Deutschlands Einhörner

Am höchsten bewertet sind Software-Unternehmen

Celonis und Personio führen die Rangliste hierzulande an. Aus dem Status eines Start-ups ist Celonis hinausgewachsen. Mit 11 Mrd. Dollar ist die Münchner Firma das erste Decacorn in Deutschland.

Am höchsten bewertet sind Software-Unternehmen

Von Joachim Herr, München

Auf der weltweiten Liste der Datenspezialisten von CB Insights stehen aktuell 863 Einhörner. Nahezu täglich werden es mehr. Fintechs tummeln sich dort in größerer Zahl, daneben findet sich eine Vielzahl von Branchen: E-Commerce, Logistik, Automobile und Transport, künstliche Intelligenz, Gesundheit und Hardware sowie Software & Dienstleistungen und das Segment Datenmanagement & Analyse.

Wertvollstes Software-Unternehmen ist mit 40 Mrd. Dollar Canva in Australien mit der gleichnamigen Grafikdesign-Plattform, knapp da­hinter liegt mit 38 Mrd. Dollar Databricks in San Francisco, die als Spezialist für Datenmanagement und künstliche Intelligenz eine Analyseplattform für Unternehmen anbietet. An 31. Stelle folgt das nächste Einhorn der Sparte Datenmanagement: Celonis in München und mit zweitem Hauptsitz in New York. Das vor zehn Jahren von drei Studenten gegründete Unternehmen ist das wertvollste deutsche der nach dem Fabelwesen benannten Firmenkategorie. In der jüngsten Finanzierungsrunde in diesem Frühjahr wurde Celonis mit 11,1 Mrd. Euro bewertet. Das Unternehmen ist auch das erste und bisher einzige Decacorn in Deutschland, dessen Wert also auf mindestens 10 Mrd. Dollar gesetzt wird.

National an die zweite Stelle hinter Celonis hat sich mit der jüngsten Finanzierungsrunde Personio ge­schoben, ebenfalls ein Software-Unternehmen und ebenfalls mit Sitz in München. Personio kommt auf eine Bewertung von 6,3 Mrd. Dollar und beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter. Die 2015 gegründete Firma bietet eine Software für die Personalverwaltung in kleinen und mittelständischen Unternehmen an.

Gäbe es eine Europameisterschaft der Einhörner, bekäme Celonis mit Global Switch in Großbritannien gemeinsam die Bronzemedaille hinter den Fintechs Klarna in Schweden auf dem Goldplatz und Revolut in Großbritannien mit der Auszeichnung in Silber. Die Definition eines Einhorns passt nach dem Selbstverständnis des Unternehmens allerdings nicht mehr so richtig zu Celonis, denn den Status eines Start-ups haben die Münchner hinter sich gelassen. Und das nicht nur wegen des Alters von zehn Jahren. Celonis wächst nicht mehr nur aus eigener Kraft rasant, sondern auch mit Akquisitionen.

Als letzte von bisher drei Firmen erwarb das Unternehmen vor kurzem Lenses.io. Der Zukauf in Großbritannien wird als Pionier auf dem Gebiet des sich rasant entwickelnden Markts für Streaming-Daten bezeichnet. Mit dem System von Lenses könnten Echtzeitdaten unkompliziert, in großem Umfang und sehr schnell innerhalb von Millisekunden benutzerfreundlich genutzt werden, berichtet Celonis.

Daten sind der Rohstoff, den die Software von Celonis verarbeitet. Kern ist das sogenannte Process Mining, das um die Kategorie Execution Management System erweitert wurde. Process Mining unterstützt Unternehmen mit Hilfe der Analyse einer Vielzahl von Daten, um Geschäftsprozesse besser zu verstehen und zu optimieren. Die Liste der Kunden – insgesamt sind es mehr als 2000 – ist gespickt mit prominenten Namen: zum Beispiel Siemens, BMW, Lufthansa, ABB, Airbus, Vodafone, Citigroup und ING.

Dritter Zukauf

Das Execution Management System setzt nach Darstellung von Bastian Nominacher (mittleres Foto), Co-Vorstandsvorsitzender und einer der drei Gründer, darauf auf und automatisiert die Optimierung. Die eigene Entwicklung auf diesem Gebiet ergänzte Celonis im vergangenen Jahr mit dem Kauf des tschechischen Unternehmens Integromat.

Nur einen Tag nach der Übernahme von Lenses gab Celonis in der vergangenen Woche eine strategische Partnerschaft mit Service Now bekannt. Hierzulande ist das US-ameri­kanische Cloud-Dienstleistungsunternehmen auch für seinen CEO Bill McDermott bekannt, den früheren Vorstandschef von SAP. Mit der Kooperation, die Plattformen beider Unternehmen zusammenführt, sollen Kunden Prozesse finden, die sich für eine Automatisierung eignen und somit die Digitalisierung vorantreiben. Geplant ist, gemeinsame Lösungen in der ersten Hälfte des nächsten Jahres auf den Markt zu bringen.

Zur Expansion mit Akquisitionen und Partnerschaften sagt Alexander Rinke (linkes Foto), wie Nominacher Gründer und Co-Vorstandsvorsitzender: „Wir bauen Celonis konsequent weiter aus, um der innovativste und zuverlässigste Partner für alle Unternehmen zu sein, die auf Daten setzen, um ihr Geschäft zu transformieren und zu stärken.“ Dritter im Bund ist Technikvorstand Martin Klenk (rechts).

Den Umsatz beziffert Celonis seit einigen Jahren nicht mehr und verweist auf den Wunsch der Investoren die Zahlen nicht zu veröffentlichen. Für das aktuelle Geschäftsjahr, das am 31. Januar endet, strebt das Management mindestens eine Verdoppelung des Umsatzes an. In den Jahren zuvor sei dies gelungen. Die Zahl der Mitarbeiter deutet ebenfalls die Wachstumsdimension an: Sie stieg seit Mitte 2018 von rund 400 auf nun 1800.

Zunächst erzielte das Unternehmen nach Angaben der Vorstände Gewinne. Das hat sich geändert, denn seit zwei Jahren liegt der Schwerpunkt klar auf starkem Wachstum. Ziel ist, den Vorsprung auf die Konkurrenz als Markt- und selbsterklärter Innovationsführer zu wahren. Deshalb werde auch viel in Forschung und Entwicklung investiert, heißt es. An der Spitze steht hier seit September als Chief-Scientist der Niederländer Wil van der Aalst, Professor an der RWTH Aachen. Er gilt als Erfinder des Process Mining.

Gemessen am aktuellen negativen Ergebnis ist die Bewertung von gut 11 Mrd. Dollar hoch, doch die Investoren wie Accel und 83North blicken weiter nach vorn. Henry Ellenbogen, Managing Partner und Chief Investment Officer der ebenfalls beteiligten Durable Capital Partners, schwärmte im Juni: „Celonis ist ein seltenes Juwel, das im Zentrum eines der größten Technologietrends unserer Zeit steht: der Modernisierung von Unternehmen dank datengesteuerter, intelligenter Geschäftsentscheidungen.“ Das Marktpotenzial von Celonis sei sehr groß, um eine neue und moderne Art der Unternehmenssteuerung zu schaffen.

Starkes Marktwachstum

Für den Process-Mining–Markt rechnen Fachleute für dieses und nächstes Jahr mit Steigerungen von jeweils 70 bis 80%. Den Zuwachs im vergangenen Jahr beziffert das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen International Data Corporation (IDC) auf 79% und damit auf ein Volumen von 258 Mill. Dollar (siehe Grafik). Den Marktanteil von Celonis schätzen Experten auf 60 bis 70%. Damit ergäbe sich für 2020 ein Umsatz in der Größenordnung von umgerechnet 135 Mill. bis 155 Mill. Euro. Chief-Scientist van der Aalst glaubt, dass das Unternehmen dennoch bisher nur an der Oberfläche kratzt: „Das volle Potenzial der Prozesse in Unternehmen weltweit wurde bisher weder für die Wirtschaft noch für die Gesellschaft erschlossen.“

Ein Börsengang scheint trotz des Wachstumskurses für die nächste Zeit kein Thema für Celonis zu sein. Mittelfristig jedoch schon, wenn damit das Unternehmen die nächste Entwicklungsstufe erklimmen könnte, wie es aus dem Vorstand heißt. Bisher setzt Celonis allerdings auf langfristig orientierte Investoren.

Das ist auch von Personio zu hören. Für das Unternehmen ist ein Börsengang vom Jahr 2023 an aber zumindest eine Option.

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