Flugzeug-Leasing

„Der größte Flugzeugdiebstahl der Geschichte“

Anfang der Woche mussten Leasingfirmen ihre Verträge mit russischen Airlines beenden. Die meisten der betroffenen Flugzeuge sind noch in Russland, Experten sprechen vom „größten Flugzeugdiebstahl der Geschichte“.

„Der größte Flugzeugdiebstahl der Geschichte“

Bloomberg/Reuters Frankfurt

Bei den Flugzeugverleihern schwinden die Hoffnungen auf ein Wiedersehen mit ihren in Russland stehenden Jets. Denn bis Montag mussten Leasingfirmen wie Marktführer Aercap oder Avolon ihre Verträge mit russischen Fluggesellschaften beenden – wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine. Vor rund einem Monat wurden die Maßnahmen angekündigt, doch die russischen Airlines haben die Maschinen nicht zurückgegeben. „Ich befürchte, dass wir Zeugen des größten Flugzeugdiebstahls in der Geschichte der kommerziellen Zivilluftfahrt werden“, sagt Wolodymyr Bilotkatsch, Professor für Luftverkehrsmanagement am Singapore Institute of Technology.

Auch der Generaldirektor der EU-Kom­mission für Transport, Henrik Hololei, beklagt, die in Russland befindlichen Flieger seien „den rechtmäßigen Besitzern gestohlen worden“. Ein großer Teil von mehr als 400 Flugzeugen im Wert von rund 10 Mrd. Dollar dürfte verloren sein.

Maschinen neu registriert

Russland schuf auf die Sanktionen hin eilig eine Rechtsgrundlage, die eine zwangsläufige Außerbetriebnahme der Maschinen verhindert. Um die notwendigen Sicherheitszertifikate aufrechtzuerhalten, wurden die Leasingflugzeuge in Russland einfach neu registriert. Eine doppelte Registrierung ist nach internationalen Regeln aber nicht zulässig. Russland hat nach Regierungsangaben mehr als die Hälfte von 515 gemieteten Flugzeugen in das eigene Register eingetragen. Die meisten der Flugzeuge sind auf russischen Inlandsrouten unterwegs, obwohl die für sie zuständigen Behörden auf den Bermudas und in Irland die Lufttüchtigkeitszertifikate aussetzten und sie daher nicht abheben dürften.

Der internationale Flugverkehr der russischen Airlines ist weitgehend erlahmt. Denn sobald die geleasten Flieger außerhalb Russlands landen, können sie beschlagnahmt werden. Die EU-Kommission verfolgt jede Maschine, die Russland verlässt, und arbeitet mit Behörden der Ankunftsländer zusammen, um die Flugzeuge sicherzustellen. „Wir waren sehr erfolgreich und konnten Flugzeuge wieder in Besitz nehmen“, sagt Hololei bei einem Webinar der EU-Luftfahrtbehörde Eurocontrol. Nach einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax wurden vergangene Woche 78 Flieger im Ausland beschlagnahmt.

Die Frage ist nun: Wer bezahlt den Schaden? Obwohl die Flugzeuge versichert sind, werden die Leasingfirmen nach Einschätzung von Experten jahrelang vor Gericht über Erstattungen streiten. Versicherern und Rückversicherern von Flugzeugleasing-Firmen drohen nach Schätzungen der Ratingagentur Moody’s wegen des Kriegs in der Ukraine bis zu 11 Mrd. Dollar Schäden. Selbst wenn die Flugzeuge nach einiger Zeit zurückkämen, wäre ihr Wert fraglich, da Flugzeuge genaue Wartungsaufzeichnungen über die originalen und rückverfolgbaren Ersatzteile aufweisen müssen. Komponenten und Wartungsdienste für die dominierenden Modelle von Airbus und Boeing stehen aber ebenfalls auf der Liste der EU-Sanktionen gegen Russland.

Weniger als 10 Prozent

Die Folgen für die einzelnen Leasingfirmen sind überschaubar, da an russische Airlines weniger als 10% des Bestandes der meisten Firmen vermietet sind. „Das wird diese Unternehmen nicht lahmlegen“, sagt Brad Dailey von Alton Aviation Consultancy. „Meines Erachtens verändert sich jedoch das künftige Marktpotenzial Russlands.“ Die nationale russische Fluggesellschaft Aeroflot wurde vor der Invasion als höchst kreditwürdig angesehen, doch das gelte nicht mehr. Um künftig wieder ins Geschäft mit dem Westen kommen zu können, signalisierten einige private russische Fluggesellschaften, sie wollten Leasing-Jets zurückgeben. Das müsste allerdings von der russischen Regierung genehmigt werden.

Der Chef von Avolon Holdings Ltd, dem zweitgrößten Flugzeug-Leasinggeber der Welt, Domhnal Slattery, sagte in einem Interview, er schätze das Risiko für seine Firma auf weniger als 200 Mill. Dollar. Avolon hat vier Flugzeuge zurückerhalten, zehn Maschinen aus dem Avolon-Portfolio sind noch in Russland.

Das in Dublin ansässige Unternehmen hat eigenen Angaben zufolge alle Verträge mit russischen Kunden gekündigt und Versicherungsansprüche geltend gemacht. Slattery wollte nicht sagen, welcher Anteil der 200 Mill. Dollar von den Versicherern gedeckt werden wird.

Avolon ist auf dem russischen Markt mit etwa 1% seiner gesamten Flotte weit weniger engagiert als die Konkurrenten Aercap Holdings NV und SMBC Aviation Capital. Slattery sagte weiter, dass sich der Wert der ursprünglich 14 Avolon-Flugzeuge, die sich im Besitz russischer Airlines finden, auf etwa 400 Mill. Dollar beläuft. „Wir sind der Meinung, dass unsere Versicherung für den Fall des Falles besteht und voll und ganz gültig ist“, sagte Slattery.

„Reine Propaganda“

Zu den Avolon-Flugzeugen in Russland gehören Maschinen der A320-Familie von Airbus sowie Boeing-737, die bei S7 Airlines, Ural Airlines und der Aeroflot-Tochter Pobeda platziert sind. „Unser Engagement in Russland war immer minimal, weil wir wegen der Rechtsprechung und des politischen Risikos immer nervös waren“, sagte Slattery.

Der Firmenchef bezeichnete die Offerte Russlands zum Kauf der Flieger, die als Versuch gesehen wurde, die Beziehungen zu den Leasinggebern für die Zeit nach dem Krieg zu sichern, als No-Go: „Ich denke, das ist reine Propaganda.“

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