Aktionärsrechte

Ein Riss durch die Haupt­versammlung

Der Gesetzesvorstoß zur virtuellen HV droht ins Leere zu laufen, weil ihn die Aktionäre nicht akzeptieren.

Ein Riss durch die Haupt­versammlung

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Die in der Pandemie über Notgesetzgebung eingeführte virtuelle Hauptversammlung (HV) hat Unternehmen und Aktionäre gleichermaßen vor große Herausforderungen gestellt. Die Konzerne mussten primär technische Probleme bewältigen. Die Aktionäre hatten damit zu kämpfen, dass ihr Frage- und Auskunftsrecht eingeschränkt wurde. Ein Interessenausgleich ist auch im dritten Coronajahr in den meisten Fällen nicht hergestellt worden, auch wenn es durchaus Annäherungsversuche gab. Die Positionen sind weiterhin konträr. Der Gesetzesvorschlag zur virtuellen HV als dauerhafte Option ist bislang nicht geeignet, Konsens herzustellen. Das wird aus den eingegangenen Stellungnahmen deutlich. Der Riss ist tief.

Dabei zeigt der Referentenentwurf durchaus zielführende Ansätze, um überkommene Rituale abzuschaffen, die Aktionärstreffen zu straffen und auf das Wesentliche zu fokussieren. Das wird von Emittenten und Investoren einheitlich goutiert. Dass Fragen und Statements vor der HV eingereicht, veröffentlicht und am besten auch schon schriftlich beantwortet werden können, sollte die Qualität der Veranstaltung steigern und das Format entschlacken. Allerdings darf die Vorverlagerung nicht verhindern, dass die Aktionäre auch in der virtuellen HV in Live-Zuschaltungen fragen und nachfragen können – und nicht nur zu zuvor elektronisch eingereichten eigenen Themen. Diese Einschränkung ihrer Rechte werden die Aktionäre nicht hinnehmen. Für sie ist es speziell in Hauptversammlungen mit kritischer Tagesordnung unabdingbar, ihr Fragerecht uneingeschränkt ausüben zu können.

Viele Unternehmen scheinen indes an dem virtuellen Format und der damit möglichen Zähmung der Aktionäre Gefallen gefunden zu haben. Exemplarisch dafür steht Siemens, die es in ihrer Stellungnahme begrüßt, dass nach dem Gesetzesvorschlag Fragen, Nachfragen und Anträge in Redebeiträgen nicht gestellt werden dürfen.

Der Dax-Konzern will keine Verantwortung übernehmen und fordert den Gesetzgeber auf, die eingeräumten Begrenzungsmöglichkeiten für Fragen, Nachfragen, Stellungnahmen und Redebeiträge von Aktionären zumindest in der Gesetzesbegründung zu konkretisieren. Aus Sicht von Siemens soll vorgegeben werden, welche Anzahl von Fragen als angemessen angesehen werden und ob diese an die Höhe des Aktienbesitzes oder an bestimmte Aktionäre geknüpft werden können. Entsprechendes gelte für die angemessene Länge von Stellungnahmen und Live-Redebeiträgen. Sonst sei zu befürchten, „dass die Praxis eher (zu) vorsichtig agiert, die im Gesetz angelegten Begrenzungsmöglichkeiten nicht hinreichend nutzt und die virtuellen Hauptversammlungen im Ergebnis ausufern“. Der Industrieverband BDI legt noch nach und vertritt sogar die Meinung, den Aktionären werde mit dem Referentenentwurf überhaupt erstmals explizit ein eigenständiges Rederecht gewährt. Redebeiträge seien bislang in Präsenzhauptversammlungen – zumeist eingebettet in das Auskunftsrecht – streng genommen nur „geduldet“ gewesen.

Mit dieser Attitüde werden Emittenten und Investoren nicht zusammengebracht. Es steht zu befürchten, dass ein Gesetz auf den Weg kommt, das in der Praxis in der Breite ins Leere läuft, weil die Aktionäre dem für die virtuelle HV noch nötigen Satzungsbeschluss nicht zustimmen werden.

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