Luftfahrt

Abnehmer erhöhen den Druck auf Boeing

Liefer- und Produktionsverzögerungen belasten den amerikanischen Flugzeugbauer Boeing schwer. Milliardenkosten müssen verbucht werden und der US-Konzern ist zunehmend der harschen Kritik seiner Kunden ausgesetzt. Nun werden Forderungen nach einer neuen Führung für Boeing laut.

Abnehmer erhöhen den Druck auf Boeing

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Um deutliche Worte ist er nie verlegen. Die Führungskräfte von Boeing laufen wie „kopflose Hühner“ herum, sagte Ryanair-Chef Michael O’Leary kürzlich bei einer Analystenkonferenz. Der amerikanische Luftfahrtkonzern brauche einen Neustart, „und zwar schnell“.

O’Leary ist nicht der Erste, der scharfe Kritik am Airbus-Konkurrenten übt. Die Boeing-Kunden sind verärgert über Liefer- und Produktionsverzögerungen bei den Großraumflugzeugen made in USA. Ein anderer großer Abnehmer fand kürzlich für die aktuelle Verfassung des US-Konzerns ebenfalls klare Worte. „Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Boeing vom Weg abgekommen ist“, sagte Domhnal Slattery laut Reuters auf einer Konferenz. Slattery ist der Chef des Leasingunternehmens Avolon, mit einem Bestand von 540 Flugzeugen weltweite Nummer 3 der Branche.  Zuvor hatte bereits Luftfahrt-Urgestein Steven Udvar-Házy, Chef des Avolon-Wettbewerbers Air Lease Corp., in Bezug auf die Boeing-Probleme mit Großraumflugzeugen, einschließlich der ins Stocken geratenen Produktion des 787 Dreamliners, von einem großen Ärgernis gesprochen.

Hohe Verluste

Das Management von Boeing ist derzeit fürwahr nicht zu beneiden. Die 737 Max, die nach zwei Abstürzen weltweit mehr als zwei Jahre am Boden bleiben musste, ist zwar mittlerweile wieder in der Luft. Doch die Probleme des Konzerns werden derweil nicht kleiner. Boeing hat noch immer Schwierigkeiten mit der Produktion des „Dreamliners“ 787, was mittlerweile die amerikanische Politik auf den Plan gerufen hat (vgl. BZ vom 23.11.2021). Zudem gibt es Verzögerungen bei der Zertifizierung der 737 Max 10 und die Auslieferung des modernisierten Großraumjets 777X wurde kürzlich ein weiteres Mal verschoben. Ebenfalls wegen Problemen bei der Zertifizierung werde das erste Exemplar der Langversion 777-9 erst im Jahr 2025 ausgeliefert statt wie zuletzt geplant spät im Jahr 2024 (vgl. BZ vom 28. April). All das verärgert die Kunden und beschert dem Luftfahrtkonzern zudem Milliardenbelastungen. So war Boeing zuletzt im ersten Quartal 2022 tiefer in den roten Zahlen gelandet als erwartet und hatte den Verlust von 1,2 Mrd. Dollar auch mit Kosten für Verzögerungen von 1,5 Mrd. Dollar begründet. Im Geschäftsjahr 2021 hatten die Amerikaner einen Nettoverlust von 4,3 Mrd. Dollar verbucht, nach coronabedingten −12 Mrd. Dollar im Jahr davor.

Zur 777X sagte Udvar-Házy noch, die Entscheidung, ob das Programm fortgesetzt werde oder nicht, „wird wahrscheinlich ohnehin nicht von diesem Vorstand getroffen“. Wobei der Luftfahrtkonzern in den vergangenen Jahren diverse Male Führungspositionen neu besetzt hat, ohne zurück in die Spur zu finden. 

„Boeing hat eine lange Geschichte. Sie bauen großartige Flugzeuge“, so Slattery. Eine mangelhafte Unternehmenskultur habe aber bei Boeing zu Mängeln in der Produktion geführt. Der US-Konzern verbrenne Geld „in einem nie da gewesenen Ausmaß“ und müsse seine Relevanz auf dem Markt „grundlegend neu definieren“. Das erfordere „eine neue Vision und vielleicht eine neue Führung“, so Slattery. Seine Firma Avolon besitzt 169 Boeing-Jets. Offene Bestellungen beim amerikanischen Hersteller hat sie noch 31, alle für 737 Max.

Angesichts der Vielzahl von Problemen bei den Amerikanern springen nun erste Kunden ab. Der Chairman von China Southern, Ma Xulun, erklärte kürzlich bei einem Investorentreffen, der neue Flottenausbauplan der Gesellschaft sehe vor, mehr als 100 Maschinen des Typs Boeing 737 Max zu streichen. Laut des im März veröffentlichten Jahresgeschäftsberichts hatte China Southern bei der Prognose für künftige Auslieferungen von Maschinen im Planungszeitraum bis Ende 2024 insgesamt 181 Boeing 737 Max auf dem Zettel stehen. Der nun revidierte Flottenplan sieht jedoch nur noch den Empfang von 78 entsprechenden Maschinen in dieser Periode vor. Ma zufolge basiert die Entscheidung auf wachsender Unsicherheit über Auslieferungsmodalitäten für den Boeing-Typ, ohne dass dies allerdings näher begründet wird. Es wird damit gerechnet, dass weitere Airlines folgen könnten, etwa China Eastern oder Air China (vgl. BZ vom 19. Mai).

In dieser Gemengelage sind neue Aufträge für den Flugzeugbauer besonders wertvoll. Entsprechend gefeiert wurde Anfang Mai eine Order der Lufthansa. Der Airline-Konzern bestellte weitere sieben Boeing 787-9, sieben 777X-Frachter sowie zwei weitere 777-F-Cargojets. Das Geld-Verbrennen dürfte Boeing allerdings mit der prestigeträchtigen Bestellung aus Deutschland allein nicht stoppen können. Denn Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte – angesprochen auf die erwarteten Verzögerungen bei Boeing-Flugzeugen – wenige Tage vor Ankündigung des Auftrags gesagt: „Gehen Sie davon aus, dass wir uns unsere Geduld bezahlen lassen.“ Verzögerungen würden immer umgerechnet „in ein wie auch immer geartetes finanzielles Entgegenkommen“.

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