Krisenzeiten

Chemie malt ein düsteres Bild

Hohe Energiepreise, drohende Gasknappheit, Lieferkettenprobleme und Rezessionssorgen machen der deutschen Chemieindustrie zu schaffen, Besserung ist nicht in Sicht.

Chemie malt ein düsteres Bild

swa Frankfurt

Für die Chemieindustrie kommt es knüppeldick. Die Branche sei geübt darin, mit Problemen umzugehen, doch so viele Belastungen auf einmal hätten die Unternehmen sehr lange nicht erlebt, gibt der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Christian Kullmann, zu bedenken. Lange Lieferzeiten, hohe Frachtkosten so­wie Engpässe bei Vorleistungen und Materialien behinderten die Geschäfts­tätigkeit in Deutschlands drittgrößtem Industriesektor. Hinzu kämen sprunghaft gestiegene Preise für Rohstoffe und Energie, vor allem für Erdgas.

Kullmann, im Hauptberuf Chef des Spezialchemiekonzerns Evonik, spricht hierzulande von den „höchsten Energiepreisen der Welt“. Die Unternehmen litten „stark oder sehr stark“, es gebe vor allem Hilferufe aus dem Mittelstand – „denen geht es an den Kragen“. Einige Firmen seien bereits in der Verlustzone gelandet. Von profitablem Wachstum werde die besonders energieintensive Branche auf Dauer nicht mehr sprechen können.

Für dieses Jahr rechnet der VCI mit einem Rückgang der chemisch-pharmazeutischen Produktion um 1,5%. Für das reine Chemiegeschäft werden Produktionseinbußen um 4% erwartet. In der Vorhersage ist unterstellt, dass Erdgas weiterhin ausreichend zur Verfügung steht. Eine Umsatzprognose will der VCI angesichts der unsicheren Preissituation nicht aufstellen. Ursprünglich war der Verband für 2022 von einem Produktionsplus von 2% ausgegangen, diese Prognose wurde nach Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine kassiert.

Im ersten Halbjahr legte die Produktion um 0,5% zu, ohne Pharma ergibt sich bereits ein Rückgang um 3%. Die Kapazitätsauslastung der Anlagen ist auf 80% zurückgegangen. Damit liegt dieser Wert noch über der Auslastung im ersten Coronajahr und während der Finanzmarktkrise. Gebeutelt sind vor allem die Anbieter von Fein- und Spe­zialchemikalien mit einem Produktionsrückgang von 9% in den ersten sechs Monaten. Im Spektrum der Chemiesparten gelang nur im Geschäft mit Polymeren ein Plus (siehe Grafik). „Mittlerweile hat der Abwärtstrend sämtliche Sparten der Chemie erfasst“, sagt Kullmann.

Hoher Kostendruck

Auf den ersten Blick nicht ins Bild passt ein sattes Umsatzplus der Branche um 22% auf 130 Mrd. Euro im ersten Halbjahr. Hier spiegelt sich, dass die Anbieter die gestiegenen Produktionskosten zum Teil an die Kunden weitergegeben haben. Die Erzeugerpreise kletterten um 21,5%. Das ausgewiesene Umsatzplus überdeckt nach Einschätzung des VCI die tatsächliche wirtschaftliche Situation, „der Kostendruck schlägt zu wie eine Keule“, warnt Kullmann. Die Margen seien unter Druck. Laut einer Mitgliederbefragung des VCI sehen sich 50% der Firmen nicht oder kaum mehr in der Lage, Kosten an die Abnehmer weiterzureichen.

Mit Blick auf das zweite Halbjahr deute sich zwar eine leichte Entspannung in den Lieferengpässen an, doch die Nachfrage dürfte nach Einschätzung des VCI nachlassen, was den Druck erhöhe, die Produktion zu drosseln. Der Verband geht davon aus, dass Energie deutlich teurer bleiben wird als in anderen Regionen, was für die Branche in Deutschland „zum Wettbewerbsproblem“ werde, sagt Kullmann. Produktionsverlagerungen stünden auf der Agenda, „das liegt auf der Hand“. Es sei für ihn „die Stunde der Industriepolitik“. Die bürokratischen Hürden seien zu hoch, um schnell zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu gelangen.

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