Energiepreise

Chemie warnt vor Produktions­ausfällen

Die drastische Verteuerung von Öl und Gas im Zuge des Krieges in der Ukraine stellt die Anbieter von chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen vor existenzielle Probleme, was sich über die Lieferketten gesamtwirtschaftlich auswirken kann.

Chemie warnt vor Produktions­ausfällen

swa Frankfurt

Die deutsche Chemieindustrie zeichnet ein düsteres Bild für die eigene Branche und ihre Kunden. Als einen der energie- und rohstoffintensiven Sektoren treffen die Schockwellen des Ukraine-Krieges die chemische und pharmazeutische Industrie ins Mark. Nach einem starken Turnus 2021 waren die Erwartungen noch zu Jahresanfang durchaus zuversichtlich, sagt Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VCI. Die Stimmung ist nun gekippt, mehr als die Hälfte der Mitgliedsunternehmen rechnen 2022 mit einem Rückgang von Produktion und Umsatz. Eine Prognose traut sich die Branche in dem Umfeld nicht mehr zu.

Die Hoffnung der chemisch-pharmazeutischen Industrie auf einen positiven Wirtschaftsverlauf in diesem Jahr habe mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein jähes Ende gefunden. Stattdessen stehe nun in Europa eine Rezession ins Haus. Der durch den Krieg ausgelöste drastische Anstieg der Energiepreise belaste die Chemie in hohem Maße, vor allem die Hersteller von rohstoffnahen Grundstoffen. Bereits vor Kriegsausbruch hätten die Strom- und Gaspreise für industrielle Kunden stark angezogen – deshalb hatte sich die Geschäftsentwicklung im vierten Quartal deutlich verlangsamt. Auch Engpässe in Logistik und bei Vorprodukten bremsten. Die Situation hat sich mit explodierenden Energiepreisen seit Kriegsbeginn erheblich verschärft.

Große Entrup hebt hervor, dass die Energiekosten in Europa und insbesondere in Deutschland im internationalen Vergleich ohnehin hoch seien. „Das belastet die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts und erschwert die Weitergabe von Kostensteigerungen an die Kunden“, sagt der Verbandsvertreter. Die Erzeugerpreise waren schon 2021 im vierten Quartal mit einem Plus von 4,7% zum Vorquartal beschleunigt gestiegen. Damit waren chemisch-pharmazeutische Produkte im Schnitt 16,5 % teurer als ein Jahr zuvor. Die damals gute Auftragslage und die anhaltende Materialknappheit ermöglichte teilweise eine Weitergabe der Kostensteigerungen an die Abnehmer.

Laut einer Mitgliederbefragung leiden laut VCI aktuell 70 % der Chemiefirmen unter einer starken Beeinträchtigung ihres Geschäfts durch hohe Energiepreise. Mit Absicherungsverträgen und veränderten Lieferkonditionen versuchten sie sich Luft zu verschaffen. Aber ihr finanzieller Spielraum schwinde mehr und mehr. So hätten 85 % der Unternehmen berichtet, dass sie steigende Kosten entweder gar nicht oder nur zum Teil weitergeben könnten. Vereinzelt hätten Firmen bereits Produktion ins Ausland verschoben oder Anlagen im Inland gedrosselt, zum Beispiel bei Ammoniak oder Acetylen. Aus dem Mittelstand gebe es dramatische Meldungen, wonach die Energiekosten nicht mehr zu verkraften seien; Unternehmen stünden vor der Zahlungsunfähigkeit.

Mit Blick auf mögliche Szenarien weist VCI-Chefvolkswirt Henrik Meincke darauf hin, dass Preise in Rezessionszeiten üblicherweise heruntergehen. Derzeit drohe jedoch die Nachfrage wegzubrechen, ohne dass die Kosten sinken. Wenn Gas zudem physisch knapp werde, sei es nicht mehr eine Frage des Preises, mahnt Meincke : „Dann können wir nicht mehr produzieren.“ Die Chemie habe auf der Rohstoffseite anders als in der Strombeschaffung kaum Möglichkeiten, Öl und Gas zu substituieren. Das habe Auswirkungen auf die Kunden, deren Anlagen auch stillstehen müssten. Die Chemie sei in 90% der Lieferketten vorne drin. Wenn die Branche ins Stottern gerate, „dann stottert die gesamte Industrie“, sagt Große Entrup.

Keine schnelle Lösung

Der VCI warnt davor, einen Importstopp für Energie oder Rohstoffe aus Russland zu verhängen. Die gesamtgesellschaftlichen Belastungen – vor allem bei einem Embargo für russisches Erdgas – seien gravierend und lange andauernd. Mit einer schweren und mehrjährigen Rezession und einem hohen Verlust von Arbeitsplätzen müsse gerechnet werden. Über Nacht sei die Energieversorgung nicht auf Alternativen umzustellen.

Wertberichtigt Seite 8

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