Rohstoffe

Einsparung von Gas funktioniert nicht auf die Schnelle

Die Wirtschaft zeigt sich offen für alle Anstrengungen, den Gasverbrauch zu reduzieren, weist aber darauf hin, dass ein Ersatz des Energieträgers auf die Schnelle nur sehr begrenzt möglich ist.

Einsparung von Gas funktioniert nicht auf die Schnelle

hek/swa/kro

/BZ Frankfurt – Die Wirtschaft zeigt sich offen für alle Anstrengungen, den Gasverbrauch zu reduzieren, weist aber darauf hin, dass ein Ersatz des Energieträgers auf die Schnelle nur sehr begrenzt möglich ist. Die energie- und rohstoffintensive Chemieindustrie wird von Lieferkürzungen und Preissteigerungen wie kaum eine andere Branche bedroht. „Mit den Kürzungen der Gaslieferungen durch Russland kommen wir in Deutschland in eine neue Situation“, erklärt denn auch der Branchenverband VCI. Marktführer BASF hatte schon davor gewarnt, dass im Fall eines Gasembargos schlimmstenfalls die Produktion am zentralen Standort Ludwigshafen heruntergefahren werden müsste.

Nach Einschätzung des Verbands führt die weitere Drosselung der Gaslieferungen aus Russland über die Pipeline Nord Stream 1 noch nicht zu akuten Versorgungsproblemen in der chemisch-pharmazeutischen In­dustrie. Mit einem Anteil von 15% ist die Branche der größte Verbraucher von Erdgas in Deutschland. Der Sektor benötigt laut VCI 135 Terawattstunden Gas im Jahr, 100 davon als Energieträger. Durch den Einsatz alternativer Brennstoffe könnten nur ein bis zwei Terawattstunden gespart werden.

Der VCI unterstützt nach eigenen Angaben die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgestellten Maßnahmen, mit denen Gas eingespart werden soll. „Deutschland muss jetzt zügig und pragmatisch alle Möglichkeiten nutzen, Gas da einzusparen, wo es ersetzbar ist. Vor allem beim Umstieg der Stromgewinnung von Gas auf Kohle müssen umgehend alle Kapazitäten unterschiedslos genutzt werden können“, sagt VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Außerdem sollten nach seinen Worten wirtschaftlich unter Druck kommende Gasversorger stabilisiert werden, damit die Gaspreise nicht noch weiter explodieren. „Lieber vorne helfen, damit nicht in der nachfolgenden Wertschöpfungskette alles zusammenbricht.“ Die Branche gilt als Zulieferer vieler Vorprodukte als systemrelevant. Der Branchenvertreter be­grüßt zudem das von Habeck angekündigte Gasauktionsmodell zur Einsparung von Industriegas als marktwirtschaftliches Instrument. Der Leverkusener Kunststoffkonzern Covestro sieht kurzfristig keine Möglichkeiten, Energie in nennenswertem Umfang zu sparen. Punktuell prüft Covestro die Möglichkeit, Energie aus anderen Quellen als Gas zu gewinnen – etwa in Dampfkesseln im Werk Brunsbüttel, die sich auch mit Öl betreiben ließen. Dies könnte aber frühestens Ende des Jahres umgesetzt werden.

In der hochgradig energieintensiven Zementindustrie spielt Erdgas direkt eine untergeordnete Rolle. Dennoch haben die russischen Lieferkürzungen erhebliche Auswirkungen, weil die rasant steigenden Gaspreise die Kosten anderer Energieträger noch weiter nach oben treiben. Bei Heidelberg Cement summierten sich die Energiekosten im vergangenen Jahr auf 2,1 Mrd. Euro, was immerhin 11% des Umsatzes entspricht. Im laufenden Jahr dürfte der Anteil kräftig steigen, allein schon weil im ersten Halbjahr 2021 die Energiepreise noch vergleichsweise niedrig waren.

Den Anteil von Erdgas am Brennstoffeinsatz veranschlagt Heidelberg Cement auf einen niedrigen einstelligen Prozentsatz. „Wir sind keine gasabhängige Company“, betont ein Firmensprecher. Wichtiger sind Öl und vor allem Kohle sowie Petrolkoks. Der Anteil alternativer Brennstoffe steigt: 2021 waren es konzernweit 26%, bis 2030 werden 45% angestrebt. In Deutschland werden alternative Brennstoffe wie Siedlungs- und Gewerbeabfälle, Klärschlamm und Altreifen noch stärker eingesetzt. Der Verein Deutscher Zementwerke gibt ihren Anteil mit 69% im Jahr 2020 an. Auf Erdgas entfielen demnach 0,7% des Brennstoffeinsatzes, auf Steinkohle 6,8% und auf Braunkohle 19,8%. Die Brennstoffe werden für die Herstellung des Zementklinkers benötigt, die Temperaturen von 1450 Grad erfordert.

Wenig Sparpotenzial bei Glas

Neben der Chemiebranche ist in den vergangenen Monaten auch die Glasindustrie wegen ihrer hohen Abhängigkeit von Erdgas verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. In keinem anderen Land Europas gibt es so viele Glas pro­duzierende Unternehmen wie in Deutschland. Deren Schmelzwannen, in denen die Ausgangsstoffe auf über 1500 Grad Celsius erhitzt werden und die kontinuierlich betrieben werden müssen, werden zum ganz überwiegenden Teil mit Erdgas befeuert. Der Energieträger macht hier fast 80 % des End-Energiemixes aus. „Die Einsparpotenziale bei den Unternehmen der Glasindustrie sind als sehr gering zu beziffern“, betonte der Branchenverband BV Glas am Montag gegenüber der Börsen-Zeitung. Zwar gebe es einige Unternehmen, die ihre Produktion wieder auf schweres Heizöl umstellen könnten, sofern die technische Infrastruktur dafür noch zur Verfügung steht. „Allerdings wäre dieser Anteil aufgrund der wenigen Anwendungsfälle marginal“, so der Verband.

Aus ökologischer Sicht würde die Nutzung von Schweröl ohnehin eine Rückkehr zu einer deutlich umweltschädlicheren Produktionsweise be­deuten. Genau aus diesem Grund haben die Unternehmen den Einsatz des Energieträgers in den vergangenen 15 Jahren auch immer weiter heruntergefahren. Mittlerweile wird in der Branche intensiv an der Nutzung von Schmelzwannen geforscht, die entweder vollelektrisch laufen oder mit erneuerbarem Strom und Wasserstoff betrieben werden. Das ist allerdings teuer, weswegen die Branche unter anderem Klimaschutzdifferenzverträge für sich fordert. Dabei übernimmt der Staat die Mehrkosten, die mit der klimaneutralen Produktion einhergehen, ab­züglich der dadurch erzielten Einsparungen. Daneben ist der Ausbau der Infrastruktur für die Wasserstoff-Erzeugung eine elementare Voraussetzung, die die Glasindustrie braucht, um vom Erdgas loszukommen. Die bisherigen Elektrolyse-Kapazitäten stuft der Verband noch als unzureichend ein.

Gas fehlt auch beim Stahl

Thyssenkrupp benötigt für ihre Stahlproduktion große Mengen an Kohle und Erdgas. Vorstandschefin Martina Merz hatte dazu im April dem „Spiegel“ gesagt: „Wie fast jedes Unternehmen arbeiten wir an Notfallplänen für diese Situation. Für die russische Kohle haben wir relativ schnell Alternativen finden können, sie wird schrittweise durch amerikanische, kanadische und australische Lieferungen ersetzt.“

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