Jahre liegen (es sei denn, es kommt zu einer eher zügigen Erhöhung der Ausgleichszahlung aufgrund eines Vergleichs im Spruchverfahren oder zur Beilegung einer Anfechtungsklage gegen den BGAV). Für die Zeit bis zum squeeze-out-bedingten Ausscheiden erhält der Minderheitsaktionär den erhöhten Ausgleich. Eine darüber hinaus erfolgende Anerkennung des Barwerts der erhöhten Ausgleichszahlungen als Mindestwert würde wegen der fehlenden konkreten Vorhersehbarkeit einen Verstoß gegen das zentrale Stichtagsprinzip bedeuten. Zuwachs an RechtssicherheitZum anderen wären es Fälle, in denen der Unternehmenswert zwischen BGAV und Squeeze-out gesunken ist. Weil sich der Börsenwert aber im Wesentlichen an dem Barwert der Ausgleichszahlungen und nicht an dem gesunkenen Unternehmenswert orientieren wird, werden die Minderheitsaktionäre in der Regel keines zusätzlichen Schutzes bedürfen. Sollte das aber nicht der Fall sein, ist fraglich, warum der Minderheitsaktionär, der sich bei einem BGAV zum Verbleib in der Gesellschaft entscheidet und nicht gegen Abfindung ausscheidet, nicht das Risiko eines Absinkens des Unternehmenswerts bis zu einem späteren Squeeze-out tragen soll, wo er doch von einer positiven Entwicklung des Unternehmenswerts profitieren würde. Über den Barwert der Ausgleichszahlungen würde er von jeglichem Risiko “freigestellt”.Es bleibt abzuwarten, wie sich der Bundesgerichtshof zu der vom OLG Frankfurt vorgelegten Frage positionieren wird. In jedem Fall wird es aber zu einem Zuwachs an Rechtssicherheit kommen. *) Dr. Petra R. Mennicke ist Counsel im Düsseldorfer Büro von Hengeler Mueller.