Recht und Kapitalmarkt

Gefährliche Neugier

Wie der Wunsch eines Unternehmens nach mehr Transparenz des Aktionärskreises zum Rechtsrisiko führen kann

Gefährliche Neugier

Von Jens Wagner *)Mit der neuen Hauptversammlungssaison stellt sich für viele Gesellschaften mit Namensaktien die Frage, ob sie von der Ende 2008 geschaffenen Möglichkeit Gebrauch machen sollen, durch entsprechende, von der Hauptversammlung zu beschließende Satzungsregelungen eine größere Transparenz des Aktionärskreises zu erzwingen. Erste Vorstöße hat es bereits gegeben. Man darf gespannt sein, ob weitere Unternehmen nachziehen. Ganz unbedenklich sind derartige Satzungsbestimmungen nicht. Dennoch ist die Vorstellung, auf diese Weise über die Aktionärsstruktur genauer Bescheid zu wissen, verlockend.Menschen sind von Natur aus neugierig, Aktiengesellschaften auch, jedenfalls wenn ihre Aktien überwiegend im Streubesitz sind und ein verlässlicher Groß- oder Ankeraktionär fehlt. Hier bietet die Namensaktie im Vergleich zur Inhaberaktie im Ausgangspunkt den Vorteil einer besseren Transparenz der Aktionärsstruktur. Bei Namensaktien gilt gegenüber der Gesellschaft nur derjenige als Aktionär, der als solcher im Aktienregister eingetragen ist. Damit kennt die Gesellschaft jeden, der ihr gegenüber eigene Aktionärsrechte wahrnehmen kann.Doch was in der Theorie so perfekt scheint, zeigt in der Praxis Schwächen: Wer im Aktienregister steht, ist nicht notwendigerweise der wahre Aktionär. Allzu häufig handelt es sich um einen sogenannten Nominee, der sich anstelle des wahren Inhabers der Aktie ins Aktienregister hat eintragen lassen. Der wahre Aktionär hat dann zwar keine eigenen Rechte gegenüber der Gesellschaft, bleibt dafür aber dieser gegenüber bis zur 3 %-Schwelle des Wertpapierhandelsgesetzes verborgen und kann so unbemerkt seine Beteiligungsposition aufbauen. Vor diesem Hintergrund hatten Unternehmen für eine Änderung des Aktiengesetzes geworben, die es ihnen ermöglicht, Eintragungen von Nominees durch Satzungsregelungen einzudämmen. Der Gesetzgeber ist dem nachgekommen. Mit der im Risikobegrenzungsgesetz eingeführten Neuregelung kann die Satzung die Eintragung eines Nominees von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen. Gedacht ist hier zum einen an die Festlegung satzungsmäßiger Höchstgrenzen, ab denen eine Eintragung ins Aktienregister nur noch erfolgen darf, wenn der Einzutragende zugleich der wahre Aktionär ist. Zum anderen hat der Gesetzgeber Satzungsbestimmungen gestattet, die den Nominee verpflichten offenzulegen, dass die Aktien einem anderen gehören. Auch die Begründung dieser Offenlegungspflicht kann an bestimmte Schwellenwerte geknüpft werden.Außerdem können Höchstgrenze und Offenlegungspflicht in der Satzung kombiniert werden. So kann etwa ein sehr niedriger Schwellenwert für das Eingreifen der Offenlegungspflicht festgelegt werden und ein höherer Schwellenwert als Höchstgrenze, ab der eine Eintragung des Nominees für Aktien eines anderen nicht mehr zulässig ist.Um eine Eintragung des Nominees ins Register ablehnen oder den Nominee zur Erfüllung einer satzungsmäßigen Offenlegungspflicht anhalten zu können, muss die Gesellschaft die Nominee-Eigenschaft als solche und die Höhe des Anteils, der einem anderen gehört, kennen. Der Nominee muss mit offenen Karten spielen. Als Druckmittel enthält das Gesetz eine scharfe Sanktion: Danach bestehen die Stimmrechte eines Nominees trotz seiner Eintragung ins Aktienregister nicht, soweit eine satzungsmäßige Höchstgrenze überschritten wird oder hinsichtlich derer eine satzungsmäßige Pflicht zur Offenlegung, dass die Aktien einem anderen gehören, nicht erfüllt wird. Die Sanktion trifft unmittelbar den Nominee, mittelbar aber auch den wahren Aktionär, denn der Nominee kann seine Stimmrechte nicht mehr im Interesse des wahren Aktionärs ausüben.Die Sanktion setzt das Vorliegen entsprechender Höchstgrenzen oder Offenlegungspflichten in der Satzung der Gesellschaft voraus. Als zwingendes Gesetzesrecht tritt sie aber auch dann ein, wenn die Satzung eine Sanktionierung nicht ausdrücklich bestimmt. Außerdem kann die Satzung die gesetzliche Sanktion weder gänzlich noch für bestimmte Fälle ausschließen. Dieses Verständnis legt jedenfalls der Gesetzeswortlaut nahe, der keinerlei Einschränkungen oder Ausnahmen kennt.Weil sie am Stimmrecht ansetzt, wirkt sich die gesetzliche Sanktion an sensibler Stelle aus: der Beschlussfassung der Hauptversammlung. Sollte sich ein im Aktienregister eingetragener, aber gesetzlich sanktionierter Nominee an einer Abstimmung in der Hauptversammlung beteiligen, sind seine Stimmen unwirksam und dürfen deshalb bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses nicht berücksichtigt werden. Von der Unwirksamkeit der Stimmrechte hat die Gesellschaft aber ebenso wenig Kenntnis wie von der Nominee-Eigenschaft als solcher und der Höhe des Anteils, der einem anderen gehört. Das birgt Anfechtungsrisiken. Klagende Aktionäre könnten vortragen, das Abstimmungsergebnis sei unzutreffend ermittelt worden, weil man auch unwirksame Stimmabgaben mitgezählt habe. KausalitätserwägungenStehen Fehler bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses im Raum, kann sich die Gesellschaft mit Kausalitätserwägungen verteidigen, also insbesondere mit dem Einwand, dass die für den Beschluss erforderliche Mehrheit auch dann zustande gekommen wäre, wenn etwaige fehlerhaft mitgezählte Stimmen nicht mitgezählt worden wären. Fraglich ist, ob sie dazu auch behaupten und gegebenenfalls beweisen muss, dass es keine bzw. keine weiteren Nominees gibt, deren Stimmrechte in Wegfall geraten sind, oder dies jedenfalls nur bei so vielen Stimmen fraglich ist, dass die für den angegriffenen Beschluss erforderliche Mehrheit auch ohne diese noch erreicht würde.Es gibt gute Gründe, insoweit keine Darlegungs- und Beweislast der beklagten Gesellschaft anzunehmen. Fakt ist aber, dass eine vertiefte juristische Diskussion dieser Frage noch aussteht. Welche Antwort sie einst zutage fördern wird und vor allem wie am Ende die Gerichte entscheiden werden, lässt sich heute noch nicht verlässlich vorhersagen. Wer satzungsmäßige Höchstgrenzen und Offenlegungspflichten für Nominees einführt, muss dies im Auge behalten und Verteidigungsstrategien zur Hand haben, die im Kern an den genannten Kausalitätserwägungen ansetzen.Gesellschaften, denen das Anfechtungsrisiko absolut oder im Verhältnis zum Nutzen einer solchen Satzungsregelung zu hoch ist, bleibt die Alternative, vom gesetzlichen Auskunftsrecht Gebrauch zu machen. Danach hat der Nominee der Gesellschaft auf ihr Verlangen mitzuteilen, inwieweit ihm die Aktien, als deren Inhaber er im Aktienregister eingetragen ist, auch gehören, und gegebenenfalls Angaben zu demjenigen zu übermitteln, für den er Aktien hält. Eine entsprechende Auskunftspflicht trifft außerdem denjenigen, dessen Daten der Gesellschaft aufgrund eines Auskunftsverlangens übermittelt werden.Auch hier hat der Gesetzgeber eine Sanktion als Druckmittel vorgesehen: Stimmrechte bestehen nicht, solange einem Auskunftsverlangen nicht innerhalb der gesetzten Frist entsprochen wurde. Hier hat aber die Gesellschaft, anders als bei den erörterten Satzungsgestaltungen, die genaue Kenntnis darüber, ob und wie viele Aktien von der Sanktion maximal betroffen sind. Auf diese Weise kann sie in einem Anfechtungsprozess vorgetragene Kausalitätserwägungen stets belastbar untermauern. Auch wenn die Entwicklung standardisierter Screening-Prozesse noch nicht abgeschlossen ist, besteht doch die Erwartung, dass dadurch Aufschlüsse über die Aktionärsstruktur zu erzielen sein werden. Das gilt umso mehr, als die nicht rechtzeitige oder die unrichtige Erteilung der Auskunft mit einer Geldbuße geahndet werden kann.—-*) Dr. Jens Wagner ist Counsel im Münchener Büro von Allen & Overy.