Standardisierung

Der Countdown im ESG-Reporting läuft

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung nimmt Gestalt an. Auf europäischer und internationaler Ebene liegen erste Entwürfe vor. Ob die erhoffte Harmonisierung gelingen wird, ist noch nicht abzusehen.

Der Countdown im ESG-Reporting läuft

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Die Uhr tickt. In der Nachhaltigkeitsberichterstattung laufen die Arbeiten auf Hochtouren, verbindliche Standards für Unternehmen festzulegen – auf EU-Ebe­ne für unterschiedliche Stakeholder und global primär für Investoren. Brüssel hat das Expertengremium Efrag mit der Entwicklung von Regeln für die Nachhaltigkeitsberichterstattung beauftragt. Die European Financial Reporting Advisory Group war 2001 gegründet worden, um der EU-Kommission in Rechnungslegungsfragen beizustehen. Damals sind alle kapitalmarktorientierten Unternehmen in der Europäischen Union verpflichtet worden, ihren Konzernabschluss nach den internationalen Bilanzstandards IFRS aufzustellen.

Die EU will die auf globaler Ebene vom International Accounting Standards Board (IASB) erarbeiteten Normen nicht blind akzeptieren und entscheidet – beraten von Efrag – im Endorsement-Verfahren für jeden IFRS-Standard einzeln darüber, ob er vollständig übernommen wird. Nun ist Efrag selbst zum Standardsetzer für Nachhaltigkeitsreporting aufgestiegen. Das überlässt die EU nicht dem von der IFRS-Foundation parallel zum IASB gegründeten International Sustainability Standards Board (ISSB).

Efrag und ISSB sollen eng kooperieren. Die Übernahme der ISSB-Standards ist anders als bei den IFRS-Normen aber rechtlich nicht verpflichtend für europäische Unternehmen. Somit steht das EU-Re­porting für sie zunächst im Vordergrund. Nach allgemeiner Einschätzung soll das ISSB eine „Global Baseline“ entwickeln, die um regionale Eigenheiten angereichert werden kann.

Unternehmen wünschen sich beim Blick in die Zukunft eine Vereinheitlichung, sie wollen eine doppelte Berichterstattung vermeiden. Im Idealfall hätte die Praxis gerne ein globales Regelwerk, was aber politisch kaum durchsetzbar sein dürfte. Bleibt die Frage, welche Standards am Ende dominieren werden? Es dürften sich nach Einschätzung von Unternehmensvertretern die Standards durchsetzen, die den stärksten Regulierungsdruck erfahren.

Mit der Stoppuhr

Efrag ist vorgeprescht und hat in Rekordzeit von acht Monaten 13 European Sustainability Reporting Standards (ESRS) im Entwurf erarbeitet, die den Anforderungen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) entsprechen sollen. Zwei der 13 Standards sind übergreifend und legen allgemeine Prinzipien der Berichterstattung fest, die anderen adressieren die drei ESG-The­men. Die Klimaaspekte umfassen fünf Standards auf Basis der sechs Klimaziele der EU. Die sozialen Aspekte sind in vier Standards erfasst mit Abbildung der Situation interner Mitarbeiter sowie extern der Mitarbeitenden in den Wertschöpfungsketten. Zudem geht es um vom Geschäft des Unternehmens betroffene Gesellschaften und Kunden. Governance enthält zwei Standards zu Unternehmensaufsicht, Risikomanagement, internen Kontrollen sowie Unternehmensprinzipien.

Weitere 40, vor allem sektorspezifische Standards hat Efrag in Arbeit. Den Anwendungsbereich der CSRD-Richt­li­nie hat die EU zuletzt von zuvor 550 auf 15000 Unternehmen ausgeweitet, sie alle müssen sich für eine zeitlich gestaffelte Anwendung vorbereiten. Den Anfang machen 2024 Unternehmen, die schon von der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) betroffen sind.

International ist das personell noch nicht voll besetzte grüne Bilanzgremium ISSB unterwegs mit bislang zwei Entwürfen für zwei grundlegende Standards: IFRS S1, der allgemeine Anforderungen für die Angaben über ESG-Finanzinformationen vorgibt, damit speziell Anleger die Auswirkungen wesentlicher nachhaltigkeitsbezogener Risiken und Chancen auf den Unternehmenswert einschätzen können. IFRS S2 fokussiert auf klimabezogene Angaben und regelt Berichtspflichten für klimabezogene Risiken und Chancen. Die Kommentierungsfrist für beide Entwürfe läuft bis 29. Juli.

Die Zeit drängt, Efrag und ISSB machen Tempo, um schnell verbindliche Regelwerke vorzulegen. Die EU-Standards ESRS sollen bis Ende Juni 2023 durch die EU-Kommission in Rechtsakte umgesetzt werden. Damit muss Efrag nach Einschätzung von Beobachtern spätestens im November dieses Jahres fertige Standards an die Kommission geben, weil für die Abstimmung mit Institutionen wie Eiopa und ESMA einige Monate zu veranschlagen sind. Die Konsultationsfrist der Efrag läuft bis 8. August; der Zeitrahmen für Kommentierungen war mit 100 Tagen drei Wochen kürzer als vorgesehen.

Konvolut an Entwürfen

Es sind dicke Bretter zu bohren, die Exposure Drafts der 13 EU-Standards umfassen mehr als 400 Seiten und mehr als 1500 Paragrafen. Aus der Wirtschaft kommt der dringende Appell an Verbände und Unternehmen, die Stimme zu erheben und sich aktiv an der Konsultation zu beteiligen. Erwartet werden Tausend Stellungnahmen. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung werde ambitioniert und aufwendig sein, das sei der politische Wille, sagt ein Unternehmensvertreter.

Bislang fehlt eine offizielle politische Mandatierung des mit Hauptsitz in Frankfurt vertretenen globalen Standardsetzers. „Die Anwendung der ISSB-Standards ist noch zu klären“, sagt Jan-Hendrik Gnändiger, Partner der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG. Aktuell würden in der EU die von der Efrag entwickelten European Sustainability Reporting Standards relevant sein und in den USA die Standards der dortigen Börsenaufsicht SEC. „Die USA haben eigene Standards vorgelegt, sie werden also ihre Unternehmen vermutlich auch nicht auf das ISSB verpflichten“, vermutet Gnändiger. Die SEC ist bekannt dafür, in wichtigen Regulierungsthemen ein hohes Tempo vorzulegen. Im März hat die US-Behörde schon mehr als 500 Seiten zur möglichen Klimaberichterstattung präsentiert.

Richtungsweisend könnte Druck vom Kapitalmarkt sein. Inwieweit Investoren zusätzlich die Anwendbarkeit der ISSB-Standards verlangen werden, werde abzuwarten sein, meint der KPMG-Partner. „Das hängt sicherlich auch von Unterschieden der Standards und der Relevanz zusätzlicher Informationen ab.“

Mit Blick auf die erhoffte Konvergenz zeichnet sich nach Einschätzung Gnändigers aktuell ab, dass bei den Klimathemen die Efrag-Standards auf EU-Ebene die entsprechenden Überlegungen des global ausgerichteten ISSB „wohl mit abdecken werden und noch darüber hinausgehen“. „Wenn Unternehmen den Efrag-Standard erfüllen, entsprechen sie in den wesentlichen Klimafragen auch den Gedanken des ISSB. Das ist eine gute Nachricht“, unterstreicht er.

In der Anwendung der Efrag-Standards wird in der Unternehmenswelt vor allem das Thema Wesentlichkeitsanalyse diskutiert – umgesetzt im ESRS2 „General Strategy, Governance & Materiality Assessment“. „Die Vorgabe der doppelten Wesentlichkeit stellt Unternehmen vor enorme Herausforderungen“, unterstreicht Gnändiger. Nach der Vorgabe muss künftig nicht mehr nur analysiert werden, welche ESG-Faktoren für das Geschäft eines Unternehmens relevant sind (Outside-in-Perspektive), sondern auch wie sich die Geschäftstätigkeit auf ESG-Kriterien außerhalb auswirkt (Inside-out-Perspektive). „Das weitet die Themen, die berichtspflichtig werden, erheblich aus“, sagt der ESG-Experte. Die Wesentlichkeitsanalysen müssten überarbeitet werden – Unternehmen, die bislang davon noch nicht betroffen waren, müssten diese neu aufbauen. Dazu gebe es nun einen konkreten Vorschlag der Efrag, womit sich die Unternehmen derzeit intensiv befassten.

Erklärung auf UN-Ebene

Eine Lanze für das ISSB haben jüngst mehrere Organisationen der Vereinten Nationen (UN) gebrochen. In einer gemeinsamen Erklärung werde darauf hingewiesen, dass die vom ISSB entwickelten Standards eine „einmalige Chance“ darstellten. Sie könnten die weltweite Konvergenz der Angaben zur Nachhaltigkeit unterstützen, eine gemeinsame Grundlinie für die Berichterstattung schaffen und dazu beitragen, dass nachhaltigkeitsbezogene Themen in die reguläre Unternehmensstrategie und -leitung einbezogen werden, fasst die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte das UN-Statement zusammen. In der Erklärung werde aber auch davor gewarnt, dass eine enge Auslegung des Unternehmenswerts dazu führen könnte, dass die ISSB-Standards wichtige Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen unberücksichtigt ließen, und dass die Standards zu einer selektiven Angabe durch die berichtenden Unternehmen führen könnten.

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